Implantastisch

Ich habe im August und im Oktober 2018 nach 40 Jahren an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit zwei Cochlea Implantate bekommen und berichte in diesem Blog über meine Erfahrungen damit und meinen Höralltag.

Vom ersten Tag an habe ich mit dem Implantat sehr gut hören können und sehr schnell unglaubliche Hörerlebnisse gefeiert. Mein Leben hat sich dadurch sehr verändert.

Ein so rascher und durchschlagender Erfolg nach einer Implantierung ist nicht die Regel, sondern eine Ausnahme. Ich habe keine Erklärung dafür, warum es bei mir so schnell und so gut funktioniert hat, nehme dieses Wunder nach 40 Jahren Pech mit den Ohren aber gerne an.

In den meisten Fällen dauert es deutlich länger, bis ein Patient mit einem CI Sprache gut verstehen oder Musik hören kann. Der Erfolg hängt sehr stark von verschiedenen Faktoren ab und ist mit harter Arbeit verbunden. Entscheiden ist vor allem die Hörbiographie des Patienten: Wer schon im frühen Kindesalter nichts gehört hat, der wird auch mit einem Cochlea Implantat sehr wahrscheinlich einen langen und schwierigen Weg vor sich haben. Je länger ein Ohr nichts gehört hat, desto länger wird es dauern, bis es mit einem Hörimplantat hören und verstehen kann.

Aufgrund der vielen Erfahrungsberichte anderer CI-Patienten hatte ich mir vor meiner ersten Operation als Ziel gesetzt, 6 Monate nach der Implantation Sprache verstehen und nach einem Jahr wieder Musik hören zu können. Dieses Ziel ist realistisch. Dass ich bereits nach einem halben Tag soweit war, ist ein medizinisches Wunder.

Ich hoffe, mit diesem Blog anderen Hörgeschädigten ein bißchen die Angst vor einer CI-Operation nehmen zu können. Die weitaus meisten Träger eines Hörimplantates bereuen ihre Entscheidung nicht und hören damit deutlich besser als vorher. So schnell wie bei mir geht es bei den wenigsten.

Und hier beginnt meine Geschichte.

Tag 364/302 – Amsterdam

Heute vormittag vor genau einem Jahr bin ich auf der rechten Seite implantiert worden. Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit vergangen ist und wieviel seitdem passiert ist.

Das OP-Jubiläum feiere ich zusammen mit der ErstBestenHälfte in den Niederlanden. Wir haben uns ein paar Tage von Junior I und II verabschiedet, die mit der tatkräftigen Unterstützung unserer tollen Nachbarn mittlerweile auch ganz gut alleine zurecht kommen, und nahe Amsterdam am Ijsselmeer einquartiert – in einem wunderschönen, romantischen Hotel in einem uralten Haus in der Altstadt von Edam, dem weltberühmten Käsedorf.

Es macht mir nach wie vor sehr viel Spaß, an allen möglichen Orten Menschen anzusprechen: Im Hotel, im Restaurant oder auch im Laden – und einfach ein bißchen zu quatschen. Wir lernen nette Menschen aus den Niederlanden, aus Dresden, Südtirol und Granada kennen und auch die Kommunikation auf Englisch klappt hervorragend.

Am heutigen Tag sind wir in Amsterdam unterwegs – eine wundervolle Stadt, in der ich tagelang herumlaufen könnte. Wir shoppen ein bißchen, essen gut, trinken viel Kaffee, genießen die Schönheit der Grachten und bummeln endlos durch die kleinen Gassen. Und dann entscheide ich mich eher spontan dazu, mir einen langgehegten Traum zu erfüllen: Ich lasse mir zur Feier des Tages ein Augenbrauenpiercing stechen. Das ist vielleicht die bekloppteste aller Ideen, den Jahrestag einer Hörimplantation zu feiern, aber ich war immer schon etwas verrückt und habe auch mit knapp über 50 nicht vor, das zu ändern.

Spätestens nächstes Jahr kommt dann ein Tattoo. Am liebsten hätte ich ein Kopf-Tattoo, welches die Spule meines Audioprozessors kreativ mit einbindet… falls jemand Ideen hat, immer her damit ;-)

Tag 356/294 – Auslandsurlaub

Heute sind wir spontan für ein paar Tage ans Meer gefahren – nach Südschweden, zu unserem Lieblingscampingplatz, auf dem wir mit dem Zelt direkt am Strand campen können. Auch wenn ich immer gern neue Länder, Plätze und Erfahrungen suche, zieht es mich und meine Familie immer wieder an diesen traumhaften Platz. Der Strand ist wundervoll und nicht überfüllt, das Wasser sauber und es fällt nicht steil ab, alle paar Stunden kommen große Wellen, die von den Fährschiffen verursacht werden, die in naher Entfernung durch die Ostsee fahren und man lernt dort immer wieder nette Menschen kennen, die genau wie ich sehr naturverbunden sind und abends lieber am Lagerfeuer sitzen, anstatt in einer Hotelanlage auf dem reservierten Liegestuhl am Pool zu liegen und Cocktails zu schlürfen. Pauschalurlaub war noch nie mein Fall – ich bin eigentlich immer mit dem Zelt unterwegs oder übernachte in einer Ferienwohnung oder privat via AirBnb. Wir treffen dort auch regelmäßig Menschen wieder, die wir in früheren Urlauben kennen gelernt haben und teilweise haben sich auch private Kontakte ergeben, die bis heute fortbestehen.

Für Hörgeräte oder Audioprozessoren ist so ein Urlaub eine enorme Herausforderung. Vor allem der Sand, der sich nach ein paar Tagen auch im Zelt ausbreitet, ist für die Technik kritisch. Bei großer Hitze schwitzt man – vor allem wenn man ein 30 Kilo schweres Familienzelt auf- oder abbauen muss. Wenn es regnet, ist man nie ganz trocken und da wir ohne Strom zelten, ist das Verwenden einer elektrischen Trockenbox, welche die Feuchtigkeit aus dem Hörequipment zieht, problematisch – das geht eigentlich nur im Waschraum, wo man dann zwei Stunden neben dem Gerät sitzen und darauf warten muss, dass die Trocknung beendet ist.

Da ich in der letzten Zeit sowieso Probleme mit dem Eindringen von Feuchtigkeit in meine Audioprozessoren hatte, bin ich ein bißchen pessimistisch. Letztendlich hat aber alles besser geklappt, als erwartet.

Wichtig ist, dass man Behälter dabei hat, die dicht sind und in die kein Sand eindringen kann. Ich habe dafür die kleinen Täschchen verwendet, die man von Med-El mit dem Audioprozessor bekommt und die Prozessoren immer, aber auch wirklich immer dort verstaut, wenn ich sie abgenommen habe – und nicht etwa auf einen Kleiderhaufen legt oder sonst irgendwohin, wo sie aus Versehen im Sand landen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden können. Beim Zeltauf- und Abbau habe ich sie abgenommen, weil dies bei knapp 30 grad am Strand doch sehr schweißtreibend ist. Für das Trocknen habe ich eine Trockenbox mit Trockenkapseln dabei gehabt, die ich aber nicht verwenden musste. Einige Male habe ich die Audioprozessoren in der Sonne trocken lassen – allerdings nicht in der vollen Sonnenstrahlung, weil diese Hitze problematisch werden kann, sondern ein wenig im Schatten – und sicher abgelegt in einem Plastikteller oder eine Schüssel an einer Stelle, wo niemand aus Versehen gegen stoßen kann.

Wie jedes Mal an diesem Platz lernen wir auch diese Jahr wieder nette Menschen kennen – und zum ersten Mal, seitdem ich dort hinfahre, sind diese Gespräche nicht anstrengend für mich, sondern sie machen einfach Spaß. Wir treffen eine nette Familie aus Thüringen wieder, die schon vor vier Jahren neben uns gezeltet hat und es ist wunderschön, auch Abends im Dunkeln zusammenzusitzen und sich zu unterhalten, ohne dass ich dabei einen Halogenstrahler auf das Gesicht meiner Gesprächspartner richten muss, um von den Lippen ablesen zu können.

Auch das Einkaufen, im Restaurant, überall dort, wo ich Englisch brauche, ist alles so viel einfacher. Ich verstehe nicht alles, aber fast alles und fühle mich so viel sicherer in der Kommunikation als früher.

Die Urlaubstage sind leider wegen einer herannahenden Gewitterfront viel zu schnell vorbei. Aber es war dennoch eine wundervolle Erfahrung, auch im Ausland so gut hören und kommunizieren zu können und ich freue mich wahnsinnig auf den nächsten Auslandsaufenthalt.

Tag 355/293 – MRT

Seit Anfang Juni habe ich schwere Rückenprobleme. Vermutlich habe ich mir am ersten Juniwochenende, als ich einem Freund beim Umzug seiner Schrauberhalle geholfen habe, den Rücken beim Tragen verrenkt. Die -stündige Autofahrt nach Walldorf zwei Tage später haben meinem Rücken dann wohl den Rest gegeben: Ich kann zwar problemlos laufen und stehen, und auch Liegen und Sitzen ist schmerzfrei, aber das Aufstehen nach dem Sitzen schmerzt enorm und mein gesamter Oberkörper ist danach schief, weil meine Rückenmuskeln sich verkrampfen und in eine Schutzhaltung gehen, um die Wirbelsäule vor einer erneuten möglichen Verrenkung zu schützen. Nachdem auch mehre Sitzungen bei Physiotherapeuten keine wirkliche Besserung gebracht haben, verordnet mein Hausarzt ein MRT (Magnetresonanztomographie) meines Rückens, um festzustellen, ob ich ein ernstes Problem an der Wirbelsäule habe.

Beim MRT wird der Körper in eine Röhre geschoben und von einem enorm starken Magneten, der theoretisch zwei PKWs anheben könnte, ‚durchleuchtet‘. Alle Metallteile am Körper wie zum Beispiel Ohrringe, Piercings oder anderer Schmuck müssen dafür entfernt werden, weil sie sonst vom Magneten in der Röhre angezogen werden können. Cochlea-Implantate haben auch einen Metallbestandteil: Den Magneten, der im Implantat unter der Kopfhaut sitzt und der die Spule des Soundprozessors, in der ebenfalls ein Magnet ist, festhält. Ein MRT ist deshalb für Menschen mit Hörimplantaten eine nicht ungefährliche Angelegenheit.

Früher mussten Implantate für ein MRT operativ entfernt und nach dem MRT wieder re-implantiert werden. Denn es besteht die Gefahr, dass der MRT-Magnet die Implantate anziehen kann. Im schlimmsten Fall können sich die Implantate im Kopf aufstellen, eventuell sogar herausreißen und starke Schmerzen verursachen. Mittlerweile sind aber alle Implantate bis zu einem gewissen Grad MRT-fähig, weil die Magneten im Implantat frei rotieren können und müssen für ein MRT nicht mehr operativ entfernt werden. Die Implantate von Med-El, die bei mir im Kopf sind, halten bis zu 3 Tesla Magnetstrahlung aus – das ist ein Spitzenwert und war einer der Gründe, warum ich mich für Med-El entschieden habe.

Ein weiteres Problem beim MRT ist, dass der Magnet des Implantates das MRT-Bild rund um das Implantat verschleiert. Bei Kopf-MRTs, zum Beispiel wegen Tumorverdachtes, muss das Implantat im schlimmsten Fall auch dann entfernt werden, wenn es ‚MRT-kompatibel‘ ist, um ein deutliches MRT-Bild zu erhalten.

Bei mir muss Gott-sei-Dank nur der Rücken angeschaut werden. Dennoch müssen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, damit das Implantat fest im Kopf bleibt. Dafür bei Menschen mit Hörimplantaten ein Druck-Kopfverband angelegt, in dem eine zusätzliche Versteifung über den Implantaten eingefügt wird. Zwar ist dieser Kopfverband laut Angaben von Med-El optional und nicht mehr unbedingt notwendig, aber ich möchte hier lieber kein Risiko eingehen.

Bei meinem ersten Vorstellungstermin in der Radiologischen Praxis scheinen die Mitarbeiter/innen etwas überfordert zu sein. Ein MRT mit einem Hörimplantat haben sie noch nie gemacht und mir wird empfohlen, in die Klinik Hannover zu fahren, in der ich implantiert worden bin. Dort kennt man sich gut mit diesem Problem aus. Ich rufe also wenig später in Hannover an und erfahre, dass ein Termin frühestens in 3-4 Monaten möglich ist. In der radiologischen Praxis in meiner Nähe wäre es schon am nächsten Tag möglich. Ich lasse mir bei meinem Telefonat mit einer sehr netten Assistentin genaue Informationen geben – auch sie empfiehlt einen Kopfverband mit einer Versteifung.

Auf der Website von Med-El finde ich ausführliche Informationen zum Thema MRT – auch für Radiologen – die ich mir herunter lade und an die radiologische Praxis in Rotenburg sende. Dort bekomme ich dann einen Termin für den nächsten Tag.

Ich habe, ehrlich gesagt, ziemlich Schiss. Für die MRT-Untersuchung bringe ich zwei Pappstreifen mit, die ich vorher aus einem Karton ausgeschnitten habe – denn ich glaube nicht, dass so etwas in der radiologischen Praxis verfügbar ist.

Die ErstBesteHälfte ist natürlich mit dabei – für den Fall, dass irgend etwas schiefgeht. Dann bin ich dran. Ich weise die Schwester darauf hin, dass ich einen Kopfverband mit Versteifung benötige, weil ich Hörimplantate habe

„Das haben wir aber noch nie gemacht.“
„Irgendwann ist immer das erste Mal.“

Ich bestehe auf dem Verband, es wird kurz beraten und dann kommt eine andere Schwester mit Verbandsmaterial und legt mir den Kopfverband an – so fest wie es geht. Die Pappstreifen platziere ich vorher direkt über den Implantaten. Dann geht es aber in die Röhre und mein Herz rutscht ziemlich in die Hose. Es wird schon schiefgehen!

Gottseidank ist das Kopfende der MRT-Röhre offen – ich hasse es ziemlich, in diesen engen MRT-Röhren zu liegen, die nach hinten geschlossen sind. Zur Not kann ich also vorne raus. Dann geht das Gedröhne los und ich warte darauf, dass Blut spritzt, meine Implantate durch den Kopfverband fliegen und an der Decke der Röhre kleben bleiben. Aber nichts dergleichen passiert. Ich spüre kein Ziehen, keine Schmerzen im Kopf – nichts. Vielleicht ein leichtes Pochen, aber das kann auch Einbildung gewesen sein: In solchen Momenten reagiert man wegen der Angst häufig übersensibel und die Psyche kann, wie bei einer psychosomatischen Erkrankung – Schmerzen oder Empfindungen hervorrufen, die keine physiologische Ursache haben, sondern eingebildet sind.

Nach einer gefühlten Ewigkeit werde ich wieder aus der Röhre geschoben. Natürlich geht mein erster Griff zum Kopfverband: Kein Blut, alles trocken, nichts schmerzt. Der Kopfverband wird abgenommen und ich taste erneut die Kopfstellen ab, unter denen die Implantate liegen: Alles scheint in Ordnung zu sein. Ich bin erleichtert. Aber höre ich jetzt noch wie vorher?

In der Umkleidekabine dann gibt es einen kleinen Schreck: Ich bekomme die Spule links nicht an den Kopf angedockt – sie springt beim Aufsetzen immer ab wie bei gleichgepolten Magneten. Ich fange an zu schwitzen, atme ein paarmal durch und dann klappt es wieder – in der Aufregung habe ich den Magneten beim Aufsetzen offenbar nicht genau getroffen, sondern am Rand angesetzt – und genau dann gibt es diesen Effekt. Und: Ich höre nach wie vor gut. Alles ist gut gegangen! Und dass auch mein Rücken nicht ernsthaft beschädigt ist, ist die zweite gute Erfahrung des Tages.


Update: Da das Thema MRT auch für Träger anderer Hörimplantat-Hersteller wichtig ist, habe ich nochmal etwas recherchiert:

  • Cochlear bietet hier Informationen zum MRT mit Cochlear-Implantaten an. Die aktuell verfügbaren Cochlear-Implantate dieses Herstellers sind ebenfalls bis 3,0 Tesla MRT-fähig.
  • Auch die aktuellen Implantate von Advanced Bionics sind mit Einschränkungen bis zu 3.0 Tesla MRT-fähig. Hier gibt es detaillierte Informationen des Herstellers dazu.
  • Das aktuelle Oticon Cochlea-Implantat ist bis 1,5 Tesla MRT-fähig. Bei stärkeren MRTs muss der Magnet chirurgisch entfernt werden. Leider finden sich bei Oticon nur wenige detaillierte Informationen zum MRT.
  • Generell sollte man sich als Implantat-Träger vor einem MRT immer genau beim Hersteller erkundigen, ob das betreffende Hörimplantat MRT-fähig ist und welche Einschränkungen bestehen. Trotz gegenlautender Angaben einiger Hersteller sollte bei einem MRT IMMER ein Kopfverband mit Versteifung angelegt werden.

Tag 349/287 – Big Little Lies

Seit meiner Jugend, in der sich mein Gehör rapide verschlechtert hatte, schaue ich Filme und Serien eigentlich nur mit Untertitelung. Ins Kino bin ich fast nur dann gegangen, wenn eine Originalversion mit Untertiteln (OmU) auf dem Programm stand. In einigen, wenigen Fällen, wenn ich Blockbuster, die nicht in Programmkinos liefen, unbedingt sehen wollte, habe ich mir die Handlung vorher durchgelesen, um halbwegs zu verstehen, worum es ging. Beim Fernsehen habe ich immer Teletext-Untertitel verwendet, sofern diese verfügbar waren. Ich habe häufig DVDs und später BluRays gekauft, weil hier eigentlich immer Untertitel verfügbar sind. Und auch mit meinen Hörimplantaten habe ich die Untertitel meistens angelassen, weil ich es so gewohnt bin und weil es mir auch mit Hörimplantaten einfach zu anstrengend war, über einen längeren Zeitraum konzentriert zuzuhören. Gelegentlich habe ich die Untertitel für eine halbe Stunde oder eine Episode einer Serie ausgeschaltet und den ein oder anderen Tatort habe ich auch schon ganz ohne Untertitel geschaut. Aber generell wollte ich auf diese Unterstützung bislang nicht verzichten.

Ich brauche sie jetzt nicht mehr. Meine EBH wollte gern mit mir ‚Big Little Lies‘ schauen – eine siebenteilige US-amerikanische Fernsehserie auf Sky, bei denen die Untertitel – warum auch immer – zwar angekündigt waren, aber nicht funktionierten. Ich habe es trotzdem versucht – und die komplette erste Staffel dieser wirklich tollen Serie komplett ohne Untertitel angeschaut. In den gesamten sieben Folgen musste ich vielleicht ein oder zweimal anhalten und meine EBH fragen, was gesagt wurde oder ob ich richtig verstanden habe. Abgesehen davon habe ich fast alles verstanden und konnte der Handlung hervorragend folgen. Ich muss hinzufügen, dass in dieser Serie eigentlich nonstop geredet wird – und zwar überwiegend von Frauen, die ich normalerweise wegen der höheren Stimmlage etwas schlechter verstehe als Männer. Außerdem sprechen die Schauspieler Englisch – Lippenablesen ist also nicht möglich.

Seitdem schalte ich Untertitel nicht mehr automatisch an, sondern nur noch dann, wenn ich enorm müde bin, die Schauspieler gar nicht verstehe oder meine Teleschlinge, die per Bluetooth mit dem Fernseher verbunden ist, nicht aufgeladen oder verlegt ist. Das Verstehen über den Fernseher selbst ohne Equipment, das mir den Ton direkt in die Audioprozessoren speist, ist mit meinem Fernsehgerät leider nicht möglich – dazu ist die Soundqualität zu schlecht. Vielleicht bekomme ich dieses Problem mit einem besseren TV-Gerät oder einer hochwertigen Soundbar noch besser in den Griff. Bis dahin freue ich mich darüber, dass ich endlich kein oder kaum noch ein Handicap beim Anschauen von Filmen und Serien habe. Und freue mich darauf, die zweite Staffel von ‚Haus des Geldes‘ untertitelfrei genießen zu können.

Tag 345/283 – Sonnet 2

Heute habe ich erfahren, dass eine neue Generation meines Audioprozessors von Med-El auf dem Markt ist: Der Sonnet 2. Dieser Audioprozessor ist natürlich mit meinem Implantat kompatibel und bietet den großen Vorteil, dass eine direkte Bluetooth-Verbindung mit dem Smartphone hergestellt werden kann. Dieses Feature vermisse ich schmerzlich – ich muss bei meinem Sonnet 1 entweder einen Kopfhörer oder eine sogenannte Teleschlinge verwenden (hier habe ich genauer beschrieben, welche Anschlussmöglichkeiten es gibt). Ursprünglich wollte ich mich deshalb für Cochlea anstatt Med-El entscheiden, habe dann aber wegen einiger anderer Gründe doch zu Med-El gegriffen.

Ehrlich gesagt ärgere ich mich etwas, dass so kurz nach meiner Implantation eine neue Generation des Soundprozessors herausgekommen ist – und dass diese neue Generation etwas kann, was für mich einen großen Vorteil bedeutet. Natürlich hat mir das vor meinen Operationen niemand gesagt. Med-El möchte ja nicht, dass sich potentielle Patienten für einen längeren Zeitraum nicht implantieren lassen, weil sie auf ein neues Gerät warten. Aus unternehmerischer Sicht kann ich das sehr gut verstehen und dem Unternehmen deshalb auch nicht böse sein.

Ich hätte mit der Operation auch nicht gewartet, bis dieser Prozessor auf dem Markt ist. Im letzten Jahr habe ich soviel neues gehört und erfahren – und für diese Erfahrung bin ich Med-El und meinen behandelnden Ärzten enorm dankbar. Jeder Tag mit Cochlea-Implantat war für mich bislang ein enormer Gewinn an Lebensqualität. Vielleicht hätte ich die Entscheidung für ein Cochlea-Implatat auch verschoben, bis der neue Prozessor da ist – wenn ich gewusst hätte, dass es in diesem Jahr ein Update gibt. Und wäre noch ein Jahr länger mit schlechtem Hören unterwegs gewesen – und hätte mich dann doch wieder gegen eine Operation entschieden.

Der Zeitpunkt war richtig und ich bin mit meinen elektronischen Ohren enorm glücklich – das ist das einzige, was zählt. Die neuen Prozessoren werde ich erst in 5 oder 6 Jahren bekommen können, wenn die alten zu verschlissen sind. Bis dahin muss ich mit einer etwas komplizierteren Handhabung bei der Konnektivität leben – und ich lebe gut damit, auch wenn das ganze elektronische Geraffel, das ich manchmal mit mir führen muss, doch sehr nervt. Aber das ist ein kleiner Preis für ein sehr großartiges Hörerlebnis. Insofern ärgere ich mich nur ein kleines bißchen.

Außerdem gibt es von Med-El jetzt den AudioLink – eine Fernbedienung, mit der man die Verbindung zum Smartphone oder Fernseher auch ohne Teleschlinge erzeugen kann. Ich werde mich in den nächsten Tagen mal informieren, wie das genau geht, was es kostet und ob die Krankenkasse die Kosten dafür übernimmt. Da der einzige Mehrwert hier höherer Komfort ist, wird das eher nicht klappen. Aber einen Versuch ist es wert.

Tag 337/275 – English

In meinem Job wird überwiegend Englisch gesprochen. Ich arbeite mit einem internationalen Team aus mehreren Ländern und Kontinenten und wir sprechen eigentlich immer Englisch, wenn wir nicht ausschließlich deutschsprachige Meeting-Teilnehmer haben, was aber relativ selten ist.

Heute hatte ich eine Telefonkonferenz mit vier Teilnehmern auf Englisch, und ich habe nahezu jedes Wort verstanden – und das über 90 Minuten hinweg und nur teilweise mit Videoübertragung der Teilnehmer, was für mich leichter ist, da ich hier ein wenig Hörhilfe durch das Lippen-Ablesen habe. Getragen habe ich dabei einen guten On-Ear-Kopfhörer mit Headset, der an mein Laptop angeschlossen war. Die Konferenz wurde über Skype abgehalten.

Vor einem Jahr, mit Hörgeräten, konnte ich noch nicht einmal Telefonate mit einem Teilnehmer auf Deutsch führen. Selbst Videokonferenzen waren enorm anstrengend und haben nur dann halbwegs funktioniert, wenn die Verbindung super war und es keine Verzögerung zwischen Sprache und Bild gab.

Und interessant war das Meeting übrigens auch ;-)

Tag 325/263 – Hurricane, Sonntag

Junior II und ich kommen heute nur schwer aus dem Bett – die letzten beiden Tage waren zwar wundervoll, aber auch anstrengend. Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es dennoch zum Festivalgelände. Heute haben wir nicht viel auf dem Plan – tagsüber spielen nur wenige Bands, die mich interessieren – aber am Abend wird es dann etwas hektisch, weil The Cure, eine meiner absoluten Lieblingsbands, und direkt anschließend die Foo Figthers auf einer anderen Bühne spielen.

Wir lassen uns heute treiben. schauen hier und dort auf den Bühnen vorbei und entdecken auch heute eine wirklich tolle Band: Royal Republic. Klassischer Rock mit einer tollen Show und einem super-sympathischen Frontman, der eine hervorragende Stimmung macht. Wie auch am Samstag und am Sonntag ist der Sound hervorragend und ich kann die Musik ohne Einschränkungen genießen.

Später treffen wir zufällig Freunde aus dem Fußballverein meines Juniors und verbringen den Nachmittag auf dem Festivalgelände mehr mit netten Gesprächen, leckerem Fast-Food und genießen die Atmosphäre und das gute Wetter. Und dann geht es zu The Cure.

Die ersten Songs, die mich mit meinen Cochlea-Implantaten gehört habe, waren Lullaby und The Forest von The Cure. Ich mag diese Musik unendlich gerne – seit meiner Jugendzeit. 2012 habe ich The Cure bereits auf dem Hurricane zusammen mit der ErstBestenHälfte gesehen und das war – trotz Hörgeräten – ein tolles Erlebnis. Ich kenne die meisten Songs in- und auswendig und konnte das Konzert deshalb auch mit einem relativ schlechten Hörerlebnis genießen. Ich habe jahrelang nur Musik gehört, die ich von früher kannte – mit den Hörgeräten konnte ich Bass und Schlagzeug hören; mein Gehirn hat dann aus den Erinnerungen von früher den Rest dazugepackt.

Jetzt, mit Hörimplantaten, höre ich ALLES. Und das ist ein unglaubliches Erlebnis. Zwar ist The Cure nicht gerade die geborene Live-Band und schon gar nicht dafür gemacht, am hellichten Tag zu spielen… diese Band gehört in einen düsteren Keller, in eine dunkle Halle.. aber dennoch ist es wundervoll, diese Musik endlich live zu HÖREN, ohne Anstrengung genießen zu können und sich wieder wie 20 zu fühlen.

Weil ich auch die Foo Fighters unbedingt sehen will, verlassen wir da Konzert schweren Herzens ein bißchen früher. Leider ertönen just zu diesem Zeitpunkt, als wir schon weit entfernt von der Bühne sind, die alten Songs aus meiner Jugend. Das ist etwas blöd gelaufen, aber man kann nicht alles haben. Wir mischen uns in die Menschenmenge, die vor der Hauptbühne auf die Foo Fighters wartet – es ist rappelvoll, wie immer beim letzten Act… und dann stürmt Dave Grohl auf die Bühne und legt mit seinen Bandmitgliedern ein Feuerwerk hin, das ich so auch noch nicht erlebt habe: Ein Song reiht sich an den anderen, ohne Pause, die Dynamik ist unglaublich, die Lust an der Musik, an diesem Auftritt – das ist wirklich unfassbar beeindruckend. Der Sound ist enorm laut aber dennoch kann ich auch hier gut hören und zwei Stunden lang einen Konzertauftritt anschauen und anhören, den ich sicher nie vergessen werde.

Dann ist das Hurricane zu Ende. Wir essen noch etwas, sammeln Junior I ein, der am liebsten noch die ganze Nacht im Technozelt verbringen würde, fahren nach Hause und fallen erschöpft aber glücklich in die Kissen. Was für ein Wochenende – ich bin unendlich dankbar, dass mir dies wieder möglich geworden ist.

Tag 324/262 – Hurricane, Samstag

Und auf geht es zum zweiten Hurricane-Tag. Auch heute ist das Wetter herrlich und Junior II und ich freue uns sehr auf einen erlebnisreichen Festivaltag. Das Programm ist heute eher auf meinen Nachwuchs ausgerichtet – er möchte sich gerne einige Deutsch-Rapper und -Rap-Bands ansehen. Ist eigentlich gar nicht mein Geschmack, aber schließlich geht es auch um ihn und solange ich mir diese Musik nicht ständig im Autoradio anhören muss, geht das auch in Ordnung.

Der Tag beginnt mit Fünf Sterne Deluxe (auf einen Link verzichte ich aus Rücksicht auf meine Leser). Wir nehmen noch einen Schulfreund meines Juniors mit und wagen uns diesmal direkt vor die Bühne, weil das Gedränge am Nachmittag noch nicht so groß ist. Die Bässe wummern aus vollem Rohr, aber selbst hier spielen meine Soundprozessoren gut mit und ich kann, abgesehen davon, dass ich die Musik stinklangweilig und die Typen ziemlich unsympathisch finde, den Sound genießen.

Dann geht es zu einer meiner Lieblingsbands – Flogging Molly: Irischer Gute-Laune-Rock vom Allerfeinsten (obwohl die Band aus L.A. stammt). Ich habe die Jungs schon mehrmals live gesehen und denke, dass es wohl kaum eine bessere Live-Band gibt, Schon beim ersten Song ist das Publikum völlig aus dem Häuschen und diese unglaubliche Stimmung lässt auch während der gesamten Stunde, in der diese unglaublichen Kalifornier alles geben, kein bißchen nach. Und auch hier ist der Sound fantastisch. Zwar habe ich erneut mit einigen Aussetzern wegen der Feuchtigkeit zu kämpfen – obwohl beide Soundprozessoren die ganze Nacht über ein ihren Trockenboxen lagen, aber das bekomme ich dann auch in den Griff und genieße jede Sekunde dieses Stimmung machenden Auftrittes.

Danach sind Junior II und ich erst einmal platt, aber auf einer anderen Bühne tritt eine weitere Hip-Hop-Band auf, die ich allerdings vor zwei Jahren schon einmal auf dem Hurricane gesehen habe und die mir sehr gut gefallen hat: Die 257er’s aus meiner alten Heimatstadt Essen. Eine tolle Show, Party-Texte mit viel Humor und ein rundum sympathischer Auftritt, mit viel Publikumsinteraktion: So muss live sein. Junior II und ich hüpfen, brüllen und feiern mit und haben enorm viel Spaß. Und auch hier: Top Sound, keine Verzerrungen, einfach nur genial.

Nach diesem Auftritt trennen sich unsere Wege: Junior II möchte unbedingt zu AnnenmayKantereit und ich habe andere Pläne. Wir treffen Junior I, der ebenfalls auf dem Festival ist, er nimmt seinen jüngeren Bruder ins Schlepptau und ich ruhe mich erst einmal etwas aus, laufe herum, genieße die Atmosphäre und schaue, was auf den anderen Bühnen so läuft. Und treffe eine weitere, neue Lieblingsband, die ich bis dahin noch gar nicht kannte: The Wombats, eine Indie-Rockband aus England. Ich bemerke mal wieder, wie viel Musik ich in den letzten Jahren verpasst habe, wie wenig neuere Band ich kenne und vor allem: Wie viel gute Musik es in den letzten Jahren gegeben hat, auch wenn das meiste, was ich wirklich mag, es nicht in die Charts geschafft hat. Auch dieses Konzert ist viel zu schnell vorbei – ich hätte hier noch stundenlang stehen und zuhören können und hoffe sehr, dass ich diese Band noch einmal woanders und länger anhören kann.

Anschließend treffe ich meine Juniors wieder, übernehme Junior II und dann geht es, nach einer kurze Pommes-Stärkung, zu Macklemore, einem der Haupterlebnisse für meine Kinder. Und auch wenn ich nicht auf Hip-Hop stehe: Die Show ist klasse, der Sound fantastisch, der Künstler selbst enorm sympathisch und eine echte Rampensau und ich bereue kein bißchen, dass ich mir dies angeschaut habe.

Danach sind wir ziemlich k.o., schauen noch kurz bei Steve Aoki vorbei – einem DJ, der Techno-Musik macht. Das wird mir aber schnell zu langweilig; also laufen wir zurück zum Auto und sind gegen halb zwei müde aber glücklich im Bett.

Tag 323/261 – Hurricane, Freitag

An diesem Wochenende findet in meinem Heimatort das alljährliche Hurricane-Festival statt – mit knapp 70.000 Besuchern eins der größten Open-Air-Musikfestivals in Norddeutschland. Das Festivalgelände, der Eichenring, ist nur wenige Kilometer von der Ortschaft entfernt. Normalerweise finden hier Sandbahnrennen statt; einmal im Jahr wird allerdings der Ausnahmezustand ausgerufen, wenn Tausende von Jugendlichen und Erwachsenen nach Scheeßel pilgern und auf den umliegenden Camping-Wiesen und auf dem Festivalgelände drei Tage lang Party machen und bis zu 100 Bands auf drei Bühnen feiern.

Ich war bislang zweimal dort – 2012 mit meiner ErstBestenHälfte. Es war ein wundervolles Wochenende und insbesondere die Auftritte von The Cure, New Order, Katzenjammer und Kakkmaddafakka sind mir unvergesslich geblieben. 2017 besuchte ich das Festival mit Junior, der damals 13 Jahre alt und schon sehr musikinteressiert war. Und dies war das vielleicht beste Festival aller Zeiten: Mit Blink 182, Green Day und Linkin Park, die in Scheeßel eins ihrer letzten Konzerte in Deutschland gaben, bevor sich ihr Leadsänger Chester Bennington das Leben nahm, waren drei meiner absoluten Lieblingsbands vor Ort. Wir waren bei allen drei Konzerten im vorderen Front-Stage-Bereich, also ganz nah an der Bühne, und nicht nur für Junior I war dies ein unvergessliches Erlebnis.

Das Hören auf Festivals war mit Hörgeräten immer schwierig. Natürlich ist die Lautstärke hoch genug, um die Musik zu HÖREN, aber meine Hörgeräte waren natürlich stark darauf ausgerichtet, Sprache zu verstehen und Störgeräusche zu unterdrücken – wie zum Beispiel ein Schlagzeug. Hohe Töne habe ich auch mit Hörgeräten nicht gehört. Wahrgenommen habe ich die Beats, den Bass und meistens hat es eine Minute gedauert, bis ich einen Song erkannt habe – manchmal auch gar nicht. Die Klangqualität war einfach enorm schlecht, aber dennoch bin ich gern auf Konzerte gegangen, habe die Atmosphäre genossen und versucht, so viel wie möglich akustisch aufzuschnappen. Ich war es nicht anders gewohnt und habe versucht, einfach das Beste aus meinen Möglichkeiten zu machen.

Der erste Test auf einem Open-Air vor wenigen Tagen verlief sehr positiv – in ausreichend Entfernung zu den Lautsprecherboxen konnte ich die Musik hervorragend hören. Ich bin gespannt, wie das auf dem Hurricane-Festival funktioniert. Hier wird es um Einiges lauter sein als auf dem kleinen Höpen-Air in Schneverdingen und ich habe ein wenig Angst, dass die Musik auch in etwas Entfernung von der Bühne Verzerrungen hervorrufen wird. Ich habe lange überlegt, wie ich den lauten Schall etwas dämpfen kann – zum Beispiel indem ich die Mikrofonabdeckungen mit Filz oder einem Stück Stoff beklebe. Letztendlich ist die Angst davor, den Soundprozessor zu beschädigen, zu groß. Ich nehme stattdessen eine Bandana, ein Sport-Kopftuch wie es Tennisspieler manchmal tragen, und ein Beanie – eine dünne Stoffmütze – mit zum Festivalgelände. Ich hoffe, dass beide Teile ausreichen, um den Schall etwas zu dämpfen – und die Prozessoren außerdem vor Spritzwasser oder Bier, das gelegentlich in die Menge geschleudert wird, schützen.

Freitag nachmittag geht es dann los – ich fahre mit Junior II zum Bahnhof, von dort aus laufen wir etwa drei Kilometer zum Festivalgelände und dann sind wir mitten im Getümmel. Das Wetter ist fantastisch, was eher überraschend ist, denn das Hurricane-Festival macht seinem Namen meistens alle Ehre – Regen, Gewitter und Unwetter gehören normalerweise fest zum Programm. Dieses Jahr wird es über die gesamten drei Tage lang trocken bleiben – und teilweise richtig heiß.

Ich kenne relativ wenig Bands, die dieses Jahr auftreten. Die Toten Hosen sind natürlich gesetzt, ebenso wie The Cure und die Foo Fighters, die am Sonntag Abend als Hauptact auf der Bühne stehen werden. Allerdings habe ich mir in den letzten Tagen einiges der auftretenden Bands angehört und unser Spielplan ist gut gefüllt. Dazwischen wollen wir uns einfach überraschen lassen. Das ist das Schöne an Festivals: Man hört auch mal andere Musik und entdeckt mitunter Künstler, die man vorher gar nicht auf dem Programm hatte.

Die erste Band, die wir uns anhören wollen, ist eine linke Pop-Band namens Betontod. Wir haben gute Plätze, etwa 20 Meter hinter der Bühne, direkt vor der Sicherheitsabsperrung zum Front Stage-Bereich und ich bin sehr gespannt, ob meine elektronischen Ohren gut mitmachen und wie weit oder nah ich von der Bühne stehen muss, um keine akustischen Verzerrungen wahrzunehmen. Bei den ersten drei Songs experimentiere ich wieder viel mit meiner Fernbedienung, bis ich eine Einstellung gefunden habe, die wirklich gut klingt. Zusammen mit dem Beanie auf dem Kopf ist der Sound: Fantastisch! Es klingt total klasse, keine Verzerrungen, ich höre die Instrumente heraus, verstehe die Texte teilweise und kann das erste Konzert ohne jegliche Einschränkungen genießen. So ein Wahnsinn – damit habe ich, mal wieder, nicht gerechnet.

Der Auftritt von Betontod ist super – auch Junior II hat sehr viel Spaß, das Publikum tobt und anschließend holen wir uns erst einmal frisches Wasser, einen kleinen Snack und beobachten aus der Ferne, wie das Bühnenbild für die nächste Band namens Enter Shikari aufgebaut wird. Den Namen habe ich noch nie gehört und auch Junior II kennt sie nicht – irgendwie zieht uns das Bühnenoutfit, das im Stil der 60er Jahre gehalten ist, aber magisch an und wir stellen uns wieder an die Absperrung, an der wir vorher auch standen. Und auch dieses Konzert ist genial. Die Musik ist recht hart – ein wenig Punk, ein wenig Postcore, ein wenig Metal – aber die Show ist wirklich genial, der Frontman gibt einfach alles, der Sound ist fantastisch und wir haben sehr viel Spaß.

Anschließend tritt Papa Roach auf – die kenne ich bereits und möchte sie unbedingt hören. Wir bleiben als direkt an unserem sehr guten Platz, und auch dieses Konzert ist einfach nur genial – tolle Musik, das Publikum ist kurz vorm Ausflippen und ich könnte mir die Jungs noch stundenlang anhören. Allerdings habe hier erste Probleme mit meinen Soundprozessoren, die zu feucht geworden sind. Obwohl mein Kopftuch sehr dünn und luftdurchlässig ist, staut sich darunter die Wärme und Feuchtigkeit des Schweißes, der mir über den Kopf läuft – bei knapp 30 Grad inmitten einer hüpfenden Menschenmenge auch kein Wunder – und die Prozessoren setzen alle 10 Minuten aus. Auch das Beanie bringt keine Besserung. Mir bleibt nichts anders übrig, als die Kopfbedeckung komplett abzunehmen und zu hoffen, dass mir kein Bierbecher gegen den Kopf und die Ohren fliegt. Die Sonne trocknet die Geräte schneller als gedacht und ich kann immerhin den weitaus größten Teil des Konzertes mit beiden Ohren genießen.

Sehr genieße ich auch die Gespräche mit den Menschen um uns herum. Ich werde oft wegen meiner Implantate angesprochen, aber auch einfach so und lerne ein paar richtig nette Leute jeden Alters kennen. Die Stimmung beim Hurricane war schon immer sehr entspannt und man findet sehr schnell Kontakt zu anderen Besuchern. Bei meinen früheren Besuchen habe ich mir das immer etwas verkniffen, weil ich einfach zu schlecht verstanden habe. Auch mit der Security, die im abgesperrten Sicherheitsdurchgang vor uns steht, habe ich einige nette Gespräche. Das macht richtig Spaß!

Auch der nächste Auftritt – eine australische Death Metal Band namens Parkway Drive, die ich auch noch nicht kannte – ist bombastisch und im Nachhinein eins der besten Live-Konzerte, die ich je gesehen habe. Eine grandiose Bühnenshow, tolle Musik, teilweise gemischt mit klassischen Instrumenten, und dazu höre ich diesmal ohne Aussetzer, weil es langsam auch dunkel und etwas kühler wird – was für ein Erlebnis. Die Stunde Spielzeit geht viel zu schnell um und danach dröhnen unsere Ohren ein wenig, aber Junior II und ich sind restlos begeistert.

Später am Abend schauen wir uns dann noch die Toten Hosen an, die wir beide sehr gern mögen und auch dieses Konzert ist klasse. Parkway Drive war heute aber nicht zu toppen. Und dann geht es müde, aber sehr glücklich nach Hause. Ich freue mich wahnsinnig auf die nächsten beiden Tage und überhaupt auf jedes kommende Festival – dass dies mit dem Hören so gut klappt, habe ich wirklich nicht erwartet.

Tag 320/258 – Hörpate

Med-El hatte mich kürzlich angefragt. ob ich Interesse daran hätte, als ‚Hörpate‘ aktiv zu werden. Hörpaten sind Cochlea-Implantat-Träger, die mit Med-El-Geräten versorgt sind und die als Ansprechpartner für hörgeschädigte Personen bereitstehen, die ebenfalls ein Hörimplantat in Betracht ziehen. Dafür gibt es eine Website von Med-El, auf der man sich die Profile der zur Verfügung stehenden Hörpaten anschauen und diese direkt kontaktieren kann. Die Hörpaten bekommen für ihr Engagement eine kleines monatliche Aufwandsentschädigung.

Nach reiflichem Überlegen habe ich mich dazu entschieden, dies zu tun. Für mich waren die Erfahrungen anderer CI-Träger enorm wichtig bei meiner Entscheidungsfindung. Ich hätte diesen Schritt ohne Erfahrungsberichte von anderen nicht gewagt. Auch deshalb versuche ich in Selbsthilfegruppen auf Facebook und mit diesem Blog anderen Betroffenen Mut zu machen, den Schritt zum CI zu wagen. Über die Hörpaten-Website kann ich Menschen erreichen, die mein Blog nicht kennen oder nicht auf Facebook unterwegs sind. Und vielleicht kann auch auch auf diesem Kanal Mut machen und Informationen weitergeben, welche die Entscheidungsfindung positiv beeinflussen können.

Für mich war etwas problematisch, dass ich damit ein Stück meiner Neutralität verliere. Ich habe dies intensiv mit den verantwortlichen Personen bei Med-El diskutiert. Dieses Engagement verpflichtet mich nicht dazu, andere CI-Hersteller wie Cochlea, Advanced Bionics oder Oticon schlechter zu stellen als Med-El. Es geht darum, Menschen die Angst vor der Entscheidung zu einem Cochlea-Implantat zu nehmen. Ich werde niemandem raten, auf jeden Fall ein Implantat von Med-El zu wählen. Alle Systeme haben Vor- und Nachteile und ich denke, dass man mit jedem System hervorragend hören kann. Im Sprachverständnis gibt es insgesamt nur wenig unterschiede und ich habe Freunde, die sowohl mit Cochlea als auch mit Advanced Bionics versorgt sind und damit nicht nur Sprache hervorragend verstehen, sondern auch Musik hören können.

Die Frage, welches Implantat man wählt, muss jeder für sich selbst beantworten – zusammen mit den Ärzten, welche die Operation durchführen. Was ich aber ohne schlechtes Gewissen machen werde, ist meine durchweg positiven Erfahrungen mit meinen Implantaten von Med-El weiter zu geben. Sollte ich mich jemals dazu gedrängt fühlen, andere hörgeschädigte Menschen in Richtung Med-El drängen zu müssen, werde ich dieses Engagement mit sofortiger Wirkung beenden.