Tag 282/220 – Hochzeit

An diesem Wochenende heiratet meine Nichte im brandenburgischen Jessen. Wir freuen uns sehr auf ein Wochenende im Kreis meiner Familie. Einige Familienangehörige habe ich seit meiner ersten Implantation noch gar nicht wieder getroffen und die meisten nach meiner zweiten Operation auch nicht. Das wird ein wundervolles Wiedersehen.

Wir treffen schon am späten Freitagabend in Jessen ein. Die Hochzeit findet in einer Hochzeitsscheune statt – einem wunderschönen und speziell für Hochzeitsfeiern umgebauten Hof. Dort gibt es einen großen Festsaal, einen Tanzraum, Gästezimmer, eine Küche und einen sehr schönen Innenhof mit Grillplätzen. Alles ist wirklich wunderschön eingerichtet und geschmückt und die Freude ist groß, als meine Verwandten nach und nach eintreffen.

Natürlich habe ich sehr viel zu erzählen – die letzten Monate waren wohl die ereignisreichsten in meinem ganzen Leben. Alle freuen sich riesig über meinen Hörerfolg und ich werde nicht müde, immer wieder zu erzählen, wie das Implantat funktioniert, wie ich höre und welche Hörerlebnisse mich am nachhaltigsten beeindruckt haben. Viel beeindruckender als meine Erzählungen selbst ist aber die Leichtigkeit, mit der ich mich unterhalten kann, die Rückfragen und Wiederholungen weitgehend überflüssig macht, die nicht mehr meine volle Konzentration erfordert und die jedes Gespräch zu einem angenehmen, entspannten und wundervollen Erlebnis macht. Es wird ein langer und unvergesslicher Abend.

Die Hochzeit selber findet am Samstagmittag im Wald nahe der Hochzeitsscheune statt. Wir sind rechtzeitig vor Ort, trinken Kaffee, warten auf das Brautpaar und dann geht es zusammen zu Fuß in den Wald, wo auf einer Lichtung die Waldtrauung stattfindet.

Es ist meine erste Hochzeitsteilnahme mit Hörimplantaten. Bei meiner eigenen Hochzeit vor ziemlich genau 17 Jahren habe ich leider sehr wenig von der wunderschönen Rede verstanden, die der Standesbeamte gehalten hat. Zwar saß ich zusammen mit der Braut direkt vor ihm, aber die Aufregung war zu groß und ich war nicht in der Lage, mich voll und ganz auf das Gesagte zu konzentrieren. Es war dennoch eine wunderschöne Trauung und ich werde diesen Tag und Moment nicht vergessen. Gottseidank verstand ich, wann ich ‚ja, ich will‘ sagen musste. Ein ‚wie bitte?‘ oder ‚was?‘ hätte diesen magischen Moment wohl ruiniert…

Mit einer Hörschädigung, die so stark ist, dass das Sprachverständnis stark leidet, gewöhnt man sich daran, Momente auch dann zu genießen, wenn man nichts versteht – auch dann, wenn das Gesagte wichtig für den Moment ist. Im Kino, im Theater, bei Reden aller Art – man freut sich, dabei zu sein, man genießt die Reaktionen der Anwesenden, man stimmt in Gelächter ein, wenn ein Witz zum Besten gegeben wird, den man nicht versteht, man spielt sozusagen mit und kann es trotzdem genießen, weil man sich auf den Moment und auf die Umgebung konzentriert; auf die Reaktionen der Zuhörenden und die Atmosphäre des Moments.

Dieses Mal erlebe ich, wie viel schöner so ein Moment sein kann, wenn man versteht, was gesagt wird. Ich sitze relativ weit vorne und verstehe zwar nicht alles, aber dennoch den größten Teil der Hochzeitsrede. Und ich verstehe auch fast alles, was die Braut anschließend dem Bräutigam vorliest. Andersherum funktioniert es nicht so gut: Der Bräutigam steht mit dem Rücken zu mir und spricht sehr leise, so dass ich hier nicht mehr folgen kann. Wie ich später erfahre, haben aber auch viele der normalhörenden Anwesenden große Probleme, ihn zu verstehen.

Anschließend geht es zusammen zurück zur Hochzeitsscheune, wo das Hochzeitsessen stattfindet. Auch hier führe ich viele Gespräche. Dann wird, wie wohl bei den meisten Hochzeitsfeiern, gespielt. Ich platziere dafür mein Table-Mic nahe des Spieleleiters und kann so dem größten Teil der Spielanweisungen folgen. Das macht viel Spaß, auch wenn ich nicht alles mitbekomme, weil teilweise Rückmeldungen aus dem ‚Publikum‘ kommen, die ich aufgrund der großen Entfernung nicht gut verstehen kann. Dieses Problem haben aber auch andere Anwesende. Egal – es macht großen Spaß, sich hier beteiligen zu können. Für mich ein völlig neues Erlebnis.

Später am Abend wird dann das Tanzbein geschwungen. Auch das macht großen Spaß, denn ich kann die Musik gut hören, die Songs erkennen und beim Tanzen alles um mich herum vergessen.

Bis zum frühen Morgen bin ich auf den Beinen. Wir sitzen am Lagerfeuer und ich führe auch hier viele nette Unterhaltungen, bis wir dann zurück zum Hotel fahren und erschöpft aber glücklich ins Bett fallen.

Am nächsten Morgen steht ein gemeinsames Frühstück auf dem Plan – auch hier wird wieder viel erzählt und zugehört und gegen Mittag geht es dann wieder Richtung Heimat.

Ein wunderschönes Wochenende mit wunderbaren elektrischen Ohren.

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