Tag 7 – Oma strickt blaue Strümpfe

Ich lache sehr gern und bin seit meiner Jugend ein großer Fan von Kleinkunst und Comedy. Einige meiner Leser wissen vielleicht, dass ich selbst vor einiger Zeit mit ‚Westerwave – no one can reach me the water‚ ein recht erfolgreiches Online-Comedy-Projekt am Start hatte, das ich nach dem Tod von Guido Westerwelle eingestellt habe. Während meiner Studienzeit habe ich jahrelang begeistert das Comedy Arts Festival in Moers besucht, das damals noch unter freiem Himmel stattfand und auch heute noch gehe ich gern auf Kleinkunstfestivals wie z.B. La Strada in Bremen. Ich habe eine große Vorliebe für Clowns, Jongleure (ich jongliere selber auch mit Bällen, Keulen, Fackeln und Diabolos), Kabarett und gute Komiker wie z.B. Loriot oder John Cleese, den ich wahnsinnig gern auf seiner finalen Tour live erlebt hätte, wenn ich ihn verstehen würde. Ich hoffe, dass ich irgendwann mal auf eine Comedy-Live-Veranstaltung gehen und dabei Spaß haben kann.

Für das Zuschauen von Jongleuren oder Pantomimen braucht man im Normalfall keine Ohren, aber alle Künstler, die mit Sprache arbeiten, sind für hörgeschädigte Menschen eine echte Herausforderung – es ist anstrengend, soll aber eigentlich entspannend sein. Ich habe mir in den letzten Jahren deshalb wenig Comedy angeschaut – zum Beispiel Extra-3, das komplett untertitelt ist und ab und zu immer wieder mal Oliver Kalkofes Mattscheibe – denn Kalkofe spricht enorm deutlich und hat ein hervorragendes Mundbild.

Ich erzähle dies alles, weil ich heute auf dem Laptop Comedy geschaut habe – ohne Untertitel. Und das funktioniert schon wirklich gut – wenn es auch nach wie vor große Konzentration erfordert. Nico Semsrott gefällt mir gut, Rüdiger Hoffmann ist auch toll zu verstehen – er spricht ja sehr langsam. Mario Barth (aus Rücksicht auf meine Leser ohne Link) ist so furchtbar flach, wie ich immer dachte und die meisten anderen Künstler, die derzeit mit Stand-Up-Comedy-Programmen über das TV flimmern, sind so lustig wie ein Hörtest mit Nadel durchs Trommelfell. Das bringt mich auf die Idee, eine Liste der Dinge zu machen, für ich auf keinen Fall hören möchte:

  • Mario Barth. Von vorne und von hinten  – hahahahaha!
  • Erbrechen. Hörte ich am Tag nach der Erstanpassung beim Bettnachbarn. Muss nicht sein.
  • Sämtliche Reden von Alexander Gauland und seinen Minions. Siehe „Erbrechen“. Ich hoffe, es gibt keinen Link dazu.
  • Alle Sätze, die mit „ein Youtuber…“ beginnen. Sorry, Junior II – es ist wundervoll, Deine Stimme zu hören, aber ich finde selbst Dein Schnarchen interessanter.
  • Nasse Füsse in Crocs. Ich hoffe, mein Audiologe kann das rausfiltern.
  • Chipstüten. Kartoffelchips gehören in eine Schale oder verboten.

Diese Liste wird noch erweitert – allzu viel habe ich ja noch nicht gehört.

Nach dem Comedy-Vormittag mache ich erste Versuche Englisch zu verstehen. In meinem Beruf läuft die Kommunikation überwiegend auf Englisch und das Verstehen dieser Sprache, die ich schriftlich sehr gut beherrsche, ist eines meiner großen Hörziele. Allerdings ist es gar nicht so einfach Videos zu finden, auf denen Englisch gesprochen wird, bei denen der Sprecher langsam und deutlich spricht und die sein Mundbild zeigen. Die ersten Versuche mit der Tonight Show von Jimmy Fallon sind zwar eher ernüchternd, aber immerhin verstehe ich einzelne Worte und kann mir erstmals vorstellen, dass verbale Kommunikation auf Englisch möglich ist, wenn mein Gegenüber langsam und deutlich spricht und ich weiß, worum es geht. Das wäre schon ein Riesenschritt nach vorne. Wer Tipps für Videos hat, auf denen man gut verständliches Englisch sieht, möglichst männlich, Alltagsthemen und kein Fachchinesisch, kann mir gern eine E-Mail schicken.

Später lade ich mir eine englischsprachige Hörtraining-App auf mein Smartphone – Hearoes. Die Resultate sind deutlich besser als erwartet – vor allem verbessert sich das Verstehen schon in kurzer Zeit enorm. Die Übungen sind teilweise wirklich anspruchsvoll – es gilt zum Beispiel herauszuhören, ob Rat, Bat, Hat, Map oder Nap gesprochen wird. Ich übe damit eine halbe Stunde und erreiche einmal 10 von 10 Punkten; im Normalfall verstehe ich 80% richtig. Interessanterweise sind die Ergebnisse fast doppelt so gut, wenn eine Männerstimme spricht – mit Frauen habe ich es gerade nicht so. Mario Barth würde sich jetzt vermutlich totlachen…

Am Nachmittag kommt eine Freundin aus der Nachbarschaft vorbei und freut sich riesig. Dann besuche ich noch meinen Tennispartner und auch er ist ziemlich beeindruckt. Ich verstehe ihn wirklich gut, selbst als er testweise „Oma strickt blaue Strümpfe“ sagt um herauszufinden, ob ich wirklich so gut höre. Das wäre vorher nie möglich gewesen – ohne passenden Kontext war ich selbst mit Mundbild aufgeschmissen. Denn das Lippenablesen funktioniert selbst bei Power-Lippenablesern nur dann, wenn man halbwegs weiß worum es geht – wie viele lustige „Bad-Lipreading-Videos“ auf Youtube zeigen – wie zum Beispiel von Mark Zuckerbergs Anhörung. Auch Donald Trumps Treffen mit Kim Jong-Un ist wirklich herrlich gemacht- und die Untertitel passen perfekt zum Mundbild.

Am frühen Abend bin ich dann k.o. und das elektronische Ohr macht erst einmal Pause. Insgesamt merke ich heute, dass mir der ruhige Tag gestern sehr gut getan hat. Es ist grade nicht so einfach, die richtige Balance zwischen meinem akustischen Entdeckerdurst und meiner körperlichen und mentalen Leistungsfähigkeit zu finden. Alles ist immer noch sehr aufregend und ich muss mich selber manchmal bremsen.

Spät am Abend schaue ich ein komplettes Konzert der Red Hot Chilli Peppers auf  Youtube. Ich freue mich wahnsinnig auf das erste Live-Konzert mit Implantat.

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