Schlagwort: Kultur

Tag 349/287 – Big Little Lies

Seit meiner Jugend, in der sich mein Gehör rapide verschlechtert hatte, schaue ich Filme und Serien eigentlich nur mit Untertitelung. Ins Kino bin ich fast nur dann gegangen, wenn eine Originalversion mit Untertiteln (OmU) auf dem Programm stand. In einigen, wenigen Fällen, wenn ich Blockbuster, die nicht in Programmkinos liefen, unbedingt sehen wollte, habe ich mir die Handlung vorher durchgelesen, um halbwegs zu verstehen, worum es ging. Beim Fernsehen habe ich immer Teletext-Untertitel verwendet, sofern diese verfügbar waren. Ich habe häufig DVDs und später BluRays gekauft, weil hier eigentlich immer Untertitel verfügbar sind. Und auch mit meinen Hörimplantaten habe ich die Untertitel meistens angelassen, weil ich es so gewohnt bin und weil es mir auch mit Hörimplantaten einfach zu anstrengend war, über einen längeren Zeitraum konzentriert zuzuhören. Gelegentlich habe ich die Untertitel für eine halbe Stunde oder eine Episode einer Serie ausgeschaltet und den ein oder anderen Tatort habe ich auch schon ganz ohne Untertitel geschaut. Aber generell wollte ich auf diese Unterstützung bislang nicht verzichten.

Ich brauche sie jetzt nicht mehr. Meine EBH wollte gern mit mir ‚Big Little Lies‘ schauen – eine siebenteilige US-amerikanische Fernsehserie auf Sky, bei denen die Untertitel – warum auch immer – zwar angekündigt waren, aber nicht funktionierten. Ich habe es trotzdem versucht – und die komplette erste Staffel dieser wirklich tollen Serie komplett ohne Untertitel angeschaut. In den gesamten sieben Folgen musste ich vielleicht ein oder zweimal anhalten und meine EBH fragen, was gesagt wurde oder ob ich richtig verstanden habe. Abgesehen davon habe ich fast alles verstanden und konnte der Handlung hervorragend folgen. Ich muss hinzufügen, dass in dieser Serie eigentlich nonstop geredet wird – und zwar überwiegend von Frauen, die ich normalerweise wegen der höheren Stimmlage etwas schlechter verstehe als Männer. Außerdem sprechen die Schauspieler Englisch – Lippenablesen ist also nicht möglich.

Seitdem schalte ich Untertitel nicht mehr automatisch an, sondern nur noch dann, wenn ich enorm müde bin, die Schauspieler gar nicht verstehe oder meine Teleschlinge, die per Bluetooth mit dem Fernseher verbunden ist, nicht aufgeladen oder verlegt ist. Das Verstehen über den Fernseher selbst ohne Equipment, das mir den Ton direkt in die Audioprozessoren speist, ist mit meinem Fernsehgerät leider nicht möglich – dazu ist die Soundqualität zu schlecht. Vielleicht bekomme ich dieses Problem mit einem besseren TV-Gerät oder einer hochwertigen Soundbar noch besser in den Griff. Bis dahin freue ich mich darüber, dass ich endlich kein oder kaum noch ein Handicap beim Anschauen von Filmen und Serien habe. Und freue mich darauf, die zweite Staffel von ‚Haus des Geldes‘ untertitelfrei genießen zu können.

Tag 239/177 – Escape Room

Und schon wieder geht es ins Kino. Dieses mal eher zufällig: Ich treffe mich mit Junior I, der sein einwöchiges Praktikum in einem Hamburger Tonstudio heute beendet hat, in der Innenstadt. Nach einem schönen Vater-und-Sohn-Feierabendshopping kommen wir auf dem Weg zum Auto am einem Hamburger Kinopalast vorbei und beschließen spontan, in die gerade startende Filmvorführung von Escape Room zu gehen – einem US-Amerikanischen Horrorfilm.

Ein spontaner Kinobesuch war mit Hörgeräten bislang undenkbar – zumindest dann, wenn ich die Handlung verstehen musste. Kinobesuche mussten zumindest einen oder zwei Tage im Voraus geplant werden. Denn Filme mit Untertiteln laufen nur selten und meist auch nur in Programmkinos. Blockbuster findet man dort eher selten und Junior I ist noch nicht besonders an Arthouse-Kino interessiert. Filme ohne Untertitel habe ich nur geschaut, wenn ich mir die Handlung vorher durchlesen konnte – was das Kinoerlebnis twas langweilig macht, weil man das Ende des Filmes schon kennt.

Es ist total toll, jetzt einfach mal spontan ins Kino gehen zu können. Auch heute habe ich fast alle Dialoge verstanden; nur ein Sprecher war etwas schwierig zu verstehen. Mit manchen Stimmen habe ich nach wie vor Probleme. Der Handlung konnte ich aber insgesamt gut folgen; wie erwartet war diese auch nicht allzu anspruchsvoll. Trotzdem hat es großen Spaß gemacht. Es muss nicht immer Arthouse sein; auch gut gemachtes Popkornkino kann Spaß machen. Vor allem dann, wenn es spontan möglich ist. Auch das ist ein Stück neue Lebensqualität, die ich jetzt sehr genieße.

Tag 238/176 – König der Löwen

Zu meinem Geburtstag habe ich von meiner Familie Karten für einen Besuch im Hamburger Musical „König der Löwen“ geschenkt bekommen. Obwohl ich jahrelang in unmittelbarer Nähe der Musical-Location gearbeitet habe, die gegenüber den Landungsbrücken auf der anderen Seite der Elbe liegt, habe ich es leider nie geschafft, mir dieses Musical anzuschauen. Jetzt, mit neuen, elektrischen Ohren, freue ich mich umso mehr darauf, den König der Löwen zusammen mit Junior I und II endlich einmal live zu erleben.

Schon am Morgen nehme ich beide Pubertiere nach Hamburg mit – Junior I muss zum Praktikum am Stadtrand und Junior II absolviert seinen Zukunftstag im Hamburger SAP Büro. Am späten Nachmittag fahren wir zusammen zur Musical-Halle, setzen mit dem Boot zu den Landungsbrücken über, essen dort ein Fischbrötchen und sind dann rechtzeitig vor Veranstaltungsbeginn am Eingang.

Ich war bislang erst einmal in meinem Leben in einem Musical: Ende der 70er Jahre in ‚Peter und der Wolf‘ in Münster. Danach habe ich Musicals nur noch im Fernsehen gesehen, obwohl ich seit 2000 in der „Musicalstadt“ Hamburg arbeite. Einerseits deshalb, weil ich generell kein großer Musical-Fan bin. Zum anderen deshalb, weil das Verstehen von Songtexten für Hörgeschädigte eine enorme Herausforderung ist. Die normale Wort- und Satzbetonung ist bei einem Song im Normalfall stark verändert, was das Verstehen sehr schwierig macht. Dementsprechend ist auch das Lippen-Ablesen deutlich schwieriger als sonst. Die Entfernung zur Bühne ist meistens auch so groß, dass ich bei Musicals oder Opern und generell allen Veranstaltungen, bei denen das Geschehen nicht zusätzlich per Großbildmonitor übertragen wird, nichts verstehen kann. Und selbst dann, wenn Bildschirme vorhanden sind – was bei Konzerten und Comedy-Veranstaltungen ja mittlerweile die Regel ist: Ich gehe nicht auf eine Live-Veranstaltung, um dort auf einen Bildschirm zu schauen. Das ist langweilig. Live heißt für mich, das „echte“ Geschehen auf der Bühne zu beobachten. Deshalb filme ich auch generell keine Veranstaltungen auf dem Handy ab. Ich werde nie verstehen, warum Menschen 100 Euro oder mehr ausgeben und auf eine Veranstaltung fahren, um dann ihr Handy in die Luft zu halten und das Bühnengeschehen auf einem kleinen Handydisplay zu beobachten.

Unsere Plätze sind schön mittig, allerdings sehr weit oben. Zwar sind wir deshalb weit entfernt vom Geschehen auf der Bühne, haben dafür aber einen guten Überblick über das gesamte Geschehen, das mich schon nach kurzer Zeit sehr in den Bann zieht: Die hervorragend arrangierte Bühnentechnik und Beleuchtung, die herrlich phantasievoll gestalteten Kostüme und die tolle Musik: Das ist wirklich beeindruckend. Das Hören ist allerdings schwierig: Die Akustik ist bei weitem nicht so gut wie im Kino und ich verstehe nur etwa 50% des Gesprochenen und sehr wenig vom Gesang. Das ist weniger als ich erwartet habe, aber dennoch deutlich mehr als mit Hörgeräten möglich gewesen wäre. Da ich die Handlung kenne, kann ich dem Geschehen trotzdem gut folgen und es genießen; ich bin also keineswegs enttäuscht.

Schön ist auch der kleine Small-Talk während der Pause mit zwei reizenden älteren Damen aus Österreich, die zu Besuch in Deutschland sind und sich sehr über meine gut erzogenen Kinder freuen. Kein Hörfehler übrigens – außerhalb der eigenen vier Wände benehmen sich die Pubertiere meistens ganz toll. Schön, dass man als Elternteil nicht alles falsch gemacht hat.

Tag 231/171 – The Green Book

Seit meinem ersten Kinobesuch mit Cochlea-Implantaten vor etwa drei Monaten war ich nicht mehr im Kino. Zum Einen liefen in der letzten Zeit kaum Filme, die mich wirklich interessierten. Zum Anderen habe ich mich einfach nicht getraut, wieder ins Kino zu gehen, weil ich Angst hatte, den großartigen Hörerfolg von damals nicht wiederholen zu können.

Vielleicht wird es in einem anderen Kino mit einer anderen Akustik nicht so gut funktionieren? Vielleicht verstehe ich andere Stimmen im Film nicht so gut? Obwohl mein Hörweg bislang enorm erfolgreich verläuft habe ich ein bißchen Angst vor Enttäuschungen. Und die wird es geben: Ich muss noch viel ausprobieren und es wird sicherlich noch einige Rückschläge geben. Das ist eigentlich auch kein Problem, aber ich gehe zu gerne ins Kino um hinterher enttäuscht wieder rauszukommen.

Die meisten Filme, die mich derzeit interessieren, laufen derzeit interessanter Weise als Originalversion mit Untertiteln. Früher hätte ich mich darüber gefreut, weil dies für mich die einzige Möglichkeit war, einen Kinofilm zu verstehen. Ich werde auch künftig in untertitelte Filme gehen, weil ich Programmkinos sehr gerne mag und auch gerne Filme im Originalton sehe. Allerdings verstehe ich noch nicht so gut Englisch, dass ich einem englischsprachigen Film folgen kann und auch die ErstBesteHälfte hätte daran weniger Spaß.

Auf Deutsch lasse ich es heute aber einfach drauf ankommen: Ich möchte mit der ErstBestenHälfte in „The Green Book“ – den Film, der den diesjährigen Oscar für den besten Film gewonnen hat. Er erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen dem afroamerikanischen Pianisten Don Shirley und seinem Italo-amerikanischen Chauffeur, Bodyguard und Freund Tony Lip. Der Film läuft über zwei Stunden und ist das, was meine Kinder einen „Laberfilm“ nennen würden: es wird viel geredet und die Handlung ist eigentlich nur über die Dialoge erfassbar.

Es ist schwierig, die eigenen Hörerwartungen an diesen Abend herunter zu schrauben. Meine Mindesterwartung ist, dem Film inhaltlich gut folgen zu können – mehr erwarte ich eigentlich nicht. Weniger aber auch nicht – über zwei Stunden einen Film anzuschauen, dem ich nicht folgen kann, wäre kein Vergnügen.

Schon bei den Werbespots am Anfang bemerke ich allerdings, dass ich gut verstehe. Das macht Hoffnung, auch wenn es wieder einmal frustrierend ist, sich anzuhören, wie einfallslos und flach die Dialoge in deutschen Werbespots sind.

Der Film selbst: Wunderschön. Absolut empfehlenswert. Ich verstehe fast jedes Wort – und das 131 volle Minuten lang. Natürlich muss ich mich voll konzentrieren, aber im Gegensatz zu früheren Kinobesuchen mit Hörgeräten lohnt sich die Anstrengung, weil ich nahezu alles verstehe – wirklich jedes Wort. Damit habe ich – wieder einmal – nicht gerechnet.

Der nächste Kinobesuch kann kommen. Ich werde dann mal die Akustik in meinem Lieblings-Programmkino in Hamburg ausprobieren und berichten.

Tag 183/121 – MerQury

Heute wird das Weihnachtsgeschenk meiner ErstBestenHälfte eingelöst: Wir fahren in die MusicHall Worpswede, um uns dort ein Konzert einer der bekanntesten Queen-Coverbands namens MerQury anzuschauen. Ich war mit meinen elektrischen Ohren auf noch keinem richtigen Rockkonzert und bin sehr gespannt, wie sich das anhören wird und ob die Soundprozessoren mit der hohen Lautstärke zurecht kommen. Der erste Diskotheken-Besuch war in dieser Hinsicht eher ernüchternd, weil die Soundprozessoren Input über 100 dB Lautstärke verzerrt wiedergeben.

Der Abend ist ein voller Erfolg. Ich regele die Lautstärke der Soundprozessoren etwas herunter und schalte in das Musikprogramm, damit hört sich die Musik am besten an. Der Sound ist insgesamt fantastisch und auch die Band macht einen Heidenspaß. Ich war zuerst skeptisch, denn Freddy Mercury kann man einfach nicht kopieren. Aber die Jungs auf der Bühne geben wirklich alles und haben vor allem einen Mordsspaß an ihrem Auftritt, der Musik und mit dem Publikum. Und das sind eigentlich immer die schönsten Konzerte: Wenn man führt, dass jemand auf der Bühne steht, der richtig Spaß an der Sache hat und nicht einfach nur sein Programm herunterspult.

Interessanterweise bemerke ich, dass meine Lippenables-Fähigkeit etwas nachzulassen scheint. Es fällt mir zunehmend schwerer, ohne Ton zu verstehen, Vielleicht schaltet mein Gehirn diese Fähigkeit ein wenig in den Standby-Modus, weil ich es nicht mehr so häufig brauche. Und verschiebt alle vorhandenen Ressourcen auf die Ohren. Das ist zwar etwas schade, aber das Hören ist wichtiger als das Ablesen – wenn es funktioniert. Und das tut es bei mir nach wie vor verdammt gut.

Tag 150/88 – Beethoven

Ich mag klassische Musik sehr gerne, auch wenn ich sie zu selten höre. Ich bin mit Mozart aufgewachsen und habe am Klavier viel klassische Musik gespielt. Neben Mozart mag ich besonders Bach und Beethoven sehr gerne. Der zweite Satz von Beethovens Mondscheinsonate ist das schwierigste Stück, das ich je auf dem Klavier spielen konnte. Ich habe lange damit gekämpft, weil ich es unbedingt spielen wollte und ich werde im nächsten Jahr auch versuchen, dieses Stück wieder neu zu lernen.

An das Klavier traue ich mich immer noch nicht wirklich. Mein Hören ist zwar wunderbar, aber das Klavier klingt anders. Ich höre insbesondere die hohen Töne sehr gut; im mittleren Bereich ist die Veränderung zu vorher sehr stark. Dazu kommt, dass Schlagzeug derzeit immer noch Vorrang hat, weil ich so viel Spaß mit diesem Instrument habe, dass für eine zweite musikalische Herausforderung derzeit einfach keine Zeit vorhanden ist.

Heute morgen ruft meine Schwägerin an, die eigentlich mit einer Freundin zu einem Konzert der Berliner Philharmoniker in der Glocke, einem Bremer Konzertsaal, gehen wollte. Die Freundin hatte krankheitsbedingt abgesagt und sie war auf der Suche nach einer alternativen Begleitung. Ich sagte natürlich spontan zu. Auf dem Programm steht Beethovens berühmte 9. Sinfonie, die besonders durch den vierten Satz bekannt ist, in dem der zu diesem Zeitpunkt bereits völlig ertaubte Beethoven das Gedicht ‚An die Freude‚ von Friedrich Schiller vertonte. Diese Melodie ist übrigens auch die offizielle Europahymne.

Ich bin sehr gespannt, ob ich mit meinen Cochlea Implantaten wieder klassische Musik genießen kann. Wir haben gute Plätze vorne im Empore und als es endlich losgeht bin ich restlos begeistert und überwältigt davon, wie gut ich das Orchester und die Musik hören kann. Nahezu alle Instrumente sind klar erkennbar; selbst leise Paukenschläge höre ich gut. Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Leben wieder so etwas Wundervolles in einer solchen Hörqualität genießen kann.

Richtig überwältigend wird es dann, als der Chor die Bühne betritt und der berühmte vierte Satz beginnt.

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,

Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum!
Deine Zauber binden wieder
Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

Ich muss mich wahnsinnig zusammenreißen, um nicht wieder loszuheulen. Es hört sich alles so fantastisch an. Momente wie dieser sind nur schwer zu beschreiben. Ich werde wieder klassische Musik genießen und in die Oper gehen können. All das ist immer noch wie ein wunderbarer Traum und ich möchte am liebsten die ganze Welt küssen.

Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder, überm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen.
Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Freude, schöner Götterfunken
Tochter aus Elysium,
Freude, schöner Götterfunken, Götterfunken.