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Tag 233/171 – Wir sind keine Bots!

Junior II, der kürzlich seinen 13. Geburtstag gefeiert hat, interessiert sich neuerdings sehr für Politik. Als politisch interessierter Mensch finde ich das natürlich toll und unterstütze es nach Kräften – auch wenn es durchaus etwas anstrengend sein kann, wenn die gesamte Woche über am heimatlichen Esstisch neue YouTube-Videos zu den Themen ‚FridaysForFuture‘ und ‚Upload-Filter‘ rauf- und runter rezitiert werden. Aber das gefällt mir deutlich besser, als über die neueste YouTube-Kompilation der spektakulärsten Autounfälle in Sibirien zu diskutieren. Also gebe ich mein Bestes.

Dazu gehört auch, dass ich Junior II heute zur Demonstration gegen §13 nach Köln fahre und mit ihm teilnehme. Köln deshalb, weil wir davon ausgehen, dass der Protest dort größer sein wird als in Hamburg. Außerdem können wir das Wochenende dazu nutzen, Freunde und Verwandte zu besuchen. Also wird ein tolles Demo-Schild gebastelt, das Auto gepackt und dann geht es ab nach Köln.

Ich bin während meiner Oberstufen- und Studienzeit politisch sehr aktiv und häufig auf Demonstrationen gewesen. Mit der Bezirksschulvertretung, der ich während meiner Oberstufenzeit angehörte, organisierte ich auch einige Demonstrationen mit und trat teilweise auch als Redner auf. Leider habe ich die Beiträge anderer Redner nie wirklich verstanden. Noch frustrierender war, dass ich auch die Parolen, die im Demonstrationszug gerufen wurden, nie wirklich verstanden habe und deshalb eher stiller Mitläufer war.

Als wir in Köln am Neumarkt ankommen, ist der Platz bereits gut gefüllt. Das Schild meines Juniors kommt gut an. Wir stehen recht weit vorne am LKW, auf dessen Ladefläche die Organisatoren stehen und kurze Zeit später die Demonstration eröffnen. Die Geräuschkulisse ist inmitten der Menschenmenge natürlich recht hoch; trotzdem verstehe etwa zwei Drittel der Ansagen und Junior II muss nur wenig übersetzen.

Dann laufen wir los. Und als nach kurzer Zeit die ersten Parolen aus dem Zug gebrüllt werden, verstehe ich spätestens nach der zweiten Wiederholung, was gerufen wird und kann einstimmen.

Wir sind keine Bots! (dies bezieht sich auf die Aussagen von Politikern, dass die Proteste gegen diese Urheberrechtsreform, unter anderem die Petition mit über 4,7 Millionen Unterschriften, nicht von realen Personen gesammelt wurden, sondern dass es sich dabei um Bots handelt – also Programme, die automatisch Unterschriften erzeugen).

Wir sagen Nein – zu Artikel 13! (der Protest auf seine einfachste Form gebracht. Artikel 13 heißt mittlerweile übrigens Artikel 17).

Trallali und Trallala – Filter sind für Kaffee da! (quasi der Mario Barth der Demonstrationsparolen. Allerdings lustiger…)

Nie wieder CDU! (es geht doch immer noch simpler. Allerdings prognostiziere ich der CDU in naher Zukunft ein Generationsproblem. Jungen Wählern das Internet einzuschränken, in welcher Form auch immer, ist vermutlich das Dümmste, was eine Partei machen kann, um junge Wählerstimmen zu gewinnen.)

Demonstrationsparolen müssen nicht unbedingt anspruchsvoll sein; uns beiden macht das Einstimmen in das Gebrüll richtig Spaß. Eine Demonstration soll schließlich laut sein, damit sie wahrgenommen wird. Und vor allem: Trotz des Straßenlärms uns des Gebrülls um mich herum kann ich mich gut mit Junior II unterhalten. Die Geräuschdämpfung der Soundprozessoren meiner Hörimplantate funktioniert mal wieder hervorragend. Mit Hörgeräten hätte ich inmitten des ganzen Lärms kaum ein Wort verstanden; mit meinen Hörimplantaten fühle ich mich so gut wie gar nicht eingeschränkt und bin einfach voll dabei.

Bei der Abschlusskundgebung am Heumarkt kommen wir mit dem hinteren Teil des Demonstrationszuges an. Die Teilnehmerzahlen schwanken übrigens zwischen 4.000 (Polizei) und 12.000 (Veranstalter); ich selbst schätze mal, dass etwa 7-8000 Menschen in Köln unterwegs waren. Da der Heumarkt schon voll ist, sitzen wir weit entfernt vom der Bühne, auf der jetzt die Abschlusskundgebung startet. Und auch hier verstehe ich bei den meisten Sprechern fast jedes Wort und kann den Beiträgen folgen. Zwei Beiträge verstehe ich fast gar nicht: Eine Vortragende spricht viel zu schnell (auch Junior II hat hier allerdings Probleme, zu folgen) und ein weiterer Sprecher nuschelt stark (auch hier versteht Junior II nicht jedes Wort).

Dann geht es erschöpft aber zufrieden Richtung Heimat. Junior II ist glücklich, weil seine erste Demonstration wirklich toll und vor allem friedlich war, ich bin froh, weil ich so viel verstanden habe und wenn jetzt noch diese unglaublich schwachsinnige Reform des Urheberrechts abgewendet wird, können wir richtig zufrieden sein.

Hier eine ganz einfache Erklärung, welche Gefahr durch das neue Urheberrechtsgesetz und die darin geforderten Uploadfilter droht-
Hier mal ein Beispiel, welche Auswirkungen dies bei einem konkreten Beispiel hätte

Sehr zu diesem Thema zu empfehlen ist auch Enno Parks Beitrag im t3n-Magazin: https://t3n.de/news/artikel-17-urheberrecht-uploadfilter-1152419

Tag 183/121 – MerQury

Heute wird das Weihnachtsgeschenk meiner ErstBestenHälfte eingelöst: Wir fahren in die MusicHall Worpswede, um uns dort ein Konzert einer der bekanntesten Queen-Coverbands namens MerQury anzuschauen. Ich war mit meinen elektrischen Ohren auf noch keinem richtigen Rockkonzert und bin sehr gespannt, wie sich das anhören wird und ob die Soundprozessoren mit der hohen Lautstärke zurecht kommen. Der erste Diskotheken-Besuch war in dieser Hinsicht eher ernüchternd, weil die Soundprozessoren Input über 100 dB Lautstärke verzerrt wiedergeben.

Der Abend ist ein voller Erfolg. Ich regele die Lautstärke der Soundprozessoren etwas herunter und schalte in das Musikprogramm, damit hört sich die Musik am besten an. Der Sound ist insgesamt fantastisch und auch die Band macht einen Heidenspaß. Ich war zuerst skeptisch, denn Freddy Mercury kann man einfach nicht kopieren. Aber die Jungs auf der Bühne geben wirklich alles und haben vor allem einen Mordsspaß an ihrem Auftritt, der Musik und mit dem Publikum. Und das sind eigentlich immer die schönsten Konzerte: Wenn man führt, dass jemand auf der Bühne steht, der richtig Spaß an der Sache hat und nicht einfach nur sein Programm herunterspult.

Interessanterweise bemerke ich, dass meine Lippenables-Fähigkeit etwas nachzulassen scheint. Es fällt mir zunehmend schwerer, ohne Ton zu verstehen, Vielleicht schaltet mein Gehirn diese Fähigkeit ein wenig in den Standby-Modus, weil ich es nicht mehr so häufig brauche. Und verschiebt alle vorhandenen Ressourcen auf die Ohren. Das ist zwar etwas schade, aber das Hören ist wichtiger als das Ablesen – wenn es funktioniert. Und das tut es bei mir nach wie vor verdammt gut.

Tag 136/74 – Weihnachtsmärchen

Bei uns im Dorf findet jedes Jahr am dritten Advent ein Weihnachtsevent statt. Es werden Weihnachtsbäume verkauft, es gibt Bratwurst und Glühwein und am Nachmittag wird von den Dorfkindern ein Weihnachtsmärchen im Dorfsaal aufgeführt. Dies ist immer ein sehr schönes Erlebnis – die Stücke sind immer lustig und regen trotzdem zum Nachdenken an und die Kinder üben wochenlang für diesen Auftritt und haben sehr viel Spaß dabei.

Ich habe mir natürlich jeden Auftritt in den letzten Jahren angeschaut – vor allem deshalb, weil Junior II jahrelang dabei war und meistens mit Hingabe den Weihnachtsmann gespielt hat. Das Drehbuch habe ich vorher durchgelesen, damit ich weiß, worum es geht. Verstanden habe ich bei den Aufführungen nie ein Wort, aber es trotzdem genossen. In diesem Jahr fand sich Junior II zu alt für die Teilnahme – und das erste Mal konnte ich zumindest die Hälfte des Gesagten verstehen. Die Kids sind ja keine ausgebildeten Schauspieler und sprechen teilweise etwas undeutlich; auch die Mikrofontechnik ist nicht professionell. Normal hörende Menschen bekommen alles mit, aber mit Hörgeräten habe ich dabei nie eine Chance gehabt.

Ich verstehe mit meinen Hörimplantaten wegen der schwierigen akustischen Situation zwar nicht alles, aber dennoch deutlich mehr als jemals zuvor und kann der Handlung folgen, ohne das Drehbuch vorher durchgelesen zu haben – auch wenn ich nicht jede Pointe auf der Bühne verstehe. Das ist insgesamt ein toller Erfolg.

Es ist ein bißchen bitter, dass ausgerechnet in diesem Jahr, in dem meine Ohren dank der Cochlea Implantate wieder hören können, die eigenen Kinder nicht mehr bei der Aufführung dabei sind. In solchen Momenten wird einem schmerzlich bewusst, wie viel man mit einem schlechten Gehör im Leben verpasst und man überlegt sich, ob man den Schritt zum Hörimplantat nicht früher hätte wagen sollen.

Auf der anderen Seite war ich früher einfach nicht bereit für diesen Schritt und ich weiß nicht, ob eine Operation unter diesen Voraussetzungen genauso gut gelaufen wäre. Man muss nach vorne schauen und sich auf all das freuen, was noch kommt. Und das ist eine Menge. Das mir dies möglich geworden ist, ist das schönste Weihnachtsmärchen von allen.

Tag 135/73 – Feuerwerk

Junior II ist ein großer YouTube Fan – wie fast alle Kinder und Jugendlichen heutzutage. Einer seiner Lieblingschannels ist der Kliemannsland. Das ist ein Kanal, in dem eine Gruppe kreativer Junger Menschen Videos produziert, die auf einem Kreativhof in der Nähe meines Wohnorts gedreht werden. Es geht dabei um kreative und vor allem handwerkliche Projekte, die oftmals ziemlich verrückt sind. Auf diesem Hof findet einmal im Jahr ein großer, alternativer Weihnachtsmarkt statt, der YouTube Fans aus ganz Deutschland anzieht. Natürlich möchte Junior II dorthin und wir haben uns dann zusammen mit der ErstBestenHälfte dorthin auf den Weg gemacht.

Der Weihnachtsmarkt selbst ist ziemlich groß, schön verrückt und sehr gut besucht; das Publikum ist deutlich jünger als auf konventionellen Weihnachtsmärkten. Später am Abend wird ein großes Feuerwerk mit Musik abgespielt.

Ich mag Feuerwerk sehr gerne – besonders große, professionelle Feuerwerke. Ich war früher oft mit der ErstBestenHälfte beim Alstervergnügen in Hamburg, in dem alljährlich eine Art inoffizielle Weltmeisterschaft der Feuerwerker stattfindet, bei dem an drei Tagen hintereinander wirklich fulminante Feuerwerksopern über der Hamburger Binnenalster abgefeuert werden. Diese Feuerwerke gehören mit zum Besten, was ich je in meinem Leben gesehen habe – es ist wirklich gigantisch und ich kann jedem, der zur Zeit des Alstervergnügens in Hamburg ist, nur empfehlen, sich das einmal anzuschauen.

Heute bin ich völlig überrascht von der Vielzahl der unterschiedlichen Geräusche, die ein großes Feuerwerk erzeugt. Surren, Zischen, Zirpen – all das habe ich noch nie gehört. Nur die Knalle der explodierenden Feuerwerkskörper habe ich mit Hörgeräten gehört. Ich denke erst, das gehört zur Musik; merke dann aber, dass diese Geräusche tatsächlich vom Feuerwerk selbst kommen. Es ist mal wieder ein toller Moment mit einer völlig neuen Erfahrung. Feuerwerke machen mir jetzt noch mehr Spaß und ich freue mich sehr auf Silvester.