Tag 49 – Black Box

Heute besuche ich nach Feierabend einen Freund und Arbeitskollegen, der ebenfalls auf beiden Ohren hochgradig schwerhörig ist und vor drei Wochen auch sein erstes Hörimplantat bekommen hat. Sein implantiertes Ohr war schon kurz nach Geburt taub und wurde erst später mit Hörgeräten versorgt. Wie bei vielen anderen Cochlea-Implantat Trägern, die ich kenne, funktioniert das Hörimplantat bei ihm nicht so schnell so gut wie bei mir. Zwar hört er deutlich mehr Geräusche als mit Hörgerät, aber die Verarbeitung und Kodierung der Geräusche im Gehirn läuft bei ihm noch nicht so gut und ohne das Hörgerät auf der anderen Seite könnte ich mit ihm nicht kommunizieren.

Auch wenn die meisten Cochlea-Implantat-Träger, die ich in der letzten Zeit kennengelernt habe, zumindest nach einiger Zeit zufrieden mit ihrem Hörimplantat sind, funktioniert es nicht bei allen gleich gut und gleich schnell. Es gibt viele Faktoren, die für den Erfolg entscheidend sind:

  • die Art der Hörschädigung: Hörschädigung heißt nicht oder nur in den seltensten Fällen, dass man leiser hört. Manche Menschen, wie ich zum Beispiel, hören hohe Töne deutlich schlechter als tiefe Töne. Bei anderen ist es genau anders herum. Wiederum andere hören im Frequenzbereich, in dem Sprach liegt, besonders schlecht. Das sind Töne, die im Frequenzbereich zwischen 200 und 4000 Hertz liegen. Manche hören schlecht wegen eines Tinnitus, bei dem man im Ohr Geräusche hört, die nicht von außen erzeugt werden. Es gibt sogar Fälle von Hörschädigung, bei denen Menschen manche Frequenzen deutlich lauter hören als normal. Jede Hörschädigung ist individuell anders und deshalb reagiert jeder Mensch anders auf ein Hörimplantat.Dazu kommt: Hörschädigung kann ihre Ursachen im Innen- oder Mittelohr haben. Bei einem defekten Mittelohr können Mittelohrimplantate helfen. Bei Innenohrschwerhörigkeit kann ein Cochlea-Impantat helfen, wenn der Hörnerv intakt ist. In diesem Fall sind meist die Haarzellen defekt sein, die den Schall, der in die Hörschnecke gelangt, auf den Hörnerv weiterleiten. Wenn die Hörnerven nicht funktionieren, kann ein Cochlea-Implantat nicht helfen. Mittlerweile gibt es aber sogenannte Hirnstammimplantate, bei denen der Schall über ein ähnliches Equipment wie beim Cochlea-Implantat direkt in den Hirnstamm geleitet wird.
  • die Hörbiographie: Es gibt Menschen, die hören wegen eines Unfalles oder eines Hörsturzes von einen Tag auf den anderen nicht mehr. Andere werden langsam schwerhörig. Manche sind von Geburt an schwerhörig oder gehörlos, andere werden erst nach dem Spracherwerb hörgeschädigt. Manche werden von Beginn der Hörbehinderung an optimal mit Hörgeräten versorgt, andere hören längere Zeit nichts oder tragen nie Hörgeräte. Generell kann man sagen, dass ein Hörimplantat dann gute Hörergebnisse ermöglicht, wenn ein normaler Spracherwerb möglich war. Wenn ein Kind von Geburt an gehörlos ist und nie Sprache hört, wird das Gehirn nicht auf das Kodieren von Sprache programmiert und kann später in den meisten Fällen nichts mit gesprochener Sprache anfangen, auch wenn die Töne generell wahrgenommen werden können. Deshalb wird empfohlen, gehörlose Kinder möglichst früh zu implantieren, damit dieser Spracherwerb möglich ist.
  • die persönliche Konstitution: Es gibt Menschen, die lernen generell schneller oder langsamer als andere. Elektronisches Hören ist eine Herausforderung für das Gehirn. Je flexibler und leistungsfähiger dieses Organ ist, umso besser sind die Voraussetzungen für ein gutes Hören mit Hörimplantat.
  • die psychische Konstitution: Ich denke, dass jemand, der positiv eingestellt ist, besser mit einem Hörimplantat zurecht kommen wird als jemand, der eher negativ dazu steht. Bei der ersten Anpassung war ich froh, dass ich Stimmen gehört habe, auch wenn sie sich anfangs furchtbar angehört haben. Wenn der am Anfang furchtbare Sound die Freunde über das Hören der Stimmen überwiegt ist es sicherlich schwieriger, sich mit dem CI anzufreunden und die nächsten Schritte zu machen.
  • die Operation: Innenohrimplantate werden mittlerweile zwar immer häufiger und an vielen Kliniken eingesetzt, aber sie sind dennoch ein recht großer Eingriff in den menschlichen Körper. Die Liste der möglichen Nebenwirkungen ist lang. Der Erfolg der Operation hängt unter anderem davon ab, wie tief die Elektrode ins Ohr geschoben werden kann und wie nah sie am Hörnerv platziert ist.
  • die Nachsorge: Das Einstellen eines Hörimplantates bzw. des dazugehörigen Soundprozessors ist nicht einfach. Je besser die audiologische Nachsorge ist und je besser der Ingenieur den Soundprozessor einstellen und das Feedback des Patienten verarbeiten kann, desto größer wird der Hörerfolg. Und natürlich muss auch der Patient selbst hart arbeiten und das Hören trainieren.

Es ist also sehr schwierig, den Erfolg vorauszusagen. Jedes Hörimplantat funktioniert bei jedem Menschen anders, weil jeder Mensch mit seiner Hörschädigung individuell anders ist. Was bei einem super klappt, kann beim anderen überhaupt nicht funktionieren. Im Normalfall setzt man eine Dauer von circa 6 Monaten voraus, bis ein Patient mit einem Hörimplantat gut Sprache verstehen kann. Ich lerne allerdings immer mehr Personen kennen, die das deutlich schneller schaffen. Dass es bei mir so schnell funktioniert hat, ist vielleicht ein kleines Wunder – mir sind nur wenige Fälle bekannt, die einen derart schnellen Erfolg erzielen konnten. Ich kenne allerdings auch kaum spätertaubte Menschen mit Hörimplantat, die damit nicht zufrieden sind – also Menschen, die einen normalen Spracherwerb hatten und immer mit Hörgeräten versorgt waren. Fast alle hören damit nach ein paar Monaten deutlich besser als mit dem Hörgerät.

Von Geburt an gehörlose Menschen, die später mit einem Cochlea-Implantat versorgt worden sind, haben damit oft Probleme und können kaum Sprache verstehen. Hörimplantate wurden zuerst bei dieser Gruppe eingesetzt; die frühen Implantate hatten noch einen richtigen Stecker im Kopf, der sich oft entzündete. Dies ist ein Grund, warum von Geburt an gehörlose Menschen oft negativ gegenüber Cochlea-Implantaten eingestellt sind. Dazu kommt, dass Gehörlose nicht nur in Deutschland lange für die Anerkennung der Gebärdensprache kämpfen mussten. Es wurde lange Zeit versucht, Gehörlose lautsprachlich zu erziehen und die Gebärdensprache zu unterdrücken. Dementsprechend existiert in dieser Gruppe eine große Angst vor allen Bemühungen, Gehörlose wieder „hörend“ zu machen. Ich kann das nachvollziehen und denke nicht, dass ein Hörimplantat für jeden die optimale Lösung ist. Letztendlich muss es jeder für sich selbst entscheiden. Ein Hörimplantat ist keine Lösung für jeden Hörgeschädigten. Für viele Menschen und auch für mich ist es allerdings eine Offenbarung.

Leider sind die Diskussionsfronten bei diesem Thema teilweise sehr verhärtet. Einerseits wird ein Hörimplantat als Allheilmittel angepriesen, andererseits verteufelt. Das ist schade. Es wäre einfacher, wenn man die Entscheidungen anderer Menschen akzeptieren und nicht versuchen würde, sie von seinem persönlichen Weg zu überzeugen.

Schwierig ist es, wenn es um die Versorgung von neugeborenen Menschen mit Hörschädigung geht, deren gehörlose Eltern eine Implantation ablehnen. Sofern die Chancen gut sind, dass ein solches Kind mit einem Cochlea-Implantat Sprache erlernen und verstehen kann, ist eine Implantation aus meiner Sicht absolut notwendig und sollte in jedem Fall durchgeführt werden. Auch wenn ich die Gehörlosen-Kultur während meiner Schulzeit kennen- und schätzen gelernt habe und Gebärdensprache weitaus leistungsfähiger ist, als viele Menschen denken, sollte man keinem Kind die Chance verbauen, mit Lautsprache aufzuwachsen.

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