Tag 65/2 – In die Vollen

Auch heute habe ich wenig geschlafen – es ist einfach schwierig, mit einem Druckverband um den Kopf Ruhe zu finden. Auf der implantierten Seite kann ich nicht liegen; wenn ich mich auf die rechte Seite drehe, drückt es links auch. Der Kopf in der Waagerechten dröhnt auch ganz schön – also stelle ich das Krankenhausbettkopfteil hoch und versuche, gerade zu schlafen. Mit Musik im Ohr geht es dann halbwegs.

Um halb sieben weckt wieder das bezaubernder Flutlicht im Krankenzimmer, unter dem der ärztliche Visitentrupp einläuft. Ich habe mit meinem Bettnachbarn die Theorie entwickelt, dass dieses frühe, überfallartige Visitentum einen strategischen Hintergrund hat: Man ist in diesem Moment einfach noch so schlaftrunken, dass man quasi allem zustimmt, nichts hinterfragt und komplett wehrlos ist, weil das Gehirn noch damit beschäftig ist, die Synapsen in die korrekte Spur zu bugsieren. Sollte man es zu diesem frühen Zeitpunkt wirklich schaffen, kritische Fragen zu stellen, flieht die ganze weiße Meute vermutlich sofort durch den Hinterausgang, weil sie damit nicht rechnet. Natürlich tue ich den Ärzten unrecht – zumindest bei mir ist alles super gelaufen und alle Beteiligten haben einen Top Job gemacht. Das bekommen sie von mir dann auch zu hören, nachdem ich es schaffe, meine Sinne halbwegs zusammenzukramen und über meinen raschen Hörerfolg zu berichten. Ich freue mich sehr über das Lob „Vorzeigepatient“, frühstücke, gehe duschen und packe meine Sachen.

Anschließend bekomme ich einen neuen Druckverband, weil die Kopfschwellung doch noch recht hoch ist und die Wunde ein bißchen blutet. Das hat beim letzten Mal besser geklappt, ist aber insgesamt kein Grund zur Sorge. Jede Operation ist anders und jeder Heilungsprozess läuft anders. Vielleicht spielte auch eine Rolle, dass ich die erste OP direkt nach dem Urlaub hatte und gut erholt war. Dieses Mal war ich wegen einer kleinen Magen-Darm-Infektion in der vorigen Woche nicht ganz so fit. Aber insgesamt ist alles im grünen Bereich.  Dann ist auch schon der Entlassungsbrief da und ich wünsche meinem Bettnachbarn, der heute auch entlassen wird, alles Gute. Wir hatten viel Spaß und ich hoffe sehr, dass wir uns irgendwann nochmal wieder über den Weg laufen.

Das rechte Implantat ist natürlich schon am Morgen drin. Die verschiedenen Höreindrücke rechts und links sind schwierig. Ich höre mit beiden Implantaten zusammen natürlich besser als mit dem rechten alleine, aber mit dem neuen, linken alleine ist es schwierig – alles ist viel leiser und undeutlicher. Das ist übrigens völlig normal – das rechte Ohr hat schließlich zwei Monate Hörvorsprung. Beim Musik hören merke ich den Unterschied schon nicht mehr so stark, aber wenn ich die Geräte nacheinander stumm schalte, ist es rechts klar und links hört es sich an, als hätte ich ganz viel Wasser im Ohr.

Dann ist die ErstBesteHälfte auch schon da und wir fahren direkt zu einem Autohändler, weil das ErstBesteAuto leider kaputt ist und ein neues her muss. Auf der Fahrt döse ich noch ein wenig. Anschließend schauen wir uns das Auto im Nachbardorf an und diskutieren mit dem Verkäufer im Autohaus über Konditionen. Ich verstehe alles ausgezeichnet, aber leider kann ich auch mit zwei funktionierenden Implantaten nicht gut verhandeln – dafür gibt es kein Programm. Schade. Nach einer kurzen Probefahrt fahren wir dann nach Hause und rufen einen anderen Autohändler in Wolfsburg an. Oder genauer gesagt: Ich rufe an – mit der ErstBestenHälfte als Dolmetscher, die hinterher total aus dem Häuschen ist, weil ich so viel verstanden habe. Ich habe das selber gar nicht gemerkt. Natürlich habe ich nicht alles verstanden – vor allem dann nicht, als die Dame am Telefon recht lange die Vorzüge des gewünschten Fahrzeugs runterbetete. Aber kurze Dialoge gehen erstaunlich gut – und das selbst mit dem schlechten Lautsprecher am Smartphone; die Kopfhörer habe ich nicht benutzt.

Anschließend geht es erstmal ins Bett – Musik hören und ausruhen. Und dann kann ich es einfach nicht lassen und setze mich ans Schlagzeug: Guns N‘ Roses volle Pulle auf beide elektronische Ohren, Umgebungsgeräusche auf Minimum und ab geht die Post, bis ich halb durchgeschwitzt bin. Eigentlich sollte ich mich schonen, aber es macht so dermaßen viel Spaß, endlich wieder mit beiden Ohren Musik machen zu können, dass es mir in diesem Moment egal ist. Das Schlagzeug war vor der Implantation ja meine letzte Hoffnung, überhaupt noch Musik machen zu können – und es ging nur solo. Jetzt kann ich endlich wieder richtig mit Begleitung Musik machen. Und auch wenn Telefonieren vermutlich wichtiger ist: Wenn ich eine Sache auswählen müsste, würde ich die Musik nehmen. Ohne Telefon komme ich seit 30 Jahren recht gut klar, auch wenn es manchmal schwierig ist. Das Musik machen hat mir viel mehr gefehlt. Und jetzt geht beides wieder. Let’s rock it!

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