Schlagwort: Freunde

Tag 206/144 – Teamwork

Heute geht es zu einem Freund, der in einem Nachbarort eine Schrauberhalle besitzt. Dort habe ich jahrelang meine Volvos gewartet und warten lassen, viel Spaß beim Schrauben gehabt und viel über Automobiltechnik gelernt. An diesem Wochenende steht ein Umzug der Halle an, weil Markus umzieht. Es steht sehr viel Arbeit an: Werkzeuge, Autoteile und jede Menge Kram müssen sortiert und eingepackt, Schwerlastregale und Hebebühnen demontiert werden.

Ich bin schon am Vormittag vor Ort und es sind etwa 10 Helfer mit am Start, von denen ich ein paar vage kenne. Die Stimmung ist gut und das Zusammenarbeiten macht viel Spaß.

Teamwork bei handwerklichen Tätigkeiten oder auch Umzügen ist so eine Sache, die für hörgeschädigte Menschen sehr schwierig sein kann. Denn man braucht zum gemeinsamen Schrauben, Schleppen, Montieren und Demontieren Kommunikation. Wenn man mit schlechten Ohren nicht versteht, ob ein Kreuz- oder Schlitzschraubendreher benötigt wird, ob man mit der schweren Last rechts- oder linksherum gehen soll, ob ein „Stop“ oder ein „weiter“ notwendig ist, ob man oben oder unten festhalten soll – dann macht die Arbeit wenig Spaß und es ist für alle Beteiligten sehr anstrengend. Im schlimmsten Fall kann das auch zu kleinen, mittleren oder großen Katastrophen führen: Wenn der Mit-Träger nicht mehr kann und ich das „Stop!“ nicht verstehe und weiterlaufe. Wenn der Elektriker an der Lampe schraubt und „Schalter aus!“ ruft und ich „Schalter an!“ verstehe. Wenn man überhaupt mitten in der Arbeit alles dreimal erklärt bekommen muss.

Ich habe bislang bei solchen Ereignissen immer Tätigkeitsbereiche gesucht, in denen ich alleine werkeln konnte: Kisten einpacken, kleinere Dinge alleine tragen oder sauber machen. Heute erlebe ich zum ersten Mal, wie viel Spaß Teamwork machen kann, wenn es keine Kommunikationsprobleme gibt. Alle gemeinsamen Arbeiten laufen problemlos und machen viel Spaß. Und ich genieße die Small Talks in den Arbeitspausen sehr.

Am späten Nachmittag bin ich dreckig und k.o. aber glücklich. Nächstes Wochenende folgt der zweite Teil – dann sind wir für’s Erste durch und ich bin um eine schöne Hörerfahrung reicher.

Tag 184/122 – Kohltour

Ich bin zur alljährlich stattfindenden Kohltour der Dorffeuerwehr eingeladen. Kohltouren sind in Norddeutschland sehr beliebt. Man trifft sich früh am Nachmittag und zieht dann den Nachmittag über mit einem Bollerwagen voller überwiegend alkoholischer Getränke gemütlich zu einem Restaurant, in dem dann Grünkohl mit Pinkel gegessen wird. Auf dem Weg wird viel geklönt, es werden Spiele gemacht – und es wird viel getrunken. Man ist meistens in einer reinen Männer- oder als Frau in einer reinen Frauengruppe mit 10 oder mehr Personen unterwegs; aber auch gemischt geschlechtliche Kohltouren werden immer beliebter.

Obwohl ich schon seit 2004 im ländlichen Norden lebe, habe ich bislang selten daran teilgenommen – vor allem deshalb, weil die Kommunikation für mich auf so einer Veranstaltung sehr schwierig ist. Unterhaltungen beim Spazierengehen sind für stark Hörgeschädigte eine totale Herausforderung, weil man dem Gesprächspartner auf die Lippen schauen muss, um ihn zu verstehen. Das ist beim Laufen nicht so einfach. Einfach nebeneinander gehen und sich unterhalten – das konnte ich noch nie.

Dass der größte Teil einer Kohltourtruppe spätestens nach 2 Stunden anfängt zu lallen, macht die Kommunikation für mich ebenfalls nicht einfacher. Betrunkene zu verstehen ist für hörgeschädigte Personen sehr schwierig, weil die Aussprache undeutlicher wird. Beim Lallen verändert sich das Mundbild und Konsonanten gehen komplett verloren. Dazu kommt, dass auch der Inhalt des Gesagten bei zunehmendem Promillepegel immer schwerer zu erraten wird, weil die Logik flöten geht. Die einzige Lösung ist hier, sich selbst ordentlich einen einzuschenken – dann ist es einem auch egal, ob man alles versteht oder etwas komplett falsch versteht. Das merkt der Gesprächspartner dann sowieso nicht mehr.

Dazu kommt, dass die Gespräche häufig quer durch die Gruppe laufen. Und auch bei den Spielen ist es wichtig, dass man die Regeln versteht und dem Gesagten folgen kann. Ich musste mir bislang immer alles drei mal von jemandem erklären lassen und es hat einfach wenig Spaß gemacht, sondern war mit viel Frustration und Anstrengung verbunden.

Obwohl ich schon seit über 10 Jahren in unserem kleinen Dorf mit etwa 500 Einwohnern lebe, hier viele Freunde gewonnen habe und alles andere als isoliert bin, habe dennoch recht wenig Kontakt zu der restlichen Dorfbevölkerung gehabt. Man kennt sich, man sieht sich auf Dorffesten, man sagt ‚Hallo‘ oder nickt sich zu – aber mehr auch nicht. Alles darüber hinaus ist sehr anstrengend – sowohl für mich, als auch für die Gesprächspartner, die oft nicht mehr wissen was sie machen sollen, wenn ich auch bei der zweiten Wiederholung nicht verstanden habe, was gesagt worden ist.

Das ist heute komplett anders. Mit ziemlich jedem aus der ca. 30-köpfigen Kohltourtruppe komme ich heute ins Gespräch. Ich werde oft wegen des Zeitungsartikels in der Kreiszeitung angesprochen und lerne heute viele Leute näher kennen, die ich schon seit Jahren vom Sehen kenne. Und: Ich kann mich auch endlich mit Vollbartträgern unterhalten. Das ging früher gar nicht, weil man hier die Lippen nicht sieht und deshalb auch nicht vom Mund ablesen kann.

Der Nachmittag vergeht wie im Flug mit vielen interessanten und netten Gesprächen. Ich verstehe fast alles und kann auch bei den Spielen völlig problemlos mitmachen (wir machen einen Team-Dartwettbewerb im Wald, was mit ordentlich Alkohol im Blut ziemlich lustig ist). Auch das abschließende Grünkohlessen im Restaurant ist wirklich schön und ich erfahre viel Dorfkolorit und lerne viele Menschen, mit denen ich schon lange im Dorf zusammen lebe, das erste mal richtig kennen.

Das Leben ist so viel einfacher, wenn man seine Mitmenschen gut verstehen kann. Gesellschaftliches Zusammensein ist für mich nicht mehr anstrengend und keine Herausforderung mehr, sondern ich kann es einfach genießen. Vor allem haben viele Menschen keine Hemmungen mehr, mich anzusprechen, weil sie nicht wissen, WIE sie mit mir sprechen sollen. Man darf nie vergessen, dass es nicht nur für einen Hörgeschädigten selber schwierig ist, zu kommunizieren, sondern dass oftmals auch die Gesprächspartner verunsichert sind und nicht wissen, was verstanden wird, wie sie sprechen sollen und was sie machen sollen, wenn die Kommunikation nicht funktioniert.

Aber das ist jetzt Geschichte. Ich bin mittendrin und nicht mehr länger nur dabei.

Tag 159/97 – Überraschung

Heute geht es nach Zürich, wo ich einen sehr guten Freund an seinem Geburtstag überraschen möchte. Da ich diese Woche in Walldorf arbeite, ist der Weg in die Schweiz nicht weit und ich mache mich nach einem etwas vorgezogenen Feierabend mit dem Auto auf dem Weg in den Süden. Ich habe Gregor seit meinen Operationen nicht mehr getroffen; wir haben nur einmal telefoniert bislang. Und ich freue mich sehr auf dieses Treffen mit neuen, elektrischen Ohren.

Gregors Familie ist natürlich eingeweiht und weiß, dass ich am Abend im Restaurant aufkreuzen werde. Kurz vor meiner Ankunft verschicke ich noch einen Geburtstagsgruß per WhatsApp ‚aus Hamburg‘ und wünsche ihm eine schöne Geburtstagsfeier.

Umso größer und gelungener ist die Überraschung, als ich dann auf einmal im Restaurant vor ihm stehe. Der Abend ist wundervoll und die Unterhaltung läuft reibungslos. Ich genieße vor allem den Schweizer Dialekt meiner Freunde sehr – auch dies habe ich vorher zwar ein wenig wahrgenommen, aber nicht so sehr wie jetzt mit elektrischen Ohren. Wir haben uns beide lange nicht gesehen und uns gegenseitig sehr viel zu erzählen. Und natürlich freuen sich alle enorm über meine Hörveränderung. Es ist schön, solche Freunde zu haben.

Mir fällt heute Abend auf, dass die Veränderung in der Kommunikation mit meinen Mitmenschen umso geringer ist, desto besser ich sie kenne. Meine wirklich guten Freunde waren meine Hörschädigung gewohnt und diese war für sie nie ein Problem. Ich habe Menschen, die ich gut kenne, auch immer besser verstanden als Personen, die ich noch nicht so lange kenne. Eigentlich verändert sich in der Kommunikation miteinander durch meine Implantate umso weniger, je besser ich die Menschen kenne. Das ist in keiner Weise negativ – es fällt mir nur gerade auf. Man kann auch mit schlechten Ohren gut durchs Leben kommen. Je mehr mal allerdings mit neuen Bekanntschaften zu tun hat, je mehr man mit unbekannten Menschen kommunizieren muss, desto schwieriger wird die Situation.