Monat: Februar 2019

Tag 206/144 – Teamwork

Heute geht es zu einem Freund, der in einem Nachbarort eine Schrauberhalle besitzt. Dort habe ich jahrelang meine Volvos gewartet und warten lassen, viel Spaß beim Schrauben gehabt und viel über Automobiltechnik gelernt. An diesem Wochenende steht ein Umzug der Halle an, weil Markus umzieht. Es steht sehr viel Arbeit an: Werkzeuge, Autoteile und jede Menge Kram müssen sortiert und eingepackt, Schwerlastregale und Hebebühnen demontiert werden.

Ich bin schon am Vormittag vor Ort und es sind etwa 10 Helfer mit am Start, von denen ich ein paar vage kenne. Die Stimmung ist gut und das Zusammenarbeiten macht viel Spaß.

Teamwork bei handwerklichen Tätigkeiten oder auch Umzügen ist so eine Sache, die für hörgeschädigte Menschen sehr schwierig sein kann. Denn man braucht zum gemeinsamen Schrauben, Schleppen, Montieren und Demontieren Kommunikation. Wenn man mit schlechten Ohren nicht versteht, ob ein Kreuz- oder Schlitzschraubendreher benötigt wird, ob man mit der schweren Last rechts- oder linksherum gehen soll, ob ein „Stop“ oder ein „weiter“ notwendig ist, ob man oben oder unten festhalten soll – dann macht die Arbeit wenig Spaß und es ist für alle Beteiligten sehr anstrengend. Im schlimmsten Fall kann das auch zu kleinen, mittleren oder großen Katastrophen führen: Wenn der Mit-Träger nicht mehr kann und ich das „Stop!“ nicht verstehe und weiterlaufe. Wenn der Elektriker an der Lampe schraubt und „Schalter aus!“ ruft und ich „Schalter an!“ verstehe. Wenn man überhaupt mitten in der Arbeit alles dreimal erklärt bekommen muss.

Ich habe bislang bei solchen Ereignissen immer Tätigkeitsbereiche gesucht, in denen ich alleine werkeln konnte: Kisten einpacken, kleinere Dinge alleine tragen oder sauber machen. Heute erlebe ich zum ersten Mal, wie viel Spaß Teamwork machen kann, wenn es keine Kommunikationsprobleme gibt. Alle gemeinsamen Arbeiten laufen problemlos und machen viel Spaß. Und ich genieße die Small Talks in den Arbeitspausen sehr.

Am späten Nachmittag bin ich dreckig und k.o. aber glücklich. Nächstes Wochenende folgt der zweite Teil – dann sind wir für’s Erste durch und ich bin um eine schöne Hörerfahrung reicher.

Tag 200/138 – Nachjustierung

Heute vormittag geht es zur Anpassungssitzung meiner Soundprozessoren im Deutschen Hörzentrum Hannover. Dabei werden die Einstellungen meiner Soundprozessoren überprüft und optimiert, es findet eine ärztliche Untersuchung statt und auch ein Sprachtest steht auf dem Programm. Dieser Termin findet drei, sechs und zwölf Monate nach der Erstanpassungswoche statt; anschließend wird in einen jährlichen Turnus gewechselt. Bei Bedarf kann ich natürlich zusätzliche Termine vereinbaren.

Ich nehme diese Termine gerne wahr und freue mich darauf. Mein Hören wird mit jedem Termin besser und überhaupt ist alles, was ich in der MHH Hannover und im Deutschen Hörzentrum Hannover erlebt habe, für mich sehr positiv behaftet. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal gern in ein Krankenhaus oder zu Nachuntersuchungen gehe. Aber wenn man sein Gehör so schnell und so weitreichend wiedererlangt wie ich, dann sind mit diesem Ort nur positive Erinnerungen verbunden.

Es geht los mit der Anpassungssitzung bei meinem Audiologen. Ein paar Frequenzen werden nachjustiert, um eine gleichbleibende Lautstärke über das gesamte Frequenzband zu erzielen. Dabei bekomme ich jeweils vier Töne unterschiedlicher Tonhöhe vorgespielt und muss angeben, welche Töne lauter oder leiser sind als andere. Das ist insbesondere bei hohen Tönen gar nicht so einfacher, denn diese werden generell lauter empfunden als tiefere Töne. Nach dieser Feinjustierung bin ich aber noch nicht ganz zufrieden, weil die Zischlaute und Konsonanten etwas zu leise sind. Also werden die höchsten Frequenzen wieder etwas höher gestellt. Im Endeffekt ergibt sich damit ein tolles Klangbild und ich habe das Gefühl, noch besser verstehen zu können als vorher.

Ich lasse mir außerdem ein Programm für laute Musik programmieren, weil ich in Diskotheken und auf Konzerten, bei denen es über 100 dB geht, akustische Verzerrungen habe. Die Soundprozessoren sind für einen Lautstärkebereich von 20-80 Dezibel optimiert. Dies ist der Bereich, der für Sprachverständnis und Alltag am wichtigsten ist; dementsprechend wird dafür die meiste Rechenleistung der Computer auf meinen Ohren bereitgestellt. Lautstärken über 100 dB sind eher ein Ausnahmefall; die Soundprozessoren haben deshalb nicht die volle Rechenleistung für diesen Bereich. Auch die Leistungsfähigkeit der eingebauten Mikrofone ist begrenzt. Letztendlich kann ich zwar immer noch deutlich besser hören als mit Hörgeräten, aber dennoch klingt alles ein bißchen verzerrt – in etwa wie ein Verstärker, der voll im Anschlag ist. Ich bin gespannt, ob sich dieses neue Hörprogramm bei hohen Lautstärkepegeln besser schlägt.

Anschließend geht es direkt zum Sprachtest. Es werden beide Ohren – oder besser gesagt elektrische Ohren – getestet und das Ergebnis fällt hier insgesamt sehr zufriedenstellend aus. Zahlen testen wir übrigens gar nicht mehr, weil ich hier problemlos auf 100 % Sprachverständnis komme. Beim Noise-Test wird ein Störgeräusch eingespielt, das 10 Dezibel leiser ist als die Sprache selbst.

  • Freiburger Einsilber: links 55 %, rechts 85 %,zusammen 85 %
  • HSM Satztest in Ruhe: links 83,01 % (rechts und zusammen nicht getestet, da schon beim letzten mal knapp unter 100 % lag)
  • HSM Satztest in Noise: links 30,18 %, rechts 19,81 %, zusammen 55 %

Beim Noise-Test auf dem rechten Ohr habe ich komplett die Konzentration verloren; hier lag ich vor drei Monaten schon bei über 40 %. Das ist ärgerlich, aber kein Grund zur Sorge; solche Ausrutscher bedeuten nicht wirklich, dass das Hören schlechter geworden ist. Insgesamt ist mein linkes Ohr deutlich besser geworden und rückt immer näher an das zwei Monate früher implantierte heran. Mit beiden Ohren höre ich hervorragend und es gibt eigentlich nur noch bei der Störschall-Situation noch Verbesserungsbedarf.

Anschließend geht es zur ärztlichen Untersuchung. Wie nicht anders erwartet ist alles bestens und ich bin schon nach 10 Minuten wieder draußen.

Nach dem Mittagessen statte ich dem Med-El-Center im Deutschen Hörzentrum noch einen Besuch ab und lasse dort die Funkempfänger für meine Soundprozessoren lauter stellen, die ich für die Verwendung der Tischmikrofone benötige. Auch ein Kabeltausch steht auf dem Programm, weil mein linker Soundprozessor manchmal einen leichten Wackelkontakt hat. Dann bin ich fertig.

In der Innenstadt treffe ich am Nachmittag eine sehr nette Frau, die ich im CI-Forum auf Facebook kennengelernt habe und die in dieser Woche ebenfalls ein Cochlea-Implantat bekommt. Es ist immer toll, sich mit anderen und kommenden CI-Trägern auszutauschen und ich hoffe, dass ich Alessandra etwas von ihrer Nervosität nehmen kann. Ich selbst war vor beiden Operationen auch sehr aufgeregt und kann mich gut in ihre Situation hineinversetzen.

Etwas schwierig ist für mich immer, dass meine Hörgeschichte mit den Cochlea-Implantaten ungewöhnlich ist und vermutlich das Optimum darstellt, dass nach einer solchen Operation zu erwarten ist – sowohl im Hinblick auf den Hörerfolg als auch auf die Geschwindigkeit. Warum es bei mir so gut und schnell geklappt hat, weiß ich nicht – das kann niemand sagen. Die Erwartungen, die ich bei anderen CI-Patienten erwecke, sind natürlich sehr hoch und umso größer mag hinterher die Enttäuschung sein, wenn der Hörerfolg nicht so schnell und so groß ist und auch die Operation nicht so schnell und gut verkraftet wird wie bei mir.

Jeder Mensch ist unterschiedlich und auch jede Operation. Ich war nach der ersten Implantierung sehr schnell wieder fit; nach der zweiten dauerte es länger. Ich hatte weder Schwindel noch Geschmacksverlust noch Tinnitus oder starke Schmerzen – all das kann aber durchaus passieren. Und die wenigsten Patienten hören mit einem Cochlea-Implantat auf Anhieb gut. Manche brauchen Monate, um Sprache zu verstehen – oder sogar noch länger. Bei einigen wenigen klappt es nie.

Ich selbst hätte den Schritt zum Hörimplantat nicht gewagt, wenn ich nicht selber Erfolgsstorys gelesen hätte, die mir gezeigt haben, das möglich sein KANN. Dass es bei mir auch so gut läuft habe ich nicht erwartet. Und das sollte auch niemand, der ein Hörimplantat bekommt.

Tag 184/122 – Kohltour

Ich bin zur alljährlich stattfindenden Kohltour der Dorffeuerwehr eingeladen. Kohltouren sind in Norddeutschland sehr beliebt. Man trifft sich früh am Nachmittag und zieht dann den Nachmittag über mit einem Bollerwagen voller überwiegend alkoholischer Getränke gemütlich zu einem Restaurant, in dem dann Grünkohl mit Pinkel gegessen wird. Auf dem Weg wird viel geklönt, es werden Spiele gemacht – und es wird viel getrunken. Man ist meistens in einer reinen Männer- oder als Frau in einer reinen Frauengruppe mit 10 oder mehr Personen unterwegs; aber auch gemischt geschlechtliche Kohltouren werden immer beliebter.

Obwohl ich schon seit 2004 im ländlichen Norden lebe, habe ich bislang selten daran teilgenommen – vor allem deshalb, weil die Kommunikation für mich auf so einer Veranstaltung sehr schwierig ist. Unterhaltungen beim Spazierengehen sind für stark Hörgeschädigte eine totale Herausforderung, weil man dem Gesprächspartner auf die Lippen schauen muss, um ihn zu verstehen. Das ist beim Laufen nicht so einfach. Einfach nebeneinander gehen und sich unterhalten – das konnte ich noch nie.

Dass der größte Teil einer Kohltourtruppe spätestens nach 2 Stunden anfängt zu lallen, macht die Kommunikation für mich ebenfalls nicht einfacher. Betrunkene zu verstehen ist für hörgeschädigte Personen sehr schwierig, weil die Aussprache undeutlicher wird. Beim Lallen verändert sich das Mundbild und Konsonanten gehen komplett verloren. Dazu kommt, dass auch der Inhalt des Gesagten bei zunehmendem Promillepegel immer schwerer zu erraten wird, weil die Logik flöten geht. Die einzige Lösung ist hier, sich selbst ordentlich einen einzuschenken – dann ist es einem auch egal, ob man alles versteht oder etwas komplett falsch versteht. Das merkt der Gesprächspartner dann sowieso nicht mehr.

Dazu kommt, dass die Gespräche häufig quer durch die Gruppe laufen. Und auch bei den Spielen ist es wichtig, dass man die Regeln versteht und dem Gesagten folgen kann. Ich musste mir bislang immer alles drei mal von jemandem erklären lassen und es hat einfach wenig Spaß gemacht, sondern war mit viel Frustration und Anstrengung verbunden.

Obwohl ich schon seit über 10 Jahren in unserem kleinen Dorf mit etwa 500 Einwohnern lebe, hier viele Freunde gewonnen habe und alles andere als isoliert bin, habe dennoch recht wenig Kontakt zu der restlichen Dorfbevölkerung gehabt. Man kennt sich, man sieht sich auf Dorffesten, man sagt ‚Hallo‘ oder nickt sich zu – aber mehr auch nicht. Alles darüber hinaus ist sehr anstrengend – sowohl für mich, als auch für die Gesprächspartner, die oft nicht mehr wissen was sie machen sollen, wenn ich auch bei der zweiten Wiederholung nicht verstanden habe, was gesagt worden ist.

Das ist heute komplett anders. Mit ziemlich jedem aus der ca. 30-köpfigen Kohltourtruppe komme ich heute ins Gespräch. Ich werde oft wegen des Zeitungsartikels in der Kreiszeitung angesprochen und lerne heute viele Leute näher kennen, die ich schon seit Jahren vom Sehen kenne. Und: Ich kann mich auch endlich mit Vollbartträgern unterhalten. Das ging früher gar nicht, weil man hier die Lippen nicht sieht und deshalb auch nicht vom Mund ablesen kann.

Der Nachmittag vergeht wie im Flug mit vielen interessanten und netten Gesprächen. Ich verstehe fast alles und kann auch bei den Spielen völlig problemlos mitmachen (wir machen einen Team-Dartwettbewerb im Wald, was mit ordentlich Alkohol im Blut ziemlich lustig ist). Auch das abschließende Grünkohlessen im Restaurant ist wirklich schön und ich erfahre viel Dorfkolorit und lerne viele Menschen, mit denen ich schon lange im Dorf zusammen lebe, das erste mal richtig kennen.

Das Leben ist so viel einfacher, wenn man seine Mitmenschen gut verstehen kann. Gesellschaftliches Zusammensein ist für mich nicht mehr anstrengend und keine Herausforderung mehr, sondern ich kann es einfach genießen. Vor allem haben viele Menschen keine Hemmungen mehr, mich anzusprechen, weil sie nicht wissen, WIE sie mit mir sprechen sollen. Man darf nie vergessen, dass es nicht nur für einen Hörgeschädigten selber schwierig ist, zu kommunizieren, sondern dass oftmals auch die Gesprächspartner verunsichert sind und nicht wissen, was verstanden wird, wie sie sprechen sollen und was sie machen sollen, wenn die Kommunikation nicht funktioniert.

Aber das ist jetzt Geschichte. Ich bin mittendrin und nicht mehr länger nur dabei.

Tag 183/121 – MerQury

Heute wird das Weihnachtsgeschenk meiner ErstBestenHälfte eingelöst: Wir fahren in die MusicHall Worpswede, um uns dort ein Konzert einer der bekanntesten Queen-Coverbands namens MerQury anzuschauen. Ich war mit meinen elektrischen Ohren auf noch keinem richtigen Rockkonzert und bin sehr gespannt, wie sich das anhören wird und ob die Soundprozessoren mit der hohen Lautstärke zurecht kommen. Der erste Diskotheken-Besuch war in dieser Hinsicht eher ernüchternd, weil die Soundprozessoren Input über 100 dB Lautstärke verzerrt wiedergeben.

Der Abend ist ein voller Erfolg. Ich regele die Lautstärke der Soundprozessoren etwas herunter und schalte in das Musikprogramm, damit hört sich die Musik am besten an. Der Sound ist insgesamt fantastisch und auch die Band macht einen Heidenspaß. Ich war zuerst skeptisch, denn Freddy Mercury kann man einfach nicht kopieren. Aber die Jungs auf der Bühne geben wirklich alles und haben vor allem einen Mordsspaß an ihrem Auftritt, der Musik und mit dem Publikum. Und das sind eigentlich immer die schönsten Konzerte: Wenn man führt, dass jemand auf der Bühne steht, der richtig Spaß an der Sache hat und nicht einfach nur sein Programm herunterspult.

Interessanterweise bemerke ich, dass meine Lippenables-Fähigkeit etwas nachzulassen scheint. Es fällt mir zunehmend schwerer, ohne Ton zu verstehen, Vielleicht schaltet mein Gehirn diese Fähigkeit ein wenig in den Standby-Modus, weil ich es nicht mehr so häufig brauche. Und verschiebt alle vorhandenen Ressourcen auf die Ohren. Das ist zwar etwas schade, aber das Hören ist wichtiger als das Ablesen – wenn es funktioniert. Und das tut es bei mir nach wie vor verdammt gut.