Tag 18 – Mails and Drums

Heute habe ich das erste Mal seit der OP wieder gearbeitet – erst einmal im Home-Office, was bei meinem Arbeitgeber problemlos möglich ist.

Nach einer langjährigen Freiberuflichkeit als Digitalkonzepter und Texter arbeite ich seit knapp drei Jahren als User Experience Designer bei SAP und beschäftige mich dort – vereinfacht gesagt – mit der Konzeption von Benutzeroberflächen und der Optimierung der Benutzerführung, damit Software und Apps leicht verständlich sind und gut bedient werden können. In den Teams, in denen ich aktiv bin, arbeiten vor allem Entwickler, deren Aufgabe es ist, die Software zu programmieren und Projektmanager, die sich um die Steuerung der Projekte kümmern. Dementsprechend wird viel besprochen, diskutiert und abgestimmt und Zeit in Meetings verbracht, die wir meistens über Videokonferenz abhalten.

Das ist mit einer Hörschädigung nicht einfach. Ich arbeite schon immer ohne Telefon, weil ich ohne Mundbild bislang so gut wie nichts verstanden habe. Bei Videokonferenzen kann ich bislang nur folgen, wenn Video und Audio verzögerungsfrei und in guter Qualität übertragen werden und man die Sprecher sieht. Wenn Ton und Bild nicht hundertprozentig synchron sind, klappt das Lippenablesen nicht mehr. In Meetings mit größeren Gruppen brauche ich dolmetschende Unterstützung, die normalerweise von Kollegen geleistet wird.

Kommunikation auf Englisch ist für mich ebenfalls schwierig. Zwar schreibe und lese ich fließend Englisch, aber es ist schwierig, eine Fremdsprache zu sprechen, wenn man nicht selber genau hört, wie die verschiedenen Worte korrekt ausgesprochen werden. Mein gesprochenes Englisch hat deshalb einen etwas stärkeren deutschen Akzent als üblich. Trotzdem werde ich eigentlich gut verstanden – außer in den Niederlanden, warum auch immer. Das Verstehen von gesprochenem Englisch ist ebenfalls schwierig. Denn wenn man nicht weiß, wie ein Wort genau ausgesprochen wird oder eine falsche Vorstellung davon hat, versteht man es im Gespräch nicht mehr gut.

Ich kompensiere diese Nachteile durch den Einsatz von E-Mails, auf die ich sehr schnell antworte und Chatprogrammen wie z.B. Slack. Wenn ich im Büro bin gehe ich ins nächste Zimmer, anstatt den Telefonhörer in die Hand zu nehmen. Ich frage häufiger zurück, ob dies oder jenes korrekt verstanden wurde und gebe gerne kurze Zusammenfassungen des Verstandenen,  damit mein Gegenüber weiß, dass ich auf dem richtigen Gleis bin. Bei Meetings lege ich darauf Wert, dass Protokolle angefertigt werden. Überflüssige Meetings versuche ich nach Möglichkeit zu vermeiden. Und habe damit mehr Zeit zum Arbeiten.

Bislang hat das bei allen Stationen in meiner beruflichen Karriere sehr gut geklappt. Ich habe für Großunternehmen und mittelständige Firmen gearbeitet; für große Digitalagenturen und Start-Ups. Fast überall hatte ich das Glück, sehr hilfsbereite Kollegen zu haben, die viel Rücksicht auf mich genommen haben und wussten, dass sie sich trotz der schwierigen Kommunikation darauf verlassen können, dass ich gute Arbeit abliefere. Das funktioniert nur, wenn man offen mit seiner Hörbehinderung umgeht, aktiv auf die Mitmenschen zugeht, die Angst vor Rückfragen nimmt und vor allem auch in kritischen Situationen seinen Humor bewahrt. Manchmal ist es einfach komisch, wenn ich etwas völlig falsch verstehe und es dann ist es auch okay, über die Situation zu lachen.

Heute habe ich vor allem E-Mails abgearbeitet und quasi testweise an einem für mich nicht wirklich wichtigen Meeting teilgenommen, bei dem ich aber noch nicht genug verstehen konnte. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg und ob ich überhaupt irgendwann reinen Telefonkonferenzen folgen kann, weiß ich nicht. Das ist allerdings auch kein Ziel, das ich mir gesetzt habe. Wenn ich in der Lage sein werde, Videokonferenzen gut folgen zu können und vielleicht auch einfachere Telefonate mit Kollegen führen kann, bin ich mehr als zufrieden. Alles weitere ist ein Bonus.

Am Abend hatte ich dann die erste Schlagzeugstunde mit Implantat. Seit zwei Jahren spiele ich aktiv Schlagzeug und habe alle zwei Wochen Unterricht – und habe sehr viel Spaß daran (siehe auch Tag 8 – Drums & Honors). Die heutige Session war ein voller Erfolg – obwohl ich die letzten 5 Wochen Urlaubsbedingt und auch wegen der Implantat-Operation kaum gespielt habe. Ich weiß mittlerweile, mit welcher Einstellung der Soundprozessor beim Drummen am besten fährt: Lautstärke etwa 1/3 reduziert und Geräuschempfindlichkeit soweit heruntergedämpft wie möglich. Mit dieser Einstellung kann ich meinem Schlagzeuglehrer deutlich besser beim gemeinsamen Spielen folgen. Ich höre mittlerweile auch, wenn Schläge nicht völlig synchron sind – wie zum Beispiel Bassdrum und Hi-Hat. Ich höre, welches Becken gespielt wird – das war mit Hörgeräten nur ein Scheppern, egal was ich angeschlagen habe. Ich höre, ob das Hi-Hat offen oder geschlossen ist. Und als wir mit einem neuen Song beginnen – Sunday Bloody Sunday von U2 – stelle ich beim Hören des Songs über die Soundanlage fest, dass ich heraushöre, welches Becken gespielt wird. Es ist damit viel einfacher, Songs nachzuspielen und das Drummen macht insgesamt deutlich mehr Spaß.

Was ich bei der Erstanpassung in zwei Wochen unbedingt erfragen muss ist, ob ich meine Ohren mit dem Implantat überfordern kann. Können zu laute Töne die Hörnerven schädigen? Ist zu laute Musik mit Implantat schädlich? Wie merke ich, dass es zu laut wird? Kann dauerhaftes Schlagzeugspielen den Hörnerv überfordern? Mein Mittelohr ist ja ausgeschaltet und ich habe kein normales Hörempfinden mehr – auch wenn sich mit Implantat alles viel normaler anhört, als es mit dem Hörgerät der Fall war.

Es gibt noch viel zu lernen, zu entdecken, und zu hören. Ich freue mich drauf!

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