Tag 20 – Blauer Anzug

Der Tag beginnt mit einem Arztbesuch, weil Junior I ein wenig kränkelt. Arzttermine sind für hörgeschädigte Menschen aus mehreren Gründen oftmals schwierig. Man muss alles verstehen und kann wenig kombinieren, wenn es um Krankheiten und medizinische Fachbegriffe geht. Dreimal oder zweimal täglich? Herz oder Schmerz? Darm oder Magen? Zäpfchen oder Tablette? Es kann unangenehm enden, wenn man diese Begriffe verwechselt.

Dazu kommt, dass man Anweisungen oft nicht versteht, wenn man das Mundbild des Arztes nicht sieht – das Abhören der Lunge am Rücken wird damit zu einem Geduldsspiel. Besonders schwierig ist es beim Augenarzt, weil man dort während der Untersuchung nicht von den Lippen ablesen kann. Auch bei Darmspiegelungen ist es nicht so einfach, frontal mit dem Arzt zu sprechen, wenn gefühlte drei Meter Schlauch im Hintern stecken. Bei Operationen muss man die Hörgeräte herausnehmen, bevor es losgeht und ist dem medizinischen Team dann recht hilflos ausgeliefert. Und vor Zahnarztterminen graut es mir nur deshalb, weil ich Menschen, die einen Mundschutz tragen, überhaupt nicht verstehen kann.

Junior I hat eine leichte Halsentzündung und seine Hausärztin ist hocherfreut, dass die Kommunikation mit mir deutlich einfach ist als vorher, wie sie selber sagt. Das ist eigentlich der schönste „Nebeneffekt“ bei der ganzen Sache mit dem Hörimplantat: Alle Menschen, die mir zu tun haben, freuen sich riesig und ich habe das Gefühl, das Implantat überträgt nicht nur elektrische Impulse sondern sondert auch eine Art Glückshormon ab, das meine Gesprächspartner glücklich macht. Tolle Erfindung!

Den überwiegenden Rest des Tages verbringe ich arbeitend und Musik hörend am Computer. Ein schönes Erlebnis habe ich am Abend, als mir die Erstbestehälfte eine Sprachnachricht per WhatsApp verschickt, die ich bis auf ein Wort nach mehrmaligem Hören verstehe:

Dein Vater hat mich angerufen und gefragt, ob Zarah Dir seinen blauen oder schwarzen Anzug gegeben hat. 

Bis auf ’schwarzen‘ habe ich tatsächlich alles verstanden. Ohne Lippen abzulesen.

Abends schaue ich noch etwas Fernsehen und verstehe auch hier immer besser. Auf meinem Fernsehgerät laufen Untertitel immer mit, wenn sie verfügbar sind. Wenn das der Fall ist, schaue ich automatisch hin und lese mit. Das kann ich gar nicht abstellen. Eigentlich wollte ich die Untertitel als zusätzliche Hilfe weiterlaufen lassen und versuchen, das Gesprochene zu verstehen. Das klappt so aber nicht. Ich werde in den nächsten Tagen mal ausprobieren, die Tagesschau ohne Untertitel zu schauen. Zwar verstehe ich dann sicherlich nicht alles, aber für mein Hörtraining scheint das der bessere Weg zu sein.

2 Kommentare zu „Tag 20 – Blauer Anzug“

  • Peter Ostermayer

    Hallo,
    Ich habe Deine Berichte sehr aufmerksam gelesen und finde Deine Erfahrungen seh positiv für mich. Am 13.9. werde ich auch in der MHH implantiert. Ich hoffe, dass ich auch die Frühanpassung bekomme und solche Erfolge habe. Höre erst seit März auf dem rechten Ohr nichts mehr und trage links 1 Hörgerät. Ich würde mich freuen, wenn Du über Deine weiteren Erfahrungen berichtest.

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