Tag 64/1 – Stereo

Auch heute schlafe ich nicht besonders gut. Die Schwellung am Kopf ist über Nacht aber sichtbar zurückgegangen – sicherlich auch dank des Druckverbandes, der zwar etwas lästig war, aber seine Arbeit gut getan hat. Nach dem Frühstück kommt meine Familie zum Besuch. Die Frühanpassung im Deutschen Hörzentrum ist erst um 14 Uhr angesetzt. Also trinken wir schön Kaffee zusammen und anschließend gehen Frau und Kinder ein bißchen in der City shoppen, während ich mich ausruhe und mit dem rechten Ohr Musik höre.

Um kurz vor Zwei treffen wir uns dann vor dem Deutschen Hörzentrum wieder. Wie auch schon bei der ersten Implantation bin ich sehr aufgeregt. Wird es genauso gut funktionieren wie rechts? Oder schlechter? Oder vielleicht sogar besser? Erst einmal muss Papierkram erledigt werden – Registrierung, Krankenakte und Terminfindung für die Erstanpassungswoche, die in genau vier Wochen stattfinden wird. Leider ist der am Montag bestellte Prozessor noch nicht eingetroffen, aber Med-El hat noch ein Gerät in der von mir bestellten Farbe (weiß) vorrätig, so dass die heutige Frühanpassung wie geplant erfolgen kann.

Das erste Signal sieht gut aus – der Kontakt ist da und das Implantat funktioniert. Nachdem ein stärkerer Magnet in die Hörspule eingesetzt worden ist, um trotz der noch vorhandenen Kopfschwellung einen optimalen Kontakt zu ermöglichen, werden die 12 Elektroden durchgetestet. Wie auch beim rechten Ohr vor zwei Monaten kommen alle Signale hervorragend durch und ich bin unheimlich erleichtert, dass technisch alles so funktioniert, wie es soll. Die emotionale Anspannung bei diesem Test ist enorm. Selbst wenn es erst einmal nur um Töne und noch nicht um Sprache geht, entscheidet sich an diesen Punkt, ob das Hören mit dem Implantat möglich sein wird. Natürlich wird schon während der Operation überprüft, ob das Implantat funktioniert und die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Test zwei Tage später nicht erfolgreich ist, ist mehr als gering. Aber dennoch ist dieser erste Test das für mich der Punkt, wo sich die ganze Anspannung der letzten Wochen und Tage schlagartig entlädt und mir das Wasser in die Augen schießt. Es hat geklappt, es wird alles gut.

Nach dem Funktionstest der Elektroden wird die Lautstärke der verschiedenen Töne eingestellt, damit ich alle Frequenzen gleich laut höre. Dann wird der neue Soundprozessor eingeschaltet und den rechten nehme ich erst einmal ab. Und ich höre. Es ist anders als beim ersten Mal vor zwei Monaten – zumindest glaube ich das, denn ich weiß nicht mehr, wie genau ich am ersten Tag mit dem rechten Implantat gehört habe. Der Sound ist ingesamt viel blecherner als auf der rechten Seite, aber ich höre dafür keine Micky-Maus-Stimmen: Alle Stimmen hören sich gleich am Anfang ziemlich natürlich an und ich verstehe meine Audiologin und die ErstBesteHälfte auf Anhieb. Selbst ohne Lippenablesen verstehe ich etwa die Hälfte der gesprochenen Worte. Alles hört sich klar an – aber irgendwie auch wie durch einen Blecheimer gesprochen. Ich weiß nicht mehr, ob dies auch beim der ersten Frühanpassung am Anfang so war – damals war ich so ungeheuer froh, dass ich überhaupt etwas mit dem Implantat gehört habe, dass mir der Sound relativ egal war. Nach zwei Monaten habe ich jetzt auf der rechten Seite ein sehr gutes Hörgefühl und im Vergleich zu der neu implantierten linken Seite hört sich natürlich alles viel besser an. Das ist schwieriger als beim ersten Mal und dämpft die Euphorie etwas.

Der rechte Soundprozessor bleibt erst einmal aus, damit ich mich ganz auf das neue elektronische Ohr links konzentrieren kann. Denn dieses Ohr muss sich jetzt auch erst einmal an das neue Hören gewöhnen. Weil das rechte Ohr nach zwei Monaten mit dem Implantat schon deutlich weiter ist, würden die Einstellungen, die ich auf dieser rechten Seite habe, das linke Ohr am Anfang restlos überfordern. Also bleibt es links erst einmal bei den Werkseinstellungen mit grob angepassten Lautstärke-Einstellungen, die wir am Ende der Anpassungssitzung noch etwas feintunen.

Danach geht es zu Med-El, um den restlichen Papierkram inklusive Registrierung des neuen Gerätes abzuschließen. Ich habe jetzt beide Soundprozessoren an und das beidseitige Hören macht Spaß – auch wenn der Sound auf der neu implantierten linken Seite beschissen ist. Interessanterweise verstehe ich Sprache dennoch deutlich besser als am Anfang auf dem rechten Ohr. Ich hoffe, dass sich der Soundeindruck des linken Ohres in den nächsten Wochen dem rechten angleicht und dass ich dann mit beiden in etwa gleich hören kann. Dazu muss ich das neu implantierte linke Ohr „solo“ trainieren, weil das Gehirn sich ansonsten auf den besser funktionierenden rechten Hörteil fokussiert. Den rechten Soundprozessor darf ich aber auch nicht vernachlässigen, weil mein Hören auf dieser Seite dann wieder zurückgeworfen wird. Ich muss also schauen, dass das linke Ohr an den Level des rechten Ohres herankommt und es entsprechend mehr fordern. Das wird gar nicht so leicht.

Dann sind wir durch. Ich bin ziemlich k.o. und schicke die glückliche Familie nach Hause. Nach einer kurzen Ruhepause kann ich es mir dann nicht verkneifen, meine Hörtraining-Apps mit dem neu implantierten linken Ohr zu testen. Ich erreiche bei nahezu allen Hörübungen auf Deutsch die volle Punktzahl – Preise, Uhrzeiten, Zahlen, Einsilber, Sätze vervollständigen: Alles kommt sauber an und wird gut verstanden. Selbst mit Störgeräusch verstehe ich das meiste Gesprochene. Meine ErstBesteHälfte schickt mir kurz darauf eine Sprachnachricht über WhatsApp, die ich ebenfalls – nur mit dem linken, frisch implantierten Ohr – beim ersten Hören einwandfrei verstehe. Wow. Damit habe ich nicht gerechnet.

Musik hört sich auf dem frisch implantierten Ohr deutlich schlechter an als auf dem rechten – ich habe das Gefühl, dass die mittelhohen Frequenzen zu stark betont sind. Vielleicht kann ich das morgen noch einmal nachjustieren lassen – ansonsten muss ich vier Wochen bis zur Erstanpassungswoche warten. Aber dennoch ist es ein wundervolles Gefühl, Musik auf beiden Ohren zu hören – selbst wenn der Sound links noch nicht optimal ist. Ich bin mehr als zufrieden und freue mich auf die kommenden Tage!

1 Kommentar zu „Tag 64/1 – Stereo“

  • Peter Ostermayer

    Hallo Chris, meine besten Glückwünsche, dass es gleich so gut geklappt hat. Ich bin ja nächste Woche in Hannover zur Erstanpassungswoche. Leider kann ich mein CI zur Zeit noch nicht tragen da der Msgnet nicht hält. Hoffe es klappt dann in Hannover.

Schreibe einen Kommentar