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Tag 355/293 – MRT

Seit Anfang Juni habe ich schwere Rückenprobleme. Vermutlich habe ich mir am ersten Juniwochenende, als ich einem Freund beim Umzug seiner Schrauberhalle geholfen habe, den Rücken beim Tragen verrenkt. Die -stündige Autofahrt nach Walldorf zwei Tage später haben meinem Rücken dann wohl den Rest gegeben: Ich kann zwar problemlos laufen und stehen, und auch Liegen und Sitzen ist schmerzfrei, aber das Aufstehen nach dem Sitzen schmerzt enorm und mein gesamter Oberkörper ist danach schief, weil meine Rückenmuskeln sich verkrampfen und in eine Schutzhaltung gehen, um die Wirbelsäule vor einer erneuten möglichen Verrenkung zu schützen. Nachdem auch mehre Sitzungen bei Physiotherapeuten keine wirkliche Besserung gebracht haben, verordnet mein Hausarzt ein MRT (Magnetresonanztomographie) meines Rückens, um festzustellen, ob ich ein ernstes Problem an der Wirbelsäule habe.

Beim MRT wird der Körper in eine Röhre geschoben und von einem enorm starken Magneten, der theoretisch zwei PKWs anheben könnte, ‚durchleuchtet‘. Alle Metallteile am Körper wie zum Beispiel Ohrringe, Piercings oder anderer Schmuck müssen dafür entfernt werden, weil sie sonst vom Magneten in der Röhre angezogen werden können. Cochlea-Implantate haben auch einen Metallbestandteil: Den Magneten, der im Implantat unter der Kopfhaut sitzt und der die Spule des Soundprozessors, in der ebenfalls ein Magnet ist, festhält. Ein MRT ist deshalb für Menschen mit Hörimplantaten eine nicht ungefährliche Angelegenheit.

Früher mussten Implantate für ein MRT operativ entfernt und nach dem MRT wieder re-implantiert werden. Denn es besteht die Gefahr, dass der MRT-Magnet die Implantate anziehen kann. Im schlimmsten Fall können sich die Implantate im Kopf aufstellen, eventuell sogar herausreißen und starke Schmerzen verursachen. Mittlerweile sind aber alle Implantate bis zu einem gewissen Grad MRT-fähig, weil die Magneten im Implantat frei rotieren können und müssen für ein MRT nicht mehr operativ entfernt werden. Die Implantate von Med-El, die bei mir im Kopf sind, halten bis zu 3 Tesla Magnetstrahlung aus – das ist ein Spitzenwert und war einer der Gründe, warum ich mich für Med-El entschieden habe.

Ein weiteres Problem beim MRT ist, dass der Magnet des Implantates das MRT-Bild rund um das Implantat verschleiert. Bei Kopf-MRTs, zum Beispiel wegen Tumorverdachtes, muss das Implantat im schlimmsten Fall auch dann entfernt werden, wenn es ‚MRT-kompatibel‘ ist, um ein deutliches MRT-Bild zu erhalten.

Bei mir muss Gott-sei-Dank nur der Rücken angeschaut werden. Dennoch müssen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, damit das Implantat fest im Kopf bleibt. Dafür bei Menschen mit Hörimplantaten ein Druck-Kopfverband angelegt, in dem eine zusätzliche Versteifung über den Implantaten eingefügt wird. Zwar ist dieser Kopfverband laut Angaben von Med-El optional und nicht mehr unbedingt notwendig, aber ich möchte hier lieber kein Risiko eingehen.

Bei meinem ersten Vorstellungstermin in der Radiologischen Praxis scheinen die Mitarbeiter/innen etwas überfordert zu sein. Ein MRT mit einem Hörimplantat haben sie noch nie gemacht und mir wird empfohlen, in die Klinik Hannover zu fahren, in der ich implantiert worden bin. Dort kennt man sich gut mit diesem Problem aus. Ich rufe also wenig später in Hannover an und erfahre, dass ein Termin frühestens in 3-4 Monaten möglich ist. In der radiologischen Praxis in meiner Nähe wäre es schon am nächsten Tag möglich. Ich lasse mir bei meinem Telefonat mit einer sehr netten Assistentin genaue Informationen geben – auch sie empfiehlt einen Kopfverband mit einer Versteifung.

Auf der Website von Med-El finde ich ausführliche Informationen zum Thema MRT – auch für Radiologen – die ich mir herunter lade und an die radiologische Praxis in Rotenburg sende. Dort bekomme ich dann einen Termin für den nächsten Tag.

Ich habe, ehrlich gesagt, ziemlich Schiss. Für die MRT-Untersuchung bringe ich zwei Pappstreifen mit, die ich vorher aus einem Karton ausgeschnitten habe – denn ich glaube nicht, dass so etwas in der radiologischen Praxis verfügbar ist.

Die ErstBesteHälfte ist natürlich mit dabei – für den Fall, dass irgend etwas schiefgeht. Dann bin ich dran. Ich weise die Schwester darauf hin, dass ich einen Kopfverband mit Versteifung benötige, weil ich Hörimplantate habe

„Das haben wir aber noch nie gemacht.“
„Irgendwann ist immer das erste Mal.“

Ich bestehe auf dem Verband, es wird kurz beraten und dann kommt eine andere Schwester mit Verbandsmaterial und legt mir den Kopfverband an – so fest wie es geht. Die Pappstreifen platziere ich vorher direkt über den Implantaten. Dann geht es aber in die Röhre und mein Herz rutscht ziemlich in die Hose. Es wird schon schiefgehen!

Gottseidank ist das Kopfende der MRT-Röhre offen – ich hasse es ziemlich, in diesen engen MRT-Röhren zu liegen, die nach hinten geschlossen sind. Zur Not kann ich also vorne raus. Dann geht das Gedröhne los und ich warte darauf, dass Blut spritzt, meine Implantate durch den Kopfverband fliegen und an der Decke der Röhre kleben bleiben. Aber nichts dergleichen passiert. Ich spüre kein Ziehen, keine Schmerzen im Kopf – nichts. Vielleicht ein leichtes Pochen, aber das kann auch Einbildung gewesen sein: In solchen Momenten reagiert man wegen der Angst häufig übersensibel und die Psyche kann, wie bei einer psychosomatischen Erkrankung – Schmerzen oder Empfindungen hervorrufen, die keine physiologische Ursache haben, sondern eingebildet sind.

Nach einer gefühlten Ewigkeit werde ich wieder aus der Röhre geschoben. Natürlich geht mein erster Griff zum Kopfverband: Kein Blut, alles trocken, nichts schmerzt. Der Kopfverband wird abgenommen und ich taste erneut die Kopfstellen ab, unter denen die Implantate liegen: Alles scheint in Ordnung zu sein. Ich bin erleichtert. Aber höre ich jetzt noch wie vorher?

In der Umkleidekabine dann gibt es einen kleinen Schreck: Ich bekomme die Spule links nicht an den Kopf angedockt – sie springt beim Aufsetzen immer ab wie bei gleichgepolten Magneten. Ich fange an zu schwitzen, atme ein paarmal durch und dann klappt es wieder – in der Aufregung habe ich den Magneten beim Aufsetzen offenbar nicht genau getroffen, sondern am Rand angesetzt – und genau dann gibt es diesen Effekt. Und: Ich höre nach wie vor gut. Alles ist gut gegangen! Und dass auch mein Rücken nicht ernsthaft beschädigt ist, ist die zweite gute Erfahrung des Tages.


Update: Da das Thema MRT auch für Träger anderer Hörimplantat-Hersteller wichtig ist, habe ich nochmal etwas recherchiert:

  • Cochlear bietet hier Informationen zum MRT mit Cochlear-Implantaten an. Die aktuell verfügbaren Cochlear-Implantate dieses Herstellers sind ebenfalls bis 3,0 Tesla MRT-fähig.
  • Auch die aktuellen Implantate von Advanced Bionics sind mit Einschränkungen bis zu 3.0 Tesla MRT-fähig. Hier gibt es detaillierte Informationen des Herstellers dazu.
  • Das aktuelle Oticon Cochlea-Implantat ist bis 1,5 Tesla MRT-fähig. Bei stärkeren MRTs muss der Magnet chirurgisch entfernt werden. Leider finden sich bei Oticon nur wenige detaillierte Informationen zum MRT.
  • Generell sollte man sich als Implantat-Träger vor einem MRT immer genau beim Hersteller erkundigen, ob das betreffende Hörimplantat MRT-fähig ist und welche Einschränkungen bestehen. Trotz gegenlautender Angaben einiger Hersteller sollte bei einem MRT IMMER ein Kopfverband mit Versteifung angelegt werden.

Tag X – Es funkt!

Erst seit kurzem wird in der Medizinischen Hochschule Hannover eine Frühanpassung des Cochlea-Implantats bzw. des Soundprozessors schon 2-3 Tage nach der Operation angeboten, wenn die operationsbedingte Schwellung bis dahin soweit zurückgegangen ist, dass die Spule am Kopf ausreichenden Kontakt zum darunter platzierten Implantat herstellen kann. Vorteil dieser Frühanpassung ist, dass man sich bis zur Erstanpassung, die ca. 3-4 Wochen nach der Operation stattfindet, bereits an die ersten Höreindrücke gewöhnt und damit bessere Anpassungserfolge erzielen kann. Man kann sich das Ganze so vorstellen, als baut man ein Mischpult auf einem Konzert auf, setzt es auf die Werkseinstellungen, schließt alle Kabel an und testet, ob die Töne durchkommen. Das war es. Keine individuelle Einstellung, keine Aussteuerung der verschiedenen Instrumente, kein Soundmanagement. Dies wird erst in 3-4 Wochen bei der fünftägigen Erstanpassung durchgeführt.

Die Frühanpassung ist morgens um 9 Uhr angesetzt. Meine ErstBesteHälfte (EBH) ist rechtzeitig vor Ort, um diesen Moment mit mir zusammen zu erleben. Ich bin aufgeregter, als es den Anschein hat. Und ich erwarte eigentlich gar nichts – außer Töne oder überhaupt irgendwelche Geräusche wahrzunehmen, die mir zeigen, dass das Implantat funktioniert. Aber dann kommt alles ganz anders.

Der Kontakt zum Implantat ist gut, nachdem der sympathische Audiologe einen stärkeren Magneten eingefügt hat. Noch befindet sich als Folge der Operation etwas Flüssigkeit zwischen Implantat und der darüber liegenden Haut, was aber kein Problem ist.

Als der Soundprozessor eingeschaltet wird, höre ich zuerst Piepstöne im Ohr und bin unendlich erleichtert, dass ich überhaupt etwas wahrnehme. Dann werden die verschiedenen Elektroden der Reihe nach getestet und ich höre bei jeder Elektrode den entsprechend höheren oder tieferen Ton – klar und deutlich. Es funktioniert! In diesem Moment kann ich mich nicht mehr beherrschen. Die ganze Angst und Aufregung der letzten Tage bricht aus mir heraus und meine EBH und ich liegen uns tränenüberströmt in den Armen. ES FUNKTIONIERT!

Ich schalte das Hörgerät auf der linken Seite aus. Der Audiologe spricht mit mir und ich höre seine Stimme – und ich höre auch, dass es eine menschliche Stimme ist. Es hört sich auf den ersten Eindruck an wie Micky Maus nach dem Einatmen von Heliumgas. Aber das ist mir in diesem Moment egal. Schon nach wenigen Minuten verstehe ich den Audiologen in Kombination mit Lippenablesen relativ gut. Seine Stimme ist sehr leise, kommt aber deutlich klarer an als mit dem Hörgerät. Und klingt von Minute zu Minute normaler. Ich bin restlos erleichtert und kann es mir nicht verkneifen ihm zu sagen, dass ich ihn feuern würde, wenn er ein Tontechniker in der Unterhaltungsindustrie wäre, weil der Sound wirklich miserabel ist, aber unter den gegebenen Umständen restlos glücklich bin. Er freut sich ebenso wie ich und meine ErstBesteHälfte riesig über diesen völlig unerwarteten Erfolg.

Die Lautstärke wird noch etwas angepasst, das Zubehör grob erklärt, ein Termin für die Erstanpassung in der ersten Septemberwoche vereinbart und dann geht es mit dem Karton, in dem auch ein Macbook Platz finden würde, zum Med-El-Experten, um sich mit dem Equipment vertraut zu machen. Auch bei diesem Termin lasse ich das Hörgerät aus und kann dem Gespräch gut folgen. Ich habe das erste Ziel, das ich mir bis zum Jahresende gesetzt habe, in einer Stunde erreicht und kann es kaum glauben.

Die Grundausstattung ist bei Med-El sehr umfangreich – ich weiß allerdings nicht, wie es bei den anderen Herstellern aussieht. Ich bekomme erst einmal die Version mit Batterien; der Antrag auf den Wechsel auf Akkus wird direkt ausgefüllt und weitergeleitet. Die Krankenkasse übernimmt entweder die Kosten für die Batterien, die dann regelmäßig zugeschickt werden, oder aber für eine Auswahl von Akkus samt Ladestation, die alle 16 Monate erneuert werden.

[Update: Meine Krankenkasse hat die Beantragung von Akkus aus Kostengründen abgelehnt. Die Versorgung mit Akkus ist tatsächlich deutlich teurer als mit Batterien. Da ich mit den Batterien gut klarkomme und die Med-El-Akkus nicht besonders lange durchhalten, habe ich keinen Widerspruch eingelegt, sondern bleibe vorerst bei Batterien.]

Es gibt bei Med-El große Akkus mit ca. 10 Stunden Laufzeit und kleinere mit etwa der Hälfte, die den Soundprozessor sehr klein machen. Ich entscheide mich für eine Kombination mit zwei kleinen und zwei größeren Akkus. Ebenfalls gleich beantragt wird die Teleschlinge, mit der ich eine drahtlose Übertragung zum Handy initiieren kann, wenn ich sie um den Hals trage. Im Set enthalten ist eine Batteriefachabdeckung mit Klinkenstecker, die ich wie einen Kopfhörer nutzen kann. Dazu gibt es eine Alternativspule mit Lock-Option, damit das Kabel nicht abgehen kann, ausreichend Batterien für die ersten Tage, eine Trockenbox, schön designte Taschen für Soundprozessor samt Zubehör, einen Tester, mit dem man die Funktionsfähigkeit des Soundprozessors und der Spule überprüfen kann, ein Wasserschutz-Set, mit dem man mit Soundprozessor ins Wasser kann, jede Menge Anleitungen, Tipps und die Implantat-ID-Card, die ich immer mit mir führen muss. Die Beratung ist auch hier ausgezeichnet und ich bekomme alles ausführlich erklärt. Und verstehe es. Ohne Hörgerät. Mit Implantat. Und es hört sich gut an.

Dann geht es zurück zur Station. Auf dem Weg dahin fällt meiner EBH auf, dass der Tränensack unter meinem rechten Auge deutlich sichtbar geschwollen ist. Das stellt sich später auf der Station aber als unproblematisch heraus – der Kopf muss erst einmal wieder in Form kommen und die Flüssigkeit, die als Schwellung sichtbar ist, wird verschwinden.

Der erste Höreindruck draußen ist gut – alles ist gut gedämpft und ich fühle mich nicht hörüberfordert. Auf dem Zimmer wird dann das Zubehör noch einmal intensiv in Augenschein genommen, Registrierungskarten werden ausgefüllt, eine Einkaufsliste für Zubehör erstellt, das ich beruflich nutzen möchte – und ich unterhalte mich mit meiner EBH, deren Stimme mittlerweile auch immer natürlicher klingt und wir liegen uns wieder tränenüberströmt in den Armen. Dann brauche ich Schlaf.

Als ich später am Abend wieder aufwache, verbinde ich mein Handy per Klinkenstecker mit dem Soundprozessor und starte eine Hörtraining-App, die ich im Google Play Store heruntergeladen habe. Die Ergebnisse sind auf Anhieb deutlich besser als mit Hörteräten – bei Uhrzeiten verstehe ich 80%, bei Einsilbern nach kurzem Üben 100%. Allerdings werden immer vier mögliche Lösungen gezeigt, so dass man recht gut „hörkombinieren“ kann. Dennoch ist das Implatat dem Hörgerät weitaus überlegen.

Ich schaue Tagessschau auf dem Handy. Ohne Untertitel. Und ich verstehe jedes Wort des Nachrichtensprechers. Bei überlagerten Stimmen (Englisch im Hintergrund, deutsche Übersetzung im Vordergrund) bin ich überfordert, aber den Sprecher verstehe ich klar und deutlich – und das auf einem kleinen Display mit kaum erkennbarem Mundbild.

Dann schmeiße ich Spotify an. Die Empfehlung von Med-El war, mit langsamen Musikstücken zu beginnen, die man gut kennt und die nicht zu viele Instrumente verwenden. Ich starte „Lullaby“ von The Cure und kann es nicht fassen – es hört sich auf Anhieb so viel besser an als mit Hörgeräten! Ich höre zwar kaum Bass, aber alles andere ist schon nach ein paar Takten klarer und deutlicher als ich es jemals in Erinnerung hatte. Die Tränen laufen wieder. A Forest. Don’t you forget about me. Blue Monday. Anfangs klingt alles wie von Micky Maus gesungen, aber spätestens beim dritten Anhören fühlen sich die Stimmen so an, wie ich sie in Erinnerung hatte. The Promise you made – ich höre beide Stimmen des Sängers und der Sängerin und kann sie klar voneinander unterscheiden. Ebenso bei Hate is a 4 letter word. Unfassbar. Ich versuche etwas schnellere und härtere Musik. Are you gonna go my way. Ich höre jeden Drumschlag. Smells like teen spirit. Einfach nur WOW. Ich höre mir eine Videoaufnahme von Junior I an, der in einer Schulband E-Gitarre spielt und höre erstmals, um welchen Song es sich handelt. Und wie toll es klingt. Bis nachts um drei sitze ich im Aufenthaltsraum der Station und höre alles, was ich von früher kenne und mag und will gar nicht mehr aufhören. Eine Gänsehaut jagt die nächste.

Ich habe niemals erwartet, dass ich jemals wieder so gut Musik hören kann. Mir war Musik immer sehr wichtig; ich stamme aus einer sehr musikalischen Familie mütterlicherseits und lernte schon als Kind klassische Musik lieben. Ich lernte früh Klavier spielen und zeigte ein großes Talent, dann kam Posaune im Kirchenblasorchester hinzu, auf der ich später mit Freunden Big Band Jazz und auch Pop spielte. Ab meinem ca. 17. Lebensjahr hörte ich mit dem aktiven Musikmachen auf, weil ich die Töne nicht mehr wirklich unterscheiden konnte und es einfach keinen Spaß macht, wenn man kein direktes Feedback mehr wahrnimmt. Wenn man nicht hört, wenn und was man falsch spielt. Ich bin noch auf Konzerte gegangen, weil ich die Atmosphäre mag und über den Bassrhythmus zumindest bekannte Songs erkennen kann. Die Frustration war dennoch oft hoch, weil das Klangerlebnis bescheiden war.

Zwischendurch schickt mir meine Familie Sprachnachrichten über What’s App. Das „Gute Nacht, Papa!“ von Junior II verstehe ich deutlich und auch bei den anderen zwei Nachrichten verstehe ich einzelne Wörter, wenn auch noch nicht die gesamte Nachricht.

Was für ein Tag. Selbst wenn sich das Hören bei der Erstanpassung im September nicht mehr verbessern wird, was unwahrscheinlich ist: Ich würde es sofort wieder machen. Das ist mehr, als ich im Traum erwartet habe. Ich gehe ins Bett und hoffe, dass das Ganze nicht nur ein verrückter Traum ist.

Tag -1 – Nach der OP

Ich habe relativ gut geschlafen. Meine rechte Kopfhälfte ist von der OP etwas angeschwollen, aber das ist alles im grünen Bereich. Es fühlt sich ein wenig an, als hätte man mir die Haut über den halben Kopf gezogen. Wirkliche Schmerzen habe ich nicht, nur ein Druckgefühl.

Bei der Visite wird mir mitgeteilt, dass alles hervorragend gelaufen ist. Ich informiere Freunde und Verwandte über den erfolgreichen Verlauf der Operation und verbringe den größten Teil des Tages mit Schlafen, Lesen und ein bißchen Rumlaufen. Die Frühanpassung soll morgen, am Freitag, erfolgen, wenn die Schwellung weiter zurückgeht.

Tag -2 – Die OP

Ich habe gut geschlafen und wache frühzeitig auf. Meine ErstBesteHälfte ist bereits da, um emotionalen Beistand zu leisten. Jetzt wird es ernst. Klamotten aus, OP-Kittel an, dann wird die Scheißegal-Pille geschluckt und kurz darauf ist auch der Pfleger da, der mich in den OP schiebt. Ich bin wahnsinnig aufgeregt und kurz vor der Tür kommen dann die Tränen, weil ich eine Scheißangst habe und weiß, dass diese Sache nicht mehr umkehrbar ist. Mit nur einem funktionierenden Ohr bin ich beruflich aufgeschmissen, das war es dann. Zwar bin ich eigentlich positiv, sonst würde ich den Eingriff auch nicht wagen, aber diese Scheißangst…

Ich liege vorm OP, der Oberarzt kommt und fragt noch einmal, welche Seite operiert werden soll. Ich werde wieder ruhiger. Danach erinnere ich mich an nichts. Nicht wie ich in den OP geschoben werde, nicht wie ich narkotisiert werde und auch nicht, wie ich im Aufwachraum wach geworden bin. Es ist, als hätten mich die Men in Black geblitzdingt. Die erste Erinnerung ist, dass ich wieder im Krankenzimmer liege und ein Victory-Zeichen mache. Meine ErstBesteHälfte ist bei mir. Der Kopf dröhnt, aber ich habe keine Schmerzen und bin relativ fit. Meine rechte Gesichtshälfte funktioniert noch. Der Geschmacksinn ist noch da und ich rieche ganz normal. Das Aufstehen ist problemlos und ich habe keine Gleichgewichtsprobleme, aber für ein paar Stunden Tinnitus im rechten Ohr. Der Rest des Tages ist Entspannen; am Nachmittag laufe ich schon wieder vorsichtig durch die Flure.

Die reine OP dauerte 45 Minuten. Das war eine Schnellgeburt. Hoffentlich hört sie gut.