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Tag 325/263 – Hurricane, Sonntag

Junior II und ich kommen heute nur schwer aus dem Bett – die letzten beiden Tage waren zwar wundervoll, aber auch anstrengend. Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es dennoch zum Festivalgelände. Heute haben wir nicht viel auf dem Plan – tagsüber spielen nur wenige Bands, die mich interessieren – aber am Abend wird es dann etwas hektisch, weil The Cure, eine meiner absoluten Lieblingsbands, und direkt anschließend die Foo Figthers auf einer anderen Bühne spielen.

Wir lassen uns heute treiben. schauen hier und dort auf den Bühnen vorbei und entdecken auch heute eine wirklich tolle Band: Royal Republic. Klassischer Rock mit einer tollen Show und einem super-sympathischen Frontman, der eine hervorragende Stimmung macht. Wie auch am Samstag und am Sonntag ist der Sound hervorragend und ich kann die Musik ohne Einschränkungen genießen.

Später treffen wir zufällig Freunde aus dem Fußballverein meines Juniors und verbringen den Nachmittag auf dem Festivalgelände mehr mit netten Gesprächen, leckerem Fast-Food und genießen die Atmosphäre und das gute Wetter. Und dann geht es zu The Cure.

Die ersten Songs, die mich mit meinen Cochlea-Implantaten gehört habe, waren Lullaby und The Forest von The Cure. Ich mag diese Musik unendlich gerne – seit meiner Jugendzeit. 2012 habe ich The Cure bereits auf dem Hurricane zusammen mit der ErstBestenHälfte gesehen und das war – trotz Hörgeräten – ein tolles Erlebnis. Ich kenne die meisten Songs in- und auswendig und konnte das Konzert deshalb auch mit einem relativ schlechten Hörerlebnis genießen. Ich habe jahrelang nur Musik gehört, die ich von früher kannte – mit den Hörgeräten konnte ich Bass und Schlagzeug hören; mein Gehirn hat dann aus den Erinnerungen von früher den Rest dazugepackt.

Jetzt, mit Hörimplantaten, höre ich ALLES. Und das ist ein unglaubliches Erlebnis. Zwar ist The Cure nicht gerade die geborene Live-Band und schon gar nicht dafür gemacht, am hellichten Tag zu spielen… diese Band gehört in einen düsteren Keller, in eine dunkle Halle.. aber dennoch ist es wundervoll, diese Musik endlich live zu HÖREN, ohne Anstrengung genießen zu können und sich wieder wie 20 zu fühlen.

Weil ich auch die Foo Fighters unbedingt sehen will, verlassen wir da Konzert schweren Herzens ein bißchen früher. Leider ertönen just zu diesem Zeitpunkt, als wir schon weit entfernt von der Bühne sind, die alten Songs aus meiner Jugend. Das ist etwas blöd gelaufen, aber man kann nicht alles haben. Wir mischen uns in die Menschenmenge, die vor der Hauptbühne auf die Foo Fighters wartet – es ist rappelvoll, wie immer beim letzten Act… und dann stürmt Dave Grohl auf die Bühne und legt mit seinen Bandmitgliedern ein Feuerwerk hin, das ich so auch noch nicht erlebt habe: Ein Song reiht sich an den anderen, ohne Pause, die Dynamik ist unglaublich, die Lust an der Musik, an diesem Auftritt – das ist wirklich unfassbar beeindruckend. Der Sound ist enorm laut aber dennoch kann ich auch hier gut hören und zwei Stunden lang einen Konzertauftritt anschauen und anhören, den ich sicher nie vergessen werde.

Dann ist das Hurricane zu Ende. Wir essen noch etwas, sammeln Junior I ein, der am liebsten noch die ganze Nacht im Technozelt verbringen würde, fahren nach Hause und fallen erschöpft aber glücklich in die Kissen. Was für ein Wochenende – ich bin unendlich dankbar, dass mir dies wieder möglich geworden ist.

Tag 324/262 – Hurricane, Samstag

Und auf geht es zum zweiten Hurricane-Tag. Auch heute ist das Wetter herrlich und Junior II und ich freue uns sehr auf einen erlebnisreichen Festivaltag. Das Programm ist heute eher auf meinen Nachwuchs ausgerichtet – er möchte sich gerne einige Deutsch-Rapper und -Rap-Bands ansehen. Ist eigentlich gar nicht mein Geschmack, aber schließlich geht es auch um ihn und solange ich mir diese Musik nicht ständig im Autoradio anhören muss, geht das auch in Ordnung.

Der Tag beginnt mit Fünf Sterne Deluxe (auf einen Link verzichte ich aus Rücksicht auf meine Leser). Wir nehmen noch einen Schulfreund meines Juniors mit und wagen uns diesmal direkt vor die Bühne, weil das Gedränge am Nachmittag noch nicht so groß ist. Die Bässe wummern aus vollem Rohr, aber selbst hier spielen meine Soundprozessoren gut mit und ich kann, abgesehen davon, dass ich die Musik stinklangweilig und die Typen ziemlich unsympathisch finde, den Sound genießen.

Dann geht es zu einer meiner Lieblingsbands – Flogging Molly: Irischer Gute-Laune-Rock vom Allerfeinsten (obwohl die Band aus L.A. stammt). Ich habe die Jungs schon mehrmals live gesehen und denke, dass es wohl kaum eine bessere Live-Band gibt, Schon beim ersten Song ist das Publikum völlig aus dem Häuschen und diese unglaubliche Stimmung lässt auch während der gesamten Stunde, in der diese unglaublichen Kalifornier alles geben, kein bißchen nach. Und auch hier ist der Sound fantastisch. Zwar habe ich erneut mit einigen Aussetzern wegen der Feuchtigkeit zu kämpfen – obwohl beide Soundprozessoren die ganze Nacht über ein ihren Trockenboxen lagen, aber das bekomme ich dann auch in den Griff und genieße jede Sekunde dieses Stimmung machenden Auftrittes.

Danach sind Junior II und ich erst einmal platt, aber auf einer anderen Bühne tritt eine weitere Hip-Hop-Band auf, die ich allerdings vor zwei Jahren schon einmal auf dem Hurricane gesehen habe und die mir sehr gut gefallen hat: Die 257er’s aus meiner alten Heimatstadt Essen. Eine tolle Show, Party-Texte mit viel Humor und ein rundum sympathischer Auftritt, mit viel Publikumsinteraktion: So muss live sein. Junior II und ich hüpfen, brüllen und feiern mit und haben enorm viel Spaß. Und auch hier: Top Sound, keine Verzerrungen, einfach nur genial.

Nach diesem Auftritt trennen sich unsere Wege: Junior II möchte unbedingt zu AnnenmayKantereit und ich habe andere Pläne. Wir treffen Junior I, der ebenfalls auf dem Festival ist, er nimmt seinen jüngeren Bruder ins Schlepptau und ich ruhe mich erst einmal etwas aus, laufe herum, genieße die Atmosphäre und schaue, was auf den anderen Bühnen so läuft. Und treffe eine weitere, neue Lieblingsband, die ich bis dahin noch gar nicht kannte: The Wombats, eine Indie-Rockband aus England. Ich bemerke mal wieder, wie viel Musik ich in den letzten Jahren verpasst habe, wie wenig neuere Band ich kenne und vor allem: Wie viel gute Musik es in den letzten Jahren gegeben hat, auch wenn das meiste, was ich wirklich mag, es nicht in die Charts geschafft hat. Auch dieses Konzert ist viel zu schnell vorbei – ich hätte hier noch stundenlang stehen und zuhören können und hoffe sehr, dass ich diese Band noch einmal woanders und länger anhören kann.

Anschließend treffe ich meine Juniors wieder, übernehme Junior II und dann geht es, nach einer kurze Pommes-Stärkung, zu Macklemore, einem der Haupterlebnisse für meine Kinder. Und auch wenn ich nicht auf Hip-Hop stehe: Die Show ist klasse, der Sound fantastisch, der Künstler selbst enorm sympathisch und eine echte Rampensau und ich bereue kein bißchen, dass ich mir dies angeschaut habe.

Danach sind wir ziemlich k.o., schauen noch kurz bei Steve Aoki vorbei – einem DJ, der Techno-Musik macht. Das wird mir aber schnell zu langweilig; also laufen wir zurück zum Auto und sind gegen halb zwei müde aber glücklich im Bett.

Tag 323/261 – Hurricane, Freitag

An diesem Wochenende findet in meinem Heimatort das alljährliche Hurricane-Festival statt – mit knapp 70.000 Besuchern eins der größten Open-Air-Musikfestivals in Norddeutschland. Das Festivalgelände, der Eichenring, ist nur wenige Kilometer von der Ortschaft entfernt. Normalerweise finden hier Sandbahnrennen statt; einmal im Jahr wird allerdings der Ausnahmezustand ausgerufen, wenn Tausende von Jugendlichen und Erwachsenen nach Scheeßel pilgern und auf den umliegenden Camping-Wiesen und auf dem Festivalgelände drei Tage lang Party machen und bis zu 100 Bands auf drei Bühnen feiern.

Ich war bislang zweimal dort – 2012 mit meiner ErstBestenHälfte. Es war ein wundervolles Wochenende und insbesondere die Auftritte von The Cure, New Order, Katzenjammer und Kakkmaddafakka sind mir unvergesslich geblieben. 2017 besuchte ich das Festival mit Junior, der damals 13 Jahre alt und schon sehr musikinteressiert war. Und dies war das vielleicht beste Festival aller Zeiten: Mit Blink 182, Green Day und Linkin Park, die in Scheeßel eins ihrer letzten Konzerte in Deutschland gaben, bevor sich ihr Leadsänger Chester Bennington das Leben nahm, waren drei meiner absoluten Lieblingsbands vor Ort. Wir waren bei allen drei Konzerten im vorderen Front-Stage-Bereich, also ganz nah an der Bühne, und nicht nur für Junior I war dies ein unvergessliches Erlebnis.

Das Hören auf Festivals war mit Hörgeräten immer schwierig. Natürlich ist die Lautstärke hoch genug, um die Musik zu HÖREN, aber meine Hörgeräte waren natürlich stark darauf ausgerichtet, Sprache zu verstehen und Störgeräusche zu unterdrücken – wie zum Beispiel ein Schlagzeug. Hohe Töne habe ich auch mit Hörgeräten nicht gehört. Wahrgenommen habe ich die Beats, den Bass und meistens hat es eine Minute gedauert, bis ich einen Song erkannt habe – manchmal auch gar nicht. Die Klangqualität war einfach enorm schlecht, aber dennoch bin ich gern auf Konzerte gegangen, habe die Atmosphäre genossen und versucht, so viel wie möglich akustisch aufzuschnappen. Ich war es nicht anders gewohnt und habe versucht, einfach das Beste aus meinen Möglichkeiten zu machen.

Der erste Test auf einem Open-Air vor wenigen Tagen verlief sehr positiv – in ausreichend Entfernung zu den Lautsprecherboxen konnte ich die Musik hervorragend hören. Ich bin gespannt, wie das auf dem Hurricane-Festival funktioniert. Hier wird es um Einiges lauter sein als auf dem kleinen Höpen-Air in Schneverdingen und ich habe ein wenig Angst, dass die Musik auch in etwas Entfernung von der Bühne Verzerrungen hervorrufen wird. Ich habe lange überlegt, wie ich den lauten Schall etwas dämpfen kann – zum Beispiel indem ich die Mikrofonabdeckungen mit Filz oder einem Stück Stoff beklebe. Letztendlich ist die Angst davor, den Soundprozessor zu beschädigen, zu groß. Ich nehme stattdessen eine Bandana, ein Sport-Kopftuch wie es Tennisspieler manchmal tragen, und ein Beanie – eine dünne Stoffmütze – mit zum Festivalgelände. Ich hoffe, dass beide Teile ausreichen, um den Schall etwas zu dämpfen – und die Prozessoren außerdem vor Spritzwasser oder Bier, das gelegentlich in die Menge geschleudert wird, schützen.

Freitag nachmittag geht es dann los – ich fahre mit Junior II zum Bahnhof, von dort aus laufen wir etwa drei Kilometer zum Festivalgelände und dann sind wir mitten im Getümmel. Das Wetter ist fantastisch, was eher überraschend ist, denn das Hurricane-Festival macht seinem Namen meistens alle Ehre – Regen, Gewitter und Unwetter gehören normalerweise fest zum Programm. Dieses Jahr wird es über die gesamten drei Tage lang trocken bleiben – und teilweise richtig heiß.

Ich kenne relativ wenig Bands, die dieses Jahr auftreten. Die Toten Hosen sind natürlich gesetzt, ebenso wie The Cure und die Foo Fighters, die am Sonntag Abend als Hauptact auf der Bühne stehen werden. Allerdings habe ich mir in den letzten Tagen einiges der auftretenden Bands angehört und unser Spielplan ist gut gefüllt. Dazwischen wollen wir uns einfach überraschen lassen. Das ist das Schöne an Festivals: Man hört auch mal andere Musik und entdeckt mitunter Künstler, die man vorher gar nicht auf dem Programm hatte.

Die erste Band, die wir uns anhören wollen, ist eine linke Pop-Band namens Betontod. Wir haben gute Plätze, etwa 20 Meter hinter der Bühne, direkt vor der Sicherheitsabsperrung zum Front Stage-Bereich und ich bin sehr gespannt, ob meine elektronischen Ohren gut mitmachen und wie weit oder nah ich von der Bühne stehen muss, um keine akustischen Verzerrungen wahrzunehmen. Bei den ersten drei Songs experimentiere ich wieder viel mit meiner Fernbedienung, bis ich eine Einstellung gefunden habe, die wirklich gut klingt. Zusammen mit dem Beanie auf dem Kopf ist der Sound: Fantastisch! Es klingt total klasse, keine Verzerrungen, ich höre die Instrumente heraus, verstehe die Texte teilweise und kann das erste Konzert ohne jegliche Einschränkungen genießen. So ein Wahnsinn – damit habe ich, mal wieder, nicht gerechnet.

Der Auftritt von Betontod ist super – auch Junior II hat sehr viel Spaß, das Publikum tobt und anschließend holen wir uns erst einmal frisches Wasser, einen kleinen Snack und beobachten aus der Ferne, wie das Bühnenbild für die nächste Band namens Enter Shikari aufgebaut wird. Den Namen habe ich noch nie gehört und auch Junior II kennt sie nicht – irgendwie zieht uns das Bühnenoutfit, das im Stil der 60er Jahre gehalten ist, aber magisch an und wir stellen uns wieder an die Absperrung, an der wir vorher auch standen. Und auch dieses Konzert ist genial. Die Musik ist recht hart – ein wenig Punk, ein wenig Postcore, ein wenig Metal – aber die Show ist wirklich genial, der Frontman gibt einfach alles, der Sound ist fantastisch und wir haben sehr viel Spaß.

Anschließend tritt Papa Roach auf – die kenne ich bereits und möchte sie unbedingt hören. Wir bleiben als direkt an unserem sehr guten Platz, und auch dieses Konzert ist einfach nur genial – tolle Musik, das Publikum ist kurz vorm Ausflippen und ich könnte mir die Jungs noch stundenlang anhören. Allerdings habe hier erste Probleme mit meinen Soundprozessoren, die zu feucht geworden sind. Obwohl mein Kopftuch sehr dünn und luftdurchlässig ist, staut sich darunter die Wärme und Feuchtigkeit des Schweißes, der mir über den Kopf läuft – bei knapp 30 Grad inmitten einer hüpfenden Menschenmenge auch kein Wunder – und die Prozessoren setzen alle 10 Minuten aus. Auch das Beanie bringt keine Besserung. Mir bleibt nichts anders übrig, als die Kopfbedeckung komplett abzunehmen und zu hoffen, dass mir kein Bierbecher gegen den Kopf und die Ohren fliegt. Die Sonne trocknet die Geräte schneller als gedacht und ich kann immerhin den weitaus größten Teil des Konzertes mit beiden Ohren genießen.

Sehr genieße ich auch die Gespräche mit den Menschen um uns herum. Ich werde oft wegen meiner Implantate angesprochen, aber auch einfach so und lerne ein paar richtig nette Leute jeden Alters kennen. Die Stimmung beim Hurricane war schon immer sehr entspannt und man findet sehr schnell Kontakt zu anderen Besuchern. Bei meinen früheren Besuchen habe ich mir das immer etwas verkniffen, weil ich einfach zu schlecht verstanden habe. Auch mit der Security, die im abgesperrten Sicherheitsdurchgang vor uns steht, habe ich einige nette Gespräche. Das macht richtig Spaß!

Auch der nächste Auftritt – eine australische Death Metal Band namens Parkway Drive, die ich auch noch nicht kannte – ist bombastisch und im Nachhinein eins der besten Live-Konzerte, die ich je gesehen habe. Eine grandiose Bühnenshow, tolle Musik, teilweise gemischt mit klassischen Instrumenten, und dazu höre ich diesmal ohne Aussetzer, weil es langsam auch dunkel und etwas kühler wird – was für ein Erlebnis. Die Stunde Spielzeit geht viel zu schnell um und danach dröhnen unsere Ohren ein wenig, aber Junior II und ich sind restlos begeistert.

Später am Abend schauen wir uns dann noch die Toten Hosen an, die wir beide sehr gern mögen und auch dieses Konzert ist klasse. Parkway Drive war heute aber nicht zu toppen. Und dann geht es müde, aber sehr glücklich nach Hause. Ich freue mich wahnsinnig auf die nächsten beiden Tage und überhaupt auf jedes kommende Festival – dass dies mit dem Hören so gut klappt, habe ich wirklich nicht erwartet.

Tag 303/241 – Open Air

Alle zwei Jahre findet in Schneverdingen, einem Nachbarort, ein kleines Open-Air Musikfestival statt, bei dem etwa 3.000 Besucher einen Abend lang live-Musik genießen können. Natürlich treten hier keine hochkarätigen Superstars auf, sondern eher kleinere, regionale und unbekanntere Bands, die vielleicht einmal zu Superstars werden. Dieses Jahr steht unter dem Motto ‚Cover-Bands‘: Neben einer recht bekannten Udo Lindenberg Coverband treten auch Hellfire, eine der bekanntesten AC/DC-Coverbands auf – und außerdem John Diva & The Rockets of Love auf, die ich noch gar nicht kenne und die sich vor allem dem Hardrock der 80er und 90er Jahre verschrieben haben, und Die toten Ärzte – eine Band, die – wie der Name schon verrät – Songs der Ärzte und der Toten Hosen covert.

In diesem Jahr bin ich zusammen mit meiner ErstBestenHälfte und zwei befreundeten Ehepaaren zum ersten Mal dort. Ich weiß noch nicht, wie sich meine Cochlea-Implantate auf Live-Konzerten schlagen. Die Musik ist dort erfahrungsgemäß sehr laut und die Mikrofone meiner Soundprozessoren arbeiten nur bis zu einer Lautstärke von etwa 100 Dezibel optimal. Alles, was lauter ist, wird etwas verzerrt wiedergegeben und klingt nicht optimal. Ich hatte deshalb bei einem Diskothekenbesuch im Winter ein wenig Probleme und möchte dieses Open-Air vor allem als Testlauf für größere Konzerte nutzen.

Als wir das Festivalgelände erreichen – ein kleines Tal mit sanft aufstrebenden Grashängen, auf denen sich das Publikum verteilt hat, spielt bereits die erste Band. Ich finde Udo Lindenberg durchaus cool, aber höre nicht konzentriert zu, sondern sondiere das Gelände, treffe Freunde, trinke ein Bier und nehme dann rechtzeitig vor dem Spielbeginn von Hellfire einen Platz mit guter Sicht auf die Bühne am Grashang ein. Dann geht es los- Hellfire betritt die Bühne und AC/DC-Beats wummern aus den überdimensionalen Boxen.

Am Anfang sind meine Soundprozessoren etwas überfordert mit der doch recht hohen Lautstärke. Ich spiele auf meiner Fernbedienung mit den verschiedenen Hörprogrammen herum, reguliere die Lautstärke und die Mikrofonempfindlichkeit und nach wenigen Minuten habe ich eine Einstellung gefunden, die kaum noch Verzerrungen erzeugt und die Musik trotz der enormen Lautstärke gut klingen lässt. Dann nähere ich mich der Bühne. Ab einer bestimmten Entfernung ist die Klangqualität nicht mehr so überzeugend, also kehre ich zu meinem Platz am Hang zurück und genieße den hervorragenden Sound einer wirklich außerordentlich guten Coverband. Wenn man sie nicht sehen würde, könnte man wirklich denken, AC/DC spiele dort wirklich (ich habe sie vor 2 Jahren live im Berliner Olympiastadion gesehen – damals noch mit Hörgeräten und einem sehr eingeschränkten Hörgenuss, der dieses geniale Konzerterlebnis aber dennoch nicht schmälern konnte).

Es macht wirklich enormen Spaß. Die Musiker von Hellfire geben alles, das Publikum kocht und ich bin unsagbar dankbar darüber, dass mir ein solcher Musikgenuss auch auf einem Live-Festival wieder möglich ist.

Dann kommen John Diva & The Rockets of Love auf die Bühne. Ich kannte diese Band noch gar nicht, aber fast alle Songs, die sie im Repertoire haben, gehören zu den Favoriten meiner Jugendzeit. Guns&Roses, Whitesnake, Alice Cooper, Kiss, Journey, Mötley Crüe, The White Stripes, Def Leppard und viele mehr. Und die Jungs legen wirklich los wie Raketen – es ist ein unglaublicher Auftritt voller Energie, voller Perfektion – ich bin wirklich sprachlos. Jeder Song hört sich wirklich fast genauso an wie das Original und vor allem der Drummer liefert eine Performance ab, wie ich sie bislang selten live erlebt habe. Und alles klingt einfach nur hervorragend. Keine Verzerrungen, ich erkenne jeden Song sofort, kann einzelne Instrumente heraushören und kann mich überhaupt nicht daran erinnern, ein Live-Konzert jemals so genossen zu haben. Auch das Publikum tobt – am Anfang war die Fläche vor der Bühne recht leer, weil die Band recht unbekannt ist. Aber spätestens beim dritten Song strömt alles nach vorne, rockt mit und die Stimmung ist unglaublich gut. Ich könnte hier ewig sitzen bleiben und den Jungs zuhören und muss mich enorm beherrschen, nicht nach vorne zu drängen – lieber bleibe ich etwas im Hintergrund und genieße den Sound, die Musik, den Abend und meine elektrischen Ohren. Was für ein Auftritt…

Auch die anschließend spielenden Toten Ärzte liefern eine tolle Show ab und covern sowohl die Ärzte als auch die Toten Hosen wirklich hervorragend, aber den Auftritt von John Diva können sie – jedenfalls aus meiner Sicht – nicht toppen. Dennoch genieße ich auch dieses Konzert sehr – und dann, spät in der Nacht, ist die Show zu Ende und wir fahren wieder nach Hause.

Ich bin unendlich glücklich, dass das elektrische Hören auch hier so gut funktioniert hat. Jetzt können die nächsten Live-Konzerte kommen!


Tag 285/223 – Bass

Heute habe ich mir einen langgehegten Traum erfüllt und mir einen elektrischen Bass gekauft. Ich habe schon mehrfach versucht, Gitarre zu lernen – aber bislang waren meine mit Hörgeräten versorgten Ohren einfach zu schlecht, um die Töne zu erkennen und dieses Instrument spielen zu können. Und außerdem scheinen meine Finger ein wenig zu grobmotorisch für dieses Instrument zu sein. Bass ist da einfacher – er hat weniger Saiten, man spielt weniger Akkorde und muss die Finger weniger verrenken und ich mag dieses Instrument und seine tiefen Töne, die wummernde Beats erzeugen können, einfach sehr gerne.

Über eBay Kleinanzeigen habe ich heute ein passendes Instrument gefunden, das der Besitzer, der zufällig in der Nähe meines Heimatortes war, direkt vorbeigebracht hat. Wie so oft, wenn man gebrauchte Musikinstrumente kauft, lernt man nette Menschen kennen und auch dieser Kauf war eine durchweg erfreuliche Angelegenheit mit einem sehr netten, musikbegeisterten Verkäufer, bei dem ich viele wertvolle Tipps mit auf den Weg bekam.

Das Hören tiefer Töne ist mit Hörimplantaten eine recht schwierige Übung. Da ich vor allem im Hochtonbereich schwerhörig bin und auch Sprache in diesem Bereich liegt, sind die Soundprozessoren meiner Hörimplantate natürlich besonders auf diese Frequenzen fokussiert. Allerdings höre ich tiefe Töne deutlich besser, als ich vorher gedacht habe. Ich kann sogar hören, wenn die Saiten meines Basses verstimmt sind. Schwieriger ist es, wenn ich Musik höre und dazu spiele – ich nehme zwar wahr, wenn ich komplett falsch liege, aber wenn der Ton zum jeweiligen Akkord passt weiß ich nicht immer genau, in welcher Höhe ich ihn spielen muss.

Ein großer Vorteil ist, dass der Bass nicht so laut ist wie ein Schlagzeug und ich deshalb einfacher Musik begleiten kann. Das Schlagzeug nimmt nach wie vor die meisten Ressourcen meines Soundprozessors in Beschlag und ich brauche hier Kopfhörer und einen Kopfhörerverstärker, wodurch die Musik laut genug in meine elektrischen Ohren gespeist wird. Das klappt dann aber hervorragend.

Ich bin sehr gespannt und freue mich riesig auf diese neue Herausforderung. Junior I kam, wie so oft, auf Anhieb mit diesem neuen Instrument klar und konnte schon nach wenigen Minuten erste Songs mitspielen. Er spielt bereits elektrische Gitarre und kennt sich deshalb gut mit den Grundprinzipien dieses Instrumentes aus.

Hoffentlich bleibt mir genug Zeit, Bass zu lernen und dennoch das Schlagzeugspielen nicht zu vernachlässigen. Unterricht werde ich vorerst nicht nehmen, sondern versuchen, die Grundlagen mit Hilfe von YouTube-Tutorials und der tatkräftigen Unterstützung von Junior I zu lernen. Mit Junior II am Schlagzeug haben wir dann schon eine richtige Band und ich freue mich sehr darauf, mit den beiden Jungs Musik zu machen.

Tag 252/190 – Nachtexpress

Heute habe ich wieder eine lange Fahrt vor mir: Vom SAP Hauptquartier in Walldorf geht es zurück nach Hause. Auf dem Weg dahin statte ich meiner jüngeren Schwester Liane einen Besuch ab. Wie auch ich selbst, ist meine Schwester sehr musikalisch und hat eigentlich immer schon Musik gemacht. Seit einigen Jahren ist sie mit ihrem Saxophon Mitglied einer Band namens Nachtexpress, die im bergischen Land bei regionalen Veranstaltungen mit Evergreens für gute Stimmung sorgt.

Wie schon an anderer Stelle in diesem Blog beschrieben, habe ich als Kind und Jugendlicher selber in einer Schulband gespielt – ebenso in einem Schulorchester, in einer Schul-Big-Band und im Posaunenchor unserer evangelischen Gemeinde. Das Musizieren mit anderen hat mir immer sehr viel Spaß gemacht und ich habe dies in all den Jahren, in denen mein Gehör zu schlecht war, um dies fortzuführen, sehr vermisst.

Kurz vor Weihnachten hatte ich meine Schwester darum gebeten, mir einen Traum zu verwirklichen: Ich möchte gern wieder einmal mit einer Band spielen und ausprobieren, ob dies mit meinen Cochlea-Implantaten funktioniert. Dieser Traum soll heute wahr werden: Die Bandmitglieder des Nachtexpresses erklärten sich sofort bereit, dies zu unterstützen. Also bin ich auf dem Weg ins Bergische Land, um dort im Proberaum ’99 Luftballons‘ am Schlagzeug mit dem Nachtexpress zu spielen. Und meine Schwester wird dazu singen.

Ich habe für dieses Arrangement lange geübt. ’99 Luftballons‘ ist am Schlagzeug recht schwierig zu spielen, weil der Refrain sehr schnell gespielt wird und das Schlagzeug dazu 16tel-Noten spielt. Dazu kommt, dass das Schlagzeug erst nach der ersten Strophe einsetzt und nicht, wie bei den meisten Songs, den Takt vorgibt. Ich werde dieses Stück sicher nicht perfekt herunterspielen können, aber es geht mir vielmehr darum auszuprobieren, ob ich mit meinem elektrischen Ohr überhaupt in der Lage bin, zusammen mit anderen Musikern in einer Band zu spielen.

Schon auf der Fahrt nach Wiehl bin ich wirklich aufgeregt. Die Wiedersehensfreude, als ich dort ankomme, ist wie immer sehr groß und ich werde herzlich von den Bandmitgliedern des Nachtexpress begrüßt. Einige kenne ich schon von früheren Geburtstagsfeiern meiner Schwester. Die Probe ist in vollem Gange; heute stellt sich eine neue Sängerin vor. Ich setze mich in eine Ecke und schaue der Truppe zu. Alle haben sehr viel Spaß an der Musik – das spürt man mit jedem Takt. Natürlich beobachte ich den Schlagzeuger besonders. Er spielt hervorragend – je länger ich ihm zuschaue, desto kleiner und schüchterner werde ich auf meinem Stuhl. Ich spiele selbst ja erst seit 3 Jahren, und auch wenn ich durchaus talentiert bin und recht schnell lerne, bin ich noch meilenweit von solch einer semi-professionellen Spielweise entfernt.

Dann folgt eine kurze Spielpause. Wir trinken zusammen ein Bier und die Stimmung ist super entspannt. Dann ist es soweit. Ich stelle mich kurz vor, erkläre, was es mit meinen Ohren auf sich hat, bedanke mich im Voraus dafür, dass die Band diese Aktion unterstützt und setze mich ans Schlagzeug, das ein wenig anders aufgebaut ist, als mein Drum-Set zu hause. Ich bin wirklich enorm nervös und mein Pulsschlag rennt schneller als der Beat bei 99 Luftballons. Aber egal – es gibt jetzt kein Zurück.

Die Musik setzt ein, Liane beginnt zu singen, ich warte meinen Einsatz ab und dann geht es los. Und: Es funktioniert. Vor Aufregung verliere ich direkt einen meiner Sticks. Aber ich kann den Takt halbwegs halten. Ab und zu brauche ich ein paar visuelle Hinweise, weil das Schlagzeug doch recht laut ist und die anderen Instrumente übertönt. Ich spiele ohne zusätzliches Equipment und ohne Kopfhörer; das ist nicht einfach, aber es geht. Ich merke schnell, dass es ist deutlich schwieriger ist, mit Menschen zusammenzuspielen, als mit einem Lautsprecher, aus dem der Originalsong tönt. Denn jede Band spielt ein Stück etwas anders und ich habe hier nicht das Original-Schlagzeug mit im Ohr, das mir zuhause hilft, den Beat sauber zu spielen. Alles ist halt etwas holprig, aber:

Es funktioniert! Auch wenn meine Performance insgesamt ziemlich unterirdisch und alles andere als auftrittsreif ist: Wegen der Aufregung, dem ungewohnten Schlagzeug-Setup, weil ich noch nie mit diesen Menschen zusammen Musik gemacht habe und nicht aufeinander eingespielt sind. Und auch weil auch meine Schwester so aufgeregt ist, dass sich ein paar Fehler in ihren Gesang einschleichen – was ich selber allerdings gar nicht bemerke.

Dann ist das Stück vorbei. Der Nachtexpress applaudiert und meine Schwester und ich fallen uns überglücklich in die Arme und können uns ein paar Tränen nicht verkneifen. Wer hätte gedacht, dass so etwas jemals wieder möglich sein wird. Mit entsprechendem Equipment und einem aufeinander eingespielten Team – und vor allem mit einem einfacher zu spielenden Song – kann ich wieder Musik mit anderen machen. Alle Bandmitglieder freuen sich enorm mit mir und ich werde herzlich eingeladen, jederzeit wieder vorbeizukommen. Was für ein tolles Erlebnis!

Dann fahre ich glücklich zurück nach Hause. Dass ich in all der Aufregung meine Tasche mit dem Hörequipment im Proberaum vergesse, ist etwas ärgerlich, aber die bekomme ein paar Tage per Post hinterhergeschickt.

Meinen herzlichen Dank nochmal an die tolle Truppe vom Nachtexpress für dieses einmalige Geschenk – ihr seid super!

Tag 183/121 – MerQury

Heute wird das Weihnachtsgeschenk meiner ErstBestenHälfte eingelöst: Wir fahren in die MusicHall Worpswede, um uns dort ein Konzert einer der bekanntesten Queen-Coverbands namens MerQury anzuschauen. Ich war mit meinen elektrischen Ohren auf noch keinem richtigen Rockkonzert und bin sehr gespannt, wie sich das anhören wird und ob die Soundprozessoren mit der hohen Lautstärke zurecht kommen. Der erste Diskotheken-Besuch war in dieser Hinsicht eher ernüchternd, weil die Soundprozessoren Input über 100 dB Lautstärke verzerrt wiedergeben.

Der Abend ist ein voller Erfolg. Ich regele die Lautstärke der Soundprozessoren etwas herunter und schalte in das Musikprogramm, damit hört sich die Musik am besten an. Der Sound ist insgesamt fantastisch und auch die Band macht einen Heidenspaß. Ich war zuerst skeptisch, denn Freddy Mercury kann man einfach nicht kopieren. Aber die Jungs auf der Bühne geben wirklich alles und haben vor allem einen Mordsspaß an ihrem Auftritt, der Musik und mit dem Publikum. Und das sind eigentlich immer die schönsten Konzerte: Wenn man führt, dass jemand auf der Bühne steht, der richtig Spaß an der Sache hat und nicht einfach nur sein Programm herunterspult.

Interessanterweise bemerke ich, dass meine Lippenables-Fähigkeit etwas nachzulassen scheint. Es fällt mir zunehmend schwerer, ohne Ton zu verstehen, Vielleicht schaltet mein Gehirn diese Fähigkeit ein wenig in den Standby-Modus, weil ich es nicht mehr so häufig brauche. Und verschiebt alle vorhandenen Ressourcen auf die Ohren. Das ist zwar etwas schade, aber das Hören ist wichtiger als das Ablesen – wenn es funktioniert. Und das tut es bei mir nach wie vor verdammt gut.

Tag 165/103 – Equipment

Anfang Dezember habe ich von meinem Hörgeräteakustiker eine Mikrofonanlage bekommen. Diese FM-Anlage besteht aus mehreren Tischmikrofonen, die das Gehörte per Funk direkt in meine Soundprozessoren übertragen. Ich benötige diese Ausstattung bei Meetings mit vielen Teilnehmern, die oftmals in großen Räumen stattfinden.

Auch wenn ich mit meinen Cochlea-Implantaten sehr gut verstehen kann stoße ich doch an meine Grenzen, wenn der Sprecher oder die Sprecherin weit entfernt sitzt. Denn selbst mit der besten Technik werde ich immer schwerhörig bleiben und in bestimmten Situationen eingeschränkt sein. Letztendlich kann kein Equipment, kein Implantat und kein Hörgerät so gut funktionieren wie ein gesundes menschliches Ohr. Ich nehme hier immer gern den Vergleich zum menschlichen Auge versus Kamera als Vergleich zur Hilfe: Nicht einmal die teuerste Kamera kann sich so schnell und gut auf unterschiedliche Lichtverhältnisse, Kontraste oder Entfernungen einstellen wie das menschliche Auge. Wer schon einmal versucht hat, bei schlechten Lichtverhältnissen mit hohem Kontrast Fotos zu machen versteht, was ich meine.

Die betreffende Anlage ist von Phonak – einem der bekanntesten Hersteller für Hörgeräte und Hörgerät-Equipment. Von Med-El, der Firma, die meine Hörimplantate herstellt, gibt es einen Funk-Adapter, der mit dieser Anlage kompatibel ist. Man steckt diesen Adapter einfach anstelle der Batteriehülse auf den Med-El Soundprozessor und hat dann automatisch eine direkte und abhörsichere Funkverbindung zu den Mikrofonen.

Med-El Soundprozessor mit Standard-Batteriehülse (aufgesteckt) und Batteriehülse mit Phonak Funkempfänger (daneben). Beide Hülsen sind gleich breit und dick; die Phonak-Hülse ist allerdings deutlich länger.

Ich habe insgesamt 5 der sogenannten Phonak Table Mic II Tischmikrofone bestellt, da ich häufig Meetings und Konferenzen mit vielen Teilnehmern in großen Räumen habe. In diesen Räumen verteile ich die Tischmikrofone dann so, dass ich jede sprechende Person gut verstehen kann. Die Mikrofone sind gekoppelt: Sie arbeiten also zusammen und übertragen das Gesprochene gemeinsam in meinen Soundprozessor. Das funktioniert ausgezeichnet, wenn man einmal verstanden hat, wie die Kopplung funktioniert.

Die Tonqualität ist hervorragend und die Reichweite enorm. Die Mikrofone haben einen eingebauten Akku, der ausreichend Reserven beinhaltet und werden per Micro-USB-Kabel aufgeladen. Die Lautstärke kann mit einer Fernbedienung reguliert werden; auch ein stummschalten ist möglich. Das ist praktisch, weil ich meine Sitznachbarn am Tisch nicht mehr gut höre, wenn sie mich direkt und am Mikrofon vorbei ansprechen. Das ist ein Problem, weil mein Soundprozessor Umgebungsgeräusche, die nicht in der Nähe des Mikrofons erzeugt werden, herunterfährt. Insgesamt ist die Reichweite der Mikrofone allerdings hervorragend und ich verstehe auch Sprecher, die nicht direkt vor dem Mikrofon sitzen, sehr gut.

Cool an den Roger Table Mics ist, dass sie über einen ganz normalen 3,5mm Klinken-Audioeingang verfügen, mit dem man zum Beispiel ein Smartphone, ein Laptop oder auch den Audioausgang des Fernsehgerätes verbinden kann. Das bedeutet, dass ich die Table Mics auch als Kopfhörer nutzen kann, wenn ich Videos, Musik oder Podcasts am Rechner anhöre. Für Telefonkonferenzen sind diese Tischmikrofone weniger geeignet, weil sie bei einem Connect via Audiokabel keinen Input an das Gerät weitergeben können – mein Gesprochenes wird also nur über das Mikrofon des Laptops oder Smartphones an die übrigen Gesprächsteilnehmer gesendet.

Phonak Roger Table Mic II mit Fernbedienung

Neben diesen 5 Tischmikrofonen habe ich auch noch ein spezielles und besonders leistungsfähiges Mikrofon bekommen, den Roger Select. Dieses Gerät hat mehrere integrierte Mikrofone, die in alle Himmelsrichtungen arbeiten. Das Besondere daran ist, dass der Roger Select eigentlich ein vollautomatisiertes Richtmikrofon ist: Er erkennt automatisch, aus welcher Richtung gesprochen wird und richtet das Mikrofon zur passenden Himmelsrichtung aus. Umgebungsgeräusche aus anderen Richtungen werden dabei wirkungsvoll unterdrückt. Das Hören damit funktioniert noch etwas besser als bei den Phonak Table Mics, die zwar auch 360° hören, aber keine eingebaute Richtmikrofon-Funktion haben.

Ein weiterer Vorteil des Roger Selects ist, dass dieses Mikrofon sehr kompakt und deutlich kleiner als die Table Mics ist. Es kann per Clip oder Halsschlaufe auch von einer vortragenden Person getragen werden. Der Clou dabei: Sobald das Gerät nicht waagerecht sondern senkrecht verwendet wird, richtet sich das Mikrofon automatisch nach oben aus. Ich nutze den Roger Select also nicht nur als Tischmikrofon bei kleineren Zusammenkünften mit maximal 7 Teilnehmern, sondern auch als Mikrofon für den Sprecher, wenn ich Vorträge anhöre.

Wichtig ist, dass man dem Sprecher nach dem Ende des Vortrages das Gerät wieder abnimmt. Ansonsten hat man nicht nur ein teures Problem, sondern auch ein unangenehmes, wenn der Referent zum Beispiel direkt nach der Veranstaltung auf die Toilette geht.

Links: Roger Select; mit Halteclip und Halteschlaufe. Rechts oben Dockingstation für den Roger Select. Das Table Mic zum Größenvergleich rechts.

Der Roger Select ist Bluetooth-fähig – ich kann ihn also auch direkt mit meinem Smartphone per Bluetooth verbinden und quasi als Kopfhörer zum Telefonieren verwenden. Die Tonqualität ist dabei sehr gut; allerdings finde ich dieses Setup zu leise zum Telefonieren und auch meine Gesprächspartner sind von der Tonqualität meiner Sprache nicht besonders beeindruckt. Ich werde beim nächsten Nachsorgetermin im Deutschen Hörzentrum in Hannover mit meinem Audiologen sprechen, ob man die Lautstärke erhöhen kann. Leider hat der Roger Select keinen eigenen Lautstärkeregler; ich kann die Lautstärke also nur über die Soundprozessoren direkt verändern.

Schade ist, dass der Roger Select zwar Telefonanrufe meines Smartphones übertragen kann, aber keine Musik. Dafür muss ich eine Dockingstation verwenden, die per Audiokabel mit der Musikquelle, also dem Smartphone oder Laptopt, verbunden wird. Das liegt nach Aussage von Phonak daran, dass FM-Anlagen kein A2DP-Protokoll verarbeiten können. Toningenieure können mit dieser Information sicher etwas anfangen; ich als technischer Laie verstehe nicht wirklich, warum der Ton eines Telefonates übertragen wird aber nicht der Ton meiner Spotify-App. Kabelloses Musikhören in Funk-Qualität wäre wirklich ein Traum. Ich hoffe sehr, dass irgendwann integrierte Bluetooth-Sender von Med-El auf den Markt kommen, mit denen ich Musik ohne Kabel direkt in die Soundprozessoren senden kann.

Weil das Telefonieren mit dem Roger Select wegen der zu leisen Lautstärke nicht wirklich gut funktioniert, verwende ich dafür lieber die Artone 3 MAX Bluetooth Teleschlinge. Diese verbindet sich per Bluetooth mit dem Smartphone und sendet via Induktionsschleife direkt in die Soundprozessoren. Die Soundqualität ist bei einer induktiven Übertragung deutlich schlechter als bei Funk, weil weniger Signale übertragen werden können. Für das Telefonieren reicht es bei mir allerdings. Außerdem ist die Teleschlinge deutlich lauter und auch mein Gesprochenes kommt beim Gesprächspartner deutlicher an.

Bluetooth-Teleschlinge von Med-El

Zusätzlich zu dieser Bluetooth-Teleschlinge habe ich noch eine weitere, kabelgebundene Induktionsschlinge, die nicht per Bluetooth, sondern per Audiokabel mit der Soundquelle verbunden wird. Diese ist allerdings recht groß und ich benutze sie äußerst selten. Wenn die Soundquelle kein Bluetooth hat, ist dieses Gerät allerdings sehr hilfreich.

Zum Musikhören verwende ich am liebsten die Audiokabel, die ich mit einer entsprechenden Batteriehülse direkt mit der Soundquelle verbinden kann. Das ist wie ein Kopfhörer: Die Übertragungsqualität ist hervorragend, ich brauche keinen Strom und keinen Akku und der Tragekomfort ist super.

Audiokabel mit Batteriehülse für den Soundprozessor. Die Silikonhaken an den Hülsen dienen dem besseren Halt hinter dem Ohr.

Eine wichtige Frage ist noch unbeantwortet: Was kostet das alles?

  • Audiokabel bezahlt in meinem Fall die Krankenkasse; ein Kabel kostet etwa 60 Euro.
  • Die Bluetooth-Teleschlinge habe ich mit dem ersten CI von Med-El geschenkt bekommen. Sie kostet etwa 140 Euro.
  • Die Teleschlinge mit Kabel habe ich mit dem zweiten CI von Med-El geschenkt bekommen. Der Preis für dieses Zubehör liegt bei etwa 45 Euro.

Die FM-Anlage mit Roger Select und den Table Mics ist enorm teuer – insgesamt sind bei mir Kosten in Höhe von über 15.000 Euro entstanden. Alleine die FM-Aufsätze für die Soundprozessoren kosten über 1.200 Euro pro Stück. Dazu sind in diesem Betrag 5 Tischmikrofone enthalten, die ich aus beruflichen Gründen benötige.

Die Kostenübernahme für die FM-Anlage habe ich beim Integrationsamt eingereicht. Diese Behörde übernimmt in der Regel die Kosten für die behindertengerechte Ausstattung von Arbeitsplätze mit dem Ziel, behinderten Arbeitnehmer Chancengleichheit im Beruf zu ermöglichen. Neben dem Integrationsamt kann auch die Rentenversicherung als Kostenträger zur Verantwortung gezogen werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Deutschland ist ein Bürokratieland. Es ist deshalb sehr schwer, pauschal zu sagen, wer welche Kosten von welcher Behörde erstattet bekommt. Jeder Antrag muss plausibel und gut begründet sein. Ein guter Hörgeräteakustiker hilft bei der Beantragung von technischen Hörhilfen – und verkauft natürlich auch das entsprechende Equipment.

Mir hilft dieses Equipment ungemein dabei, auch in schwierigen Hörsituationen hervorragende Hörerfolge zu feiern. Ich verstehe bei Meetings oder Vorträgen nahezu jedes Wort, kann prima telefonieren und höre viel Musik über mein Smartphone. Mit Hörgeräten war dies alles nicht möglich – zwar gibt es auch hierfür dieselben technischen Hörhilfen, aber diese nützen nichts, wenn die Hörgeräte kein ausreichendes Sprachverständnis mehr erzeugen können. Es ist natürlich etwas lästig, dass ich im Beruf jetzt relativ viel Equipment mit mir herumschleppen und Bluetooth-Geräte koppeln muss. Aber das ist ein sehr kleiner Preis für ein sehr gutes Hörerlebnis. Und: Die Zubehörtechnik entwickelt sich ständig weiter. Hier wird in den nächsten Jahren noch sehr viel passieren und ich bin sicher, dass der Kabel- und Kopplungssalat in Zukunft noch einfacher zu handhaben sein wird.

Tag 150/88 – Beethoven

Ich mag klassische Musik sehr gerne, auch wenn ich sie zu selten höre. Ich bin mit Mozart aufgewachsen und habe am Klavier viel klassische Musik gespielt. Neben Mozart mag ich besonders Bach und Beethoven sehr gerne. Der zweite Satz von Beethovens Mondscheinsonate ist das schwierigste Stück, das ich je auf dem Klavier spielen konnte. Ich habe lange damit gekämpft, weil ich es unbedingt spielen wollte und ich werde im nächsten Jahr auch versuchen, dieses Stück wieder neu zu lernen.

An das Klavier traue ich mich immer noch nicht wirklich. Mein Hören ist zwar wunderbar, aber das Klavier klingt anders. Ich höre insbesondere die hohen Töne sehr gut; im mittleren Bereich ist die Veränderung zu vorher sehr stark. Dazu kommt, dass Schlagzeug derzeit immer noch Vorrang hat, weil ich so viel Spaß mit diesem Instrument habe, dass für eine zweite musikalische Herausforderung derzeit einfach keine Zeit vorhanden ist.

Heute morgen ruft meine Schwägerin an, die eigentlich mit einer Freundin zu einem Konzert der Berliner Philharmoniker in der Glocke, einem Bremer Konzertsaal, gehen wollte. Die Freundin hatte krankheitsbedingt abgesagt und sie war auf der Suche nach einer alternativen Begleitung. Ich sagte natürlich spontan zu. Auf dem Programm steht Beethovens berühmte 9. Sinfonie, die besonders durch den vierten Satz bekannt ist, in dem der zu diesem Zeitpunkt bereits völlig ertaubte Beethoven das Gedicht ‚An die Freude‚ von Friedrich Schiller vertonte. Diese Melodie ist übrigens auch die offizielle Europahymne.

Ich bin sehr gespannt, ob ich mit meinen Cochlea Implantaten wieder klassische Musik genießen kann. Wir haben gute Plätze vorne im Empore und als es endlich losgeht bin ich restlos begeistert und überwältigt davon, wie gut ich das Orchester und die Musik hören kann. Nahezu alle Instrumente sind klar erkennbar; selbst leise Paukenschläge höre ich gut. Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Leben wieder so etwas Wundervolles in einer solchen Hörqualität genießen kann.

Richtig überwältigend wird es dann, als der Chor die Bühne betritt und der berühmte vierte Satz beginnt.

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,

Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum!
Deine Zauber binden wieder
Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

Ich muss mich wahnsinnig zusammenreißen, um nicht wieder loszuheulen. Es hört sich alles so fantastisch an. Momente wie dieser sind nur schwer zu beschreiben. Ich werde wieder klassische Musik genießen und in die Oper gehen können. All das ist immer noch wie ein wunderbarer Traum und ich möchte am liebsten die ganze Welt küssen.

Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder, überm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen.
Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Freude, schöner Götterfunken
Tochter aus Elysium,
Freude, schöner Götterfunken, Götterfunken.

Tag 8 – Drums & Honors

Heute habe ich mich bei Prof. Dr. Lenarz, dem Leiter der HNO-Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover, für die hervorragende Betreuung und Durchführung der Operation bedankt. Ich war anfangs skeptisch bei der Auswahl der Klink, weil ich vereinzelt negative Kritik über die Beratung dort gelesen habe – die MHH ist sehr groß und führt sehr viele Cochlea-Implantationen durch, was eine straffe Organisation erfordert. Der Ablauf dort ist perfekt durchorganisiert und man durchläuft in den zwei Tagen vor der OP jede Menge Voruntersuchungen, was natürlich anstrengend ist. Ich habe mich allerdings nie gehetzt gefühlt und an jeder Station waren die behandelnden Ärzte und PflegerInnen durchweg freundlich und haben mir alle Fragen ausführlich beantwortet.

Dank der Zusammenarbeit mit dem nebenan liegenden Deutschen Hörzentrum ist auch ausreichend Zeit gewesen, sich über die verschiedenen Implantat-Hersteller zu informieren, die Geräte anzuschauen und ‚anzuprobieren‘. Natürlich kann man vorher nicht ausprobieren, wie die verschiedenen Prozessoren klingen, aber die Passform, Haptik und das Bauchgefühl sind ebenfalls wichtige Entscheidungsfaktoren – ein gutes Sprachverständnis ist mit allen dort angebotenen Produkten möglich. Die Beratung im Hörzentrum war sehr umfangreich und ich wurde auch nicht zu einem bestimmten Produkt hin gedrängt oder überredet.

Ausschlaggebend für die Entscheidung war letztendlich die große Erfahrung, die das HNO-Team der MHH mit Implantationen hat. Da ich im Krankenhaus durch einen Kunstfehler schwerhörig geworden bin, hatte ich große Angst vor diesem Eingriff und mir war wichtig, dass die behandelnden Ärzte viel Erfahrung bei dieser Operation haben. Sicherlich gibt es viele weitere gute Kliniken in Deutschland und ich kenne viele Erfahrungsberichte von CI-Trägern, die auch anderswo sehr zufrieden gewesen sind. Ich kann nur das beurteilen, was ich selbst erlebt habe – und das war der beste Krankenhausaufenthalt meines Lebens.

Ich schlafe immer besser und bin heute spät aufgestanden, weil ich gestern Nacht lange Konzerte auf YouTube geschaut habe. Und habe mich dann ans Schlagzeug gesetzt. Ich habe seit zwei Jahren Schlagzeugunterricht, weil dies das einzige Instrument ist, das ich mit Hörgeräten noch gut hören kann – und weil ich es sowieso schon immer toll fand. Leider kann ich nur solo spielen und nicht mit Musik, weil Drumschläge für Hörgeräte und auch Soundprozessoren ein Worst Case sind. Normalerweise versuchen die Geräte ja laute Knallgeräusche zu unterdrücken und sind auf das Verstehen von Sprache optimiert. Das führt dazu, dass ich beim Drummen keine Umgebungsgeräusche mehr wahrnehme und auch Musik, die entweder direkt ins Hörgerät oder in eine sehr laute Aktivbox geleitet wird, nicht mehr sauber höre und deshalb dem Takt nicht folgen kann. Ich habe hier alles Mögliche versucht: Mit Vibrationsmetronomen, Musik-Visualisierungs-Apps, die den Takt als visuelles Muster wiedergeben, Schlagzeugdämpfern und verschiedenen Hörprogrammen – bisher ohne Erfolg.

Mit dem Cochlea-Implantat geht das deutlich besser. Ich kann das erste Mal zumindest ruhigen Songs problemlos im Takt folgen, auch wenn die Musik nicht mehr gut klingt, wenn das Schlagzeug dröhnt. Das ist ein Riesenerfolg – ich hatte erwartet, dass der Soundprozessor in so einer Extremsituation auch kapituliert. Leider kann ich die Umgebungsgeräusche nicht stumm stellen, wenn der Soundprozessor direkt ans Smartphone angeschlossen ist; das sollte man bei der Erstanpassung aber ändern können. Insgesamt bin ich optimistisch, dass ich mit einem entsprechenden Setup irgendwann Schlagzeug zu Musik spielen kann. Mit dem Audiologen habe ich bei der Frühanpassung bereits besprochen, dass ich eine Trommel mit zur Erstanpassung mitnehme.

Abends schaue ich mit der Familie „The Greatest Showman“ auf DVD – die Musik höre ich wirklich gut und es macht Spaß, aber es wird noch viel Arbeit brauchen, bis ich ohne Untertitel Filme schauen kann. Als großer Filmfan hoffe ich, dass ich irgendwann ins Kino gehen und das Gerede verstehen kann – das wäre fantastisch.