Tag 34 – Finetuning

Der Tag beginnt mit einem ausgiebigen Frühstück im Hotel auf dem Medical Center in Hannover, wo ich während der Erstanpassungswoche untergebracht bin. Anschließend geht es zur Audiometrie: Einem Hörtest mit eingeschaltetem Soundprozessor. Das Ergebnis ist ausgezeichnet: Ich nehme Töne in allen Frequenzen ab ca. 15-20 Dezibel wahr.

Dann steht der erste Hörtrainingstermin bei einer Logopädin auf dem Plan. Lisa ist, wie eigentlich alle Mitarbeiter im Deutschen Hörzentrum. sehr nett und die Zusammenarbeit mit ihr macht mir viel Spaß. Wir testen mein Hörverständnis ohne Lippenablesen und auch hier ist das Ergebnis viel besser als nach so kurzer Zeit erwartet. Neben einem Mini-Tablet mit zwei Hörtrainingsapps, das ich bis Freitag ausgeliehen bekomme, erhalte ich sehr hilfreiche Materialien und Tipps für das Hörtraining

  • OLCIT (Oldenburger Cochlea Implantat Trainer) ist eine frei erhältliche Hörtrainings-App für Windows und Apple-Rechner, die mir sehr gut gefällt. Man kann sich hier Einsilber, Zahlen, Sätze und vor allem Sätze ohne Sinn (Peter zeichnet Schnitzel mit Apfelmus an die Wände) als Männer- oder Frauenstimme vorlesen lassen. Die Lautstärke ist einstellbar und man kann zusätzlich verschiedene Störgeräusche (Mensa/Cafe, Straßenlärm, Rauschen) in mehreren Schwierigkeitsstufen hinzuschalten. Die Bedienung ist sehr einfach.
  • Auf dem ausgeliehenen Tablet ist eine Hörtrainings-App des Deutschen Hörzentrums installiert. Diese App ist nicht für Patienten erhältlich. Das macht aber nichts, weil die Umsetzung relativ lieblos ist. Die Lautstärke der vorgelesenen Wörter variiert stark, ohne dass man dies als Benutzer ändern kann. Das mag für den ein oder anderen Sinn machen; ich persönlich mag diese App nicht.
  • Eine weitere App auf dem Tablet ist das VIANNA Hörbuch. Diese App enthält eigentlich nur mp3-Dateien mit verschiedenen Verstehensübungen. Dazu gibt es eine Arbeitsmappe, mit der man die verschiedenen Übungen nachlesen und eintragen kann, was man verstanden hat. Das ist ein bißchen wie ein Lernbuch mit CD und funktioniert sehr gut. Die Übungen sind sehr anspruchsvoll und fordern mich stark heraus – zum Beispiel gilt es, ähnlich klingende Worte wie laden/laben/lagen oder Mappe/Matte/Macke auseinanderzuhalten. Auch ganze Sätze oder Zeitungsartikel werden vorgelesen. Die Übungen sind sehr vielfältig und das Arbeiten mit der Mappe dürfte vor allem älteren Menschen, die mit Apps überfordert sind, deutlich mehr Spaß machen.
  • Ein toller Tipp sind die langsam gesprochenen Nachrichten der Deutschen Welle. Die normalen Nachrichten werden hier noch einmal besonders langsam aufgezeichnet und eignen sich perfekt für ein Hörtraining in deutscher Sprache.
  • Auch die Empfehlung, Hörbücher anzuhören ist eine tolle Idee. Ich werde mir am besten Hörbücher von Büchern besorgen, die ich schon kenne. Das kann man dann auch prima beim Autofahren ausprobieren – auch wenn Musik hier für mich wohl immer Vorrang haben wird.

Nach dem Hörtraining geht es direkt zu einem weiteren Anpassungstermin bei meinem Audiologen. Der Anpassungsplan des Deutschen Hörzentrums sieht nach der Erstanpassungswoche, in der tägliche Sitzungen möglich sind,  weitere Termine nach 3, 6 und 12 Monaten vor – anschließend sind jährliche Sitzungen geplant. Ich kann aber immer zusätzliche Termine vereinbaren, wenn ich das Gefühl habe, dass ich eine Korrektur der Soundprozessor-Einstellungen benötige.

Heute lerne ich, dass die Reset-Taste meiner Fernbedienung  den Soundprozessor nicht auf das Standardprogramm zurücksetzt, sondern lediglich die Lautstärke und Geräuschempfindlichkeitsparameter auf die Standardparameter einstellt. Das ist bei meinen Hörgeräten immer anders gewesen und bedeutet eine Umgewöhnung, weil ich den Soundprozessor jeden Morgen manuell auf das Standardprogramm zurücksetzen muss, wenn ich tagsüber oder Abends mit verschiedenen Programmen experimentiert habe. Kein großes Problem, aber halt eine Umgewöhnung.

Ich erfahre außerdem, dass normale Gesprächslautstärke bei etwa 65 Dezibel stattfindet und der Soundprozessor erst ab ca. 25 Dezibel aktiv wird. Grund dafür ist, dass die Anzahl der Elektroden des Implantats begrenzt ist und die Hauptkapazität der Rechenleistung im Soundprozessor auf das Verstehen von Sprache gelegt wird. Dennoch höre ich übrigens auch leise Geräusche gut – wie zum Beispiel Vogelzwitschern, die Eieruhr oder der hochschnellenden Toaster.

Wir probieren dann eine neue Kodierungsstrategie des Implantats aus: Bei der Standardeinstellung wird jede Elektrode einzeln mit Strom angespielt. Das kann man sich vorstellen wie ein Klavierstück, das mit nur einem Finger gespielt wird. Dieser Finger ist allerdings rasend schnell und erzeugt – zumindest bei mir – ein wirklich gutes Hörverständnis. Die neue Einstellung, die auf ein zweites Programm gelegt wird, damit ich die beiden verschiedenen Kodierungsstrategien vergleichen kann, bespielt mehrere Elektroden parallel – es kommt also ein zweiter Finger zum Klavier hinzu, der ebenso schnell ist, aber etwas leiser spielt. Dadurch bekommt man theoretisch mehr Hörinformationen; allerdings leidet die Klarheit der Töne ein wenig. Ob man mit der einen oder anderen Kodierungsstrategie besser hört, ist von Patient zu Patient unterschiedlich.

Sehr gespannt bin ich auf das neue Musikprogramm, das die Kompression des Soundprozessors stark zurückfährt. Kompression bedeutet, dass zum Beispiel überlaute Geräusche oder Umgebungsgeräusche stark komprimiert bzw. unterdrückt werden, damit man Sprache besser versteht. Der Soundprozessor filtert also quasi ein wenig vor, damit man sich auf die wichtigen Geräusche im Sprachbereich fokussieren kann. Beim Musikhören kann das natürlich störend sein. Mein neues Musikprogramm filtert deutlich weniger vorab und ich bin sehr gespannt, wie sich das später anhören wird.

Nach dem Anpassungstermin gehe ich Mittagessen und dann teste ich den ganzen Nachmittag lang die neuen Soundprozessoreinstellungen mit den Hörtrainings-Apps. Das Verstehen ist insgesamt etwas besser als vorher. Mit der Standardkodierung verstehe ich etwas besser als mit der parallelen Kodierung, die etwas dumpfer klingt. Der Sound ist hier zwar ein bißchen besser, aber das Sprachverständnis leidet minimal. Insgesamt erziele ich durchweg gute Ergebnisse – etwa 80% der gesprochenen Wörter und Sätze verstehe ich, 20% nur teilweise oder falsch – und auch „Quatschsätze“ kann ich spätestens nach dem zweiten oder dritten Anhören gut wiedergeben. Selbst mit Störgeräusch im Hintergrund und einer Reduzierung der Lautstärke auf 50 Dezibel verstehe ich noch relativ viel. Das ist ein hervorragendes Ergebnis und ich freue mich sehr.

Am Abend bin ich dann k.o. – hören lernen ist anstrengend. Ich lege mich ein paar Stunden aufs Ohr (mittlerweile lege ich mich auch gern wieder auf das implantierte Ohr) und fahre dann am späten Abend zu McDonalds, weil ich einfach mal „raus“ muss. Ich fahre generell gerne nachts Auto – vor allem durch Städte. Dabei teste ich heute das Musikhören mit dem neuen Hörprogramm mit weniger Kompression. Und es hört sich absolut fantastisch an – ich hätte nie gedacht, dass man das bisherige Musikhörempfinden mit Implantat noch weiter verbessern kann. Die Töne komme noch klarer an und ich höre noch mehr Details – der Sound ist einfach fantastisch.

Diese Euphoriewelle verleitet mich dazu, bei McDonalds direkt in den Autoschalter zu fahren. Das war für mich bislang immer ein Worst Case, weil ich die Rückfragen des Burgerlings am Lautsprecher nie verstanden habe. Die Dialoge liefen in etwa so:

Lautsprecher: Guten Tag brfxxxxschschschschtttt aga pffffrrrrrz morumpf. 
Ich: Hallo, einen BigMac und einen kleinen Erdbeer-Milchshake bitte.
Lautsprecher: Schschschscht krapps ola Menu schtengl pflorz tagen?
Ich: Einen BigMac und einen kleinen Erdbeer-Milchshake, das ist alles.
Lautsprecher: Achchchchzzzzt pzzzzzffft en krchchchz Menu schlaggapoff tagana?
Ich: ICH MÖCHTE BITTE EINEN BIGMAC UND EINEN KLEINEN ERDBEER-MILCHSHAKE.
Lautsprecher: Kramm schtschtschtscht uffzig.
Ich: Geht klar.

Anschließend fahre ich zur Ausgabe, bezahle und freue mich im Auto über einen leckeren Vanille-Milchshake mit Pommes. Vielleicht ist es beruhigend, dass auch heute nicht alles klappt und ich kein Wort verstehe. Immerhin bekomme ich einen BigMac und auch wenn Erdbeer-Milchshake besser schmeckt, ist der Vanille-Milchshake wirklich ok. Und McDrive ohne Verständnisprobleme ist ab jetzt mein Top-Hörziel – wenn das klappt, habe ich den Gipfel des Hörolymps errungen. Vielleicht fahre ich heute Abend wieder hin, fahre vier mal durch und bestelle jeweils einen Cheeseburger, einmal Pommes, einmal Mayo und einmal Cola. Bis es klappt oder sich die McFachkraft vor Verzweiflung im Frittierfett ertränkt.

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