Tag 14 – Soul

Nach dem vollen gestrigen Tag war heute wieder Erholungsmodus angesagt: Schlafen, schreiben, Musik hören. Als mich die traurige Nachricht vom Tode der großartigen Aretha Franklin erreichte, habe ich natürlich direkt Spotify angeschmissen und mir viele ihrer Songs angehört. Soul klingt mit Cochlea-Implantat prima, weil es einerseits eine sehr gesangsbetonte Musikrichtung ist (im Gegensatz zu Death Metal oder der Hintergrundmusik in Pornofilmen). Der Soundprozessor ist natürlich vor allem für das Verstehen von Sprache programmiert und kommt deshalb besonders gut mit gut hörbarem Gesang klar. Außerdem ist diese Musikrichtig relativ ruhig und nicht überinstrumentalisiert – zwar kommen viele unterschiedliche Instrumente zum Einsatz, die ich mittlerweile auch ganz gut heraushören kann, aber selten alle zusammen auf Anschlag. Genereller Tipp für CI-Träger: Nicht mit Speed Metal anfangen, das ist schwierig. Soul ist definitiv ein besserer Start.

Beim Musikhören versuche ich herauszufinden, ob ich mit dem Cochlea-Implantat das Timbre von Aretha Franklins Stimme überhaupt heraushören kann. Auf Anhieb klappt das nicht. Im Duett mit Annie Lennox bei Sisters are doing it for themselves kann ich allerdings recht schnell die beiden Stimmen unterscheiden und höre, wer von beiden singt. Nach ein paar Songs hat sich der Soundprozessor dann besser an Aretha Franklins Stimme gewöhnt und sie klingt fast genauso, wie ich sie von früher in Erinnerung habe. Mit einem gesunden Ohr hört sich das natürlich viel besser an und ich weiß nicht, ob ich auch mit Cochlea-Implantat jemals in der Lage sein werde, solche stimmliche Feinheiten herauszuhören, die dazu führen, dass man beim Hören eine Gänsehaut bekommt. Das wäre natürlich ein Bonus. Genießen kann ich Musik schon jetzt besser, als ich jemals gedacht habe.

Ich werde momentan oft gefragt, ob ich es bereue, dass ich die Operation nicht früher gemacht habe. Das ist eine schwierige Frage. Natürlich – wenn ich vor 10 Jahren gewußt hätte, dass es so gut klappt, hätte ich es auf jeden Fall gemacht. Wenn die Operationstechnik vor 10 Jahren so weit gewesen wäre, dass die Operation so schnell über die Bühne geht, hätte ich es auf jeden Fall gemacht. Wenn die Soundprozessoren damals so gut gewesen wären, dass ich auf Anhieb so gut gehört hätte wie jetzt, hätte ich es auf jeden Fall gemacht. Aber ich war damals einfach noch nicht soweit. Auch wenn das Leben mit einer schweren Hörbehinderung nicht einfach ist, war ich daran gewöhnt und habe versucht, das Beste draus zu machen. Und das hat sehr gut geklappt – beruflich als auch privat. Mein Leidensdruck war vor 10 Jahren einfach noch nicht so groß und als Freiberufler wäre es auch finanziell schwierig gewesen, über einen längeren Zeitraum auszufallen. Außerdem hatte ich einfach Angst. Wenn einem als Kind bei einer Mandeloperation die Ohren versaut werden ist es nicht so einfach, sich wieder ins Krankenhaus zu bewegen und an sich herum schrauben zu lassen – so etwas bleibt hängen. Und dann kämpft der Kopf gegen den Bauch und der Verstand gegen die Seele.

In diesem Sommer war der Zeitpunkt jetzt einfach da – nach vielen Recherchen und Gesprächen und Grübeleien. Ich denke zwar manchmal daran, wie viel mehr ich im Job und zu Hause mitbekommen hätte, wenn ich schon vor 10 Jahren so „gut“ gehört hätte wie jetzt – vor allem was das Aufwachsen der eigenen Kinder betrifft. Man verpasst ja doch so einiges bei ihrer sprachlichen Sozialisation wie z.B. amüsante Wortschöpfungen oder philosophische Weisheiten aus Kindermund. Vieles habe ich von meiner ErstBestenHälfte übersetzt bekommen; live ist es natürlich besser. Trotzdem ist diese Entscheidung für mich zum richtigen Zeitpunkt gefallen und es ist müßig darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn ich schon vor 5 oder 10 oder 15 Jahren diesen Schritt gewagt hätte. Ich habe es jetzt getan und funktioniert hervorragend. Und ich freue mich auf die Zukunft mit Cochlea-Implantat. Das ist das Einzige, was zählt.

3 Kommentare zu „Tag 14 – Soul“

  • Du hast auf deinen Bauch gehört und genau den richtigen Zeitpunkt gefunden! Besser geht’s nicht!

  • So geht es mir auch , denn der Zeitpunkt jetzt gemacht zu haben, bereue ich nicht, auch nicht, dass ich hätte früher machen sollen . Alles hat seinen Sinn und es gibt kein falsch . Noch höre bin ich am Anfang und höre noch nicht , doch bald ist es soweit am 5.9 und da freue ich mich sehr .

  • Tach auch, das sehe ich genauso:
    Es war die richtige Entscheidung, weil es Deine Entscheidung war. Bei nicht Stimmdomierter Musik und den beiden Beispielen : gröhl !!!!!1111und elf.

    Gruss Bergh

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