Monat: August 2018

Tag 30 – Aller guten Dinge sind zwei

Heute habe ich die Medizinische Hochschule Hannover angemailt und um einen Termin für die Implantation des zweiten, linken Ohres gebeten. Das Hörgerät trage ich gar nicht mehr. Nicht nur das Verstehen ist deutlich schlechter als mit dem Implantat, sondern ich höre damit auch weniger Geräusche. Der dumpfe Sound macht mich wahnsinnig – das geht gar nicht mehr. Also wird das zweite Ohr auch elektrisch – egal wie die Erstanpassung in der nächsten Woche ablaufen wird. Schlechter wird es auf keinen Fall werden und selbst, wenn sich das Hören nicht mehr signifikant verbessert, möchte ich auf beiden Ohren so hören können wie mit dem Cochlea-Implantat. Und zwar so schnell wie möglich.

Da die Voruntersuchungen noch frisch sind, wird der zweite Krankenhausaufenthalt kürzer sein – ich brauche eigentlich nur das Vorgespräch mit dem Narkosearzt und dem Oberarzt, der mich operieren wird. Und: Das linke Ohr hört seit vier Wochen nichts mehr. Je länger es inaktiv ist, desto schwieriger wird es werden, mit dem Cochlea-Implantat zu hören. Vier oder acht Wochen sind da sicherlich kein Problem, aber je schneller desto besser.

Schön finde ich, dass Med-El mein Blog auf der Unternehmens-Facebookseite verlinkt hat. Ich hatte mich per E-Mail bei Med-El für das großartige Produkt bedankt und die Firma auf das Blog aufmerksam gemacht. Frühanpassungen werden ja noch nicht lange gemacht und vielleicht können meine Erfahrungen dabei helfen. das Prozedere noch weiter zu verbessern. Die Antwort kam sehr rasch und der Ansprechpartner bei Med-El war sehr über meinen Hörerfolg erfreut.

Bevor Fragen aufkommen: Ich arbeite nicht für Med-El und bekomme auch kein Geld oder sonstige Geschenke dafür. Ich denke auch, dass mein Hörerfolg mit Cochlear oder Advanced Bionics nicht schlechter gewesen wäre. Natürlich weiß man es nicht, aber eine gute Hörqualität ist bei allen Implantat-Herstellern gegeben. Ich bin einfach froh, dass es so gut funktioniert und finde, dass die Menschen, die solche Produkte entwerfen und für Mel-El, Cochlear, Advanced Bionics oder Oticon arbeiten, auch einmal erfahren sollen, dass sie mit ihrer Arbeit etwas verdammt Tolles bewirken können.

 

Tag 29 – Man kann nicht alles verstehen

Kinder sind etwas Tolles – aber auch toll teuer. Vor allem wenn sie schnell wachsen. Junior I ist mir mittlerweile über den Kopf gewachsen und Junior II ist immerhin schon meiner ErstBestenHälfte über den Kopf gewachsen. Also müssen mal wieder neue Klamotten her und wir fahren nach Feierabend zum Einkaufen in den Weserpark nach Bremen. Ich habe schon am Tag nach der Frühanpassung gemerkt, dass Einkaufszentren mit Hörimplantat deutlich stressfreier sind als mit Hörgerät, weil die Umgebungsgeräusche selbst mit meinen Werkseinstellungen besser gedämpft werden. Hörgeräte haben zwar im Normalfall auch eine Geräuschunterdrückung, aber das funktioniert mit dem Soundprozessor besser. Die Geräuschkulisse ist weitaus angenehmer und ich verstehe trotzdem besser als mit Hörgeräten. Nicht verstehe ich, warum es unbedingt DIESE Markenklamotten für Junior I sein müssen – aber dafür kann Med-El nun wirklich nichts.

Schön ist es, im Auto die Lieblingsmusik der ErstBestenHälfte anhören zu können. Ich habe vor der Implantation ja nur Musik gehört, die ich kenne. Unser Musikgeschmack überschneidet sich in vielen Bereichen. Nicht verstehen werde ich aber, wie man am Spätnachmittag, wenn der tote Punkt naht oder schon erreicht ist, Musik hören kann, die so einschläfernd ist, dass der Müdigkeitswarner im Auto auf höchste Alarmstufe geht. Aber auch dafür kann mein Implantat wirklich gar nichts.

Tag 28 – Schreck lass nach

Heute früh höre ich beim Morgenkaffee auf der Terrasse Krähen. Das ist schön! Seit der Implantation höre ich Tiere deutlich besser. Das macht das Leben etwas schreckfreier. Denn Hunde habe ich zum Beispiel oft erst dann wahrgenommen, wenn sie direkt hinter mir waren – man erschreckt sich selbst als Hundeliebhaber sehr, wenn man die Tiere nicht kommen hört, und angesprungen wird. Es ist auch praktisch, wenn man Hundeknurren sofort hört und nicht erst dann, wenn zugeschnappt wird. Normalerweise merke ich natürlich, wenn sich ein Hund unwohl fühlt, aber manchmal kann es passieren, dass die Stimmung rapide umkippt oder der Hund eine bestimmte Streichelbewegung nicht mag.

Vögel waren mir immer ein Graus, weil ich das Geflatter erst direkt am Ohr bemerkte. Wir hatten in meiner Jugendzeit einen Wellensittich, der ab und zu frei in der Wohnung fliegen durfte und das machte mich immer sehr nervös. Auch Wespen höre ich jetzt wenn sie hinter meinem elektronischen Ohr summen – das ist natürlich ein großer Vorteil.

Mit einer Hörschädigung wird man generell viel häufiger erschreckt als mit gesunden Ohren. Auch Menschen, die sich von hinten nähern, nimmt man erst wahr, wenn sie ganz nahe sind. Oder Trecker – beim Joggen über die Feldwege  bin ich schon mehrmals in gefährliche Situationen gekommen, weil ich von hinten nahende Trecker nicht gehört habe. Die Fahrer gehen natürlich nicht davon aus, dass man das Fahrzeug nicht hört und rechnen nicht mit einem Schritt Richtung Straße. Ich empfehle deshalb jedem hörgeschädigten Jogger, der im ländlichen Bereich unterwegs ist, sich eine Warnweste mit einem durchgestrichenen Ohr auf dem Rücken zu besorgen. Auch hier ist die Unsichtbarkeit der Hörbehinderung ein großer Nachteil.

Nach Feierabend geht es ins Einkaufszentrum, weil der Nachwuchs mal wieder aus den Klamotten herausgewachsen ist. Ich bin nach wie vor begeistert davon, wie gut mein Soundprozessor schon in der Werkseinstellung Umgebungsgeräusche dämpft und wie gut die Stimmen der mich begleitenden Personen dennoch verständlich sind. Die Hörgeräte konnten das nicht halb so gut. Das Einkaufen ist damit deutlich entspannter. Einziger Nachteil: Ich erschrecke jetzt schon dann, wenn ich den Preis an der Kasse höre. Und nicht erst, wenn der zu zahlende Betrag am Kartenleser angezeigt wird.

Tag 27 – Kontext

Heute experimentiere ich mit der Teleschlinge, die eine drahtlose Bluetooth-Verbindung vom Laptop oder Smartphone zum Soundprozessor ermöglicht. Vorteil hierbei ist, dass man das Kabel nicht die ganze Zeit am Soundprozessor hängen hat. In einem früheren Beitrag habe ich schon geschrieben, dass der Sound vom Smartphone (Samsung Galaxy S9) über Teleschlinge deutlich schlechter ist als bei einer Direktverbindung. Interessanterweise ist der Sound besser, wenn ich die Teleschlinge statt mit dem Smartphone mit meinem MacBook Pro koppele. In beiden Fällen nimmt die Soundqualität im hohen Lautstärkenbereich stark ab und wird blechern, Mit der Tonübertragung per Kabel gibt es dieses Problem nicht. Sehr gut ist, dass die Umgebungsgeräusche bei einer Verbindung über Bluetooth komplett abgeschaltet sind. Ich kann damit das erste mal überhaupt Musik hören und Schlagzeugspielen – wow! Zwar höre ich das Schlagzeug so gut wie gar nicht mehr, aber ich weiß, was ich spiele und es macht wahnsinnig Spaß, die ganzen Songs, die ich bislang eingeübt habe, mit Begleitung zu spielen. Und es ist schwerer als ich dachte… Bei der Erstanpassung werde ich entweder die Kabelverbindung oder die kabellose so konfigurieren lassen, dass die Umgebungsgeräusche ganz leise sind – dann höre ich das Schlagzeug noch ein bißchen und die Musik deutlich. Das wird dann richtig cool. Let’s rock!

Ein weiteres Erfolgserlebnis gibt es, als ein Mitarbeiter von EWE, unserem regionalen Gasversorger, vor der Tür steht und eine Markierung am Haus anbringen will, die anzeigt, wo die Gasleitung angeschlossen ist. Eine solche Situation, auf die man nicht im Geringsten vorbereitet ist, war für mich früher enorm herausfordernd. Ich brauchte immer einen Kontext, um zu verstehen, worum es geht und das Lippenablesen auf diesen Kontext einzustellen. Ich muss vorher wissen, ob Deutsch oder Englisch gesprochen wird – sonst versuche ich vergeblich, aus dem Englischen deutsche Wörter vom Mund abzulesen oder anders herum. Meetings, in denen ohne Warnung zwischen Englisch und Deutsch gewechselt wird, sind für mich ein Worst Case. Gespräche mit Fachbegriffen ebenfalls. Immer dann, wenn ich nicht raten und kombinieren konnte, war ich bislang relativ hilflos. Ein junger Mann mit Laptop, der etwas über einen gelben Punkt erzählt, der ans Haus muss, wäre noch vor einigen Wochen für mich eine Hörkatastrophe gewesen. Ich muss auch heute einmal nachfragen, verstehe dann aber alles hervorragend.

Wenn ich bislang auf der Straße angesprochen wurde, habe ich meistens mit der Uhrzeit geantwortet – das passt in 40% aller Fälle. Wenn der Paketmann klingelte, gab es keine Probleme, weil ich in etwa weiß, was gesagt wird. Oder der Schornsteinfeger. Oder die Zeugen Jehovas, bei denen ich mich, wie ich zugeben muss, aber häufig völlig gehörlos gestellt habe, um sie schnellstmöglich wieder los zu werden. Die Polizei war Gottseidank noch nie bei uns – das wäre für mich enorm schwierig und meine Nervosität, weil ich nicht verstehe worum es geht, wäre sicherlich höchstverdächtig. Polizeikontrollen im Dunkeln sind ebenfalls ein großes Problem, weil ich nichts verstehe, wenn ich mit der Taschenlampe angeleuchtet werde. Und die Polizei mag es nicht besonders, wenn man sie darum bittet, die eigene Visage anzustrahlen. Bislang hatte ich es allerdings immer mit verständnisvollen Beamten zu tun, die schnell gemerkt haben, dass ich eine Hörbehinderung habe. Mit einer Behinderung wird man weniger streng kontrolliert und in den meisten Fällen durfte ich schnell weiterfahren. Vielleicht auch deshalb, weil die Situation einfach unangenehm ist und die Polizisten in dieser Situation unsicher werden. Das mögen sie nämlich auch nicht.

Hörbehinderung sieht man im Normalfall nicht – das finden Eltern hörgeschädigter Kinder zwar meistens ganz toll, aber es erschwert die Situation ungemein. Denn jemand, der nur Bahnhof versteht oder absurde Antworten gibt, wird intuitiv erst einmal als Soziopath oder Psychopath eingestuft. Oder als besoffen. Ich habe in der letzten Woche bemerkt, dass ich deutlich mehr Probleme habe, wenn ich meine Beanie-Mütze trage, die Soundprozessor und Implantat verdeckt. Das mache ich vor allem wenn draußen Wind weht, weil Windgeräusche in den Mikrofonen des Soundprozessors recht laut und störend sind. Meine Gegenüber sehen dann einfach nicht, dass sie deutlich sprechen müssen und verstehen meine ungewöhnlichen Antworten oder Reaktionen nicht. Es fehlt der Kontext. Wenn ich den Soundprozessor offen trage, was bei meiner Vollglatze sehr auffällt, habe ich zwar mehr starrende Blicke am Kopf, aber die Menschen stellen sich deutlich besser auf mich ein. Dies war auch der Grund, warum ich mich ab meinem ca. 18. Lebensjahr dafür entschieden habe, bunte Hörgeräte zu tragen. Und warum mein Soundprozessor und die Spule nicht fleischfarben sind – das wäre die letzte Farbe, die ich wählen würde, sondern weiß und grün. Außerdem sind es die Farben meines Lieblingsfußballvereines (neben dem BvB): Werder Bremen.

Fußball stand heute Abend auch wieder auf dem Programm: Junior I hatte ein Auswärtsspiel. Mir fiel auf, dass ich viele der ins Feld gebrüllten Anweisungen der Trainer verstand. Und auch die Traineransprache nach dem Spiel verstand ich aus ca. 5 Meter Entfernung hervorragend. Die Fußballeltern bei der Spielanalyse danach natürlich auch. Ich freue mich schon drauf, demnächst mal im Weserstadion die Schlachtrufe zu verstehen. Es gibt noch so viel zu entdecken!

 

Tag 26 – Cinema Paradiso

Heute habe ich zum ersten Mal seit fast zwei Monaten wieder Sport getrieben. Vor der Implantation hatte ich keine Zeit, weil ich vier Wochen unterwegs war: Eine Woche beruflich in Walldorf und dann drei Wochen urlaubsbedingt auf Korsika. Seit der Implantation am 1. August habe ich eigentlich gar keinen Sport  mehr gemacht – und das fehlt mir sehr. Ich spiele leidenschaftlich gerne Tennis im hiesigen Dorfverein – wenn es beruflich möglich ist, drei- bis viermal die Woche. Nebenbei spiele ich auch noch gelegentlich Tischtennis im Verein; Tennis hat allerdings Vorrang.

In den letzten Wochen juckte die Narbe noch etwas beim Schwitzen; dieses Problem ist mittlerweile Vergangenheit. Also ging es mit Hörimplantat und Soundprozessor auf den Tennisplatz. Damit Spule und Soundprozessor nicht herunterfallen trug ich ein atmungsaktives Basecap und, nachdem dies durchgeschwitzt war, ein Bandana, das die Feuchtigkeit gut vom Soundprozessor fernhält.

Es ist sehr spannend zu hören, wie unterschiedlich es klingt, wenn der Tennisball auf den Boden oder auf die Schlägerbesaitung trifft – das hörte sich vorher alles gleich an. Das Spielen mit Gehör scheint mir etwas einfacher, weil man einfach mehr Feedback bekommt und man ein noch besseres Gefühl für das Timing beim Ausholen bekommt. Konditionell bin ich heute natürlich nicht in Topform. Die überschüssigen Pfunde, die sich in den letzten Wochen angesammelt haben, müssen erst einmal wieder abgebaut werden. Trotzdem klappt alles prima: Ich habe keine Probleme mit der Narbe oder dem Gleichgewicht und finde meinen gewohnten Schlagrhythmus schnell wieder. Auch mein Tennispartner ist froh, dass ich wieder am Ball bin und wir freuen uns auf die nächsten Sessions.

Am Abend werde ich über Facebook auf einen deutschen Film aufmerksam, der gerade in den Kinos läuft: 303. Ich seid meiner Kindheit immer schon sehr gerne ins Kino gegangen. Mein erster Kinofilm war Bernhard & Bianca – die Mäusepolizei und der zweite Kampfstern Galactica,  den ich mit meinem älteren Bruder angeschaut habe. Dieser Film war der Beginn einer bis heute andauernden Liebe zu Science-Fiction und Weltraumabenteuern – nicht nur im Kino, sondern auch in der Literatur. Star Wars kam wenig später in die Kinos und ich habe den ersten Teil damals bestimmt 10 mal vom gesparten Taschengeld gesehen. Auch heute noch bin ich ein großer Star Wars Fan, gehe in jeden neuen Kinofilm und sammele begeistert Star Wars Lego-Raumschiffe. Ein bißchen Kind sollte man immer bleiben.

Während meiner Internatszeit war wir am Wochenende oft mit Freunden in einem Essener Programmkino, das es leider schon lange nicht mehr gibt und in dem am Wochenende Filmnächte liefen – 3 Filme hintereinander ab Mitternacht. Krimi-Filmnacht, Kiffer-Filmacht – wir haben damals kaum eine Filmnacht ausgelassen und hatten sehr viel Spaß. Vor 14 Jahren habe ich das wiederholt – im Hamburger Abaton, einem meiner Lieblings-Programmkinos, liefen damals alle drei Herr der Ringe Filme nacheinander in der Originalfassung mit Untertiteln. Den ersten und den zweiten Teil hatte ich nicht im Kino gesehen, weil ich die Bücher von J.R.R. Tolkien als Jugendlicher gelesen hatte und sehr mag. Ich gehe generell ungern in Literaturverfilmungen, wenn ich die Bücher gelesen habe. Der dritte Teil lief damals im Kino und nachdem ich im Vorprogramm eines anderen Filmes den Trailer dazu gesehen hatte, wollte ich diese Filme unbedingt sehen – das hatte mich visuell umgehauen. Also saß ich von mittags bis spätabends mit ordentlich Verpflegung im Kino – es waren etwa 11 Stunden – und genoß jede Minute. Nur der Kulturschock, als ich Abends wieder im Hamburger Univiertel auf der Straße stand, war heftig.

Neben Blockbustern und Actionkino schaue ich generell sehr gerne anspruchsvollere Independent-Filme – also kleinere Produktionen wie zum Beispiel Filme von Jim Jarmusch oder Aki Kaurismäki. Ich gehe eigentlich am liebsten ins Programmkino, weil dort häufig Filme in der Originalsprache mit deutschen oder englischen Untertiteln laufen. Das war für mich bislang die einzige Möglichkeit, einen Film komplett zu verstehen. Bei Blockbustern lese ich die Inhaltsangabe vorher. Natürlich ist es etwas blöd, wenn man am Anfang das Ende schon kennt, aber die Handlung nicht mitzubekommen ist auch nicht so toll. Die meisten Blockbuster versteht man übrigens auch ohne Dialoge ganz gut. Manche sind ohne Dialoge sogar besser – Highlander habe ich geliebt, bis ich ihn das erste Mal mit Untertiteln sah. Das, was ich mir bei den Gesprächen innerlich vorstellte, war um Längen besser als das Gelaber, das tatsächlich im Drehbuch steht.

Komödien schaue ich eigentlich gar nicht im Kino – nicht weil ich ungern lache, im Gegenteil, aber die Witze werden fast immer über Sprache vermittelt und es ist ein blödes Gefühl, wenn man die Pointen nicht mitbekommt und das ganze Kino lacht. Auch Dramen oder Liebesfilme schaue ich deshalb eher selten und wenn, dann nur auf Blu-Ray oder Netflix mit Untertiteln. Deutsche Filme schaue ich ebenfalls nicht im Kino, weil es hier keine Untertitel gibt. 303 werde ich mir nach der Feinanpassung im Kino anschauen. Zwar wird in diesem Film viel gesprochen, aber man sieht die Protagonisten überwiegend von vorne, so dass ich recht viel Unterstützung durch das Lippenablesen habe. Und ich habe mich beim Anschauen des Trailers einfach in diesen Film verliebt.

Noch etwas Erwähnenswertes: Meine ErstBesteHälfte saß heute Abend mit zwei Freundinnen bei Kerzenlicht draußen. Ich habe mich ein paar Minuten dazugesetzt und konnte dem Gespräch im Dunkeln zwar nicht folgen, aber verstand immer wieder einzelne Wörter und auch Sätze. Ohne Mundbild.

Tag 25 – Indianer

Heute habe ich es nach dem feierintensiven Wochenende etwas ruhiger angehen lassen. Am Vormittag saß ich am Schreibtisch; kurz nach Mittag kam unser Hauszimmermann vorbei, um das Garagentor zu richten. Auch er freute sich sehr darüber, dass er mir alles nicht mehr dreimal sagen muss – das Verstehen klappte ausgezeichnet und ich musste trotz Handwerker-Fachbegriffen nur ein- oder zweimal nachfragen.

Etwas später klingelt eine Nachbarin. Ich höre tatsächlich  zum ersten Mal unsere Hausklingel, während ich im Büro sitze. Das ist klasse – jetzt werden Pakete auch wieder häufiger direkt bei uns landen und ich erschrecke nicht mehr, weil auf einmal ein Nachbar hinter mir im Büro steht. Unsere Türen sind in den Sommermonaten tagsüber immer offen und wenn niemand aufs Klingeln reagiert, dürfen Nachbarn und Freunde auch einfach herein kommen und sich bemerkbar machen. Trotzdem erschrecke ich oft, wenn jemand ich in Gedanken am Schreibtisch oder am Werktisch in der Garage stehe und plötzlich hinter mir steht – auch wenn es die eigenen Familienmitglieder sind. Als hörgeschädigter Mensch bewegen sich alle Personen um einen herum lautlos wie Indianer im Morgengrauen. Ich höre auch Abends nicht, wenn ein Kind die Treppe herunterkommt. Gottseidank sind die Ohren meiner ErstBestenHälfte gut und sie kann bei herannahenden schlaflosen Kindern im Notfall auf „wir gucken Tatort“ umschalten. Wenn ich alleine bin geht das aber nicht – ich muss immer damit rechnen, dass auf einmal jemand vor mir steht. Auch dies wird mit Hörimplantat jetzt hoffentlich etwas entspannter.

Auch schön: Ich habe heute den Toaster hochschnellen gehört. Mein Toastbrotverbrauch ist unverhältnismässig hoch, weil ich oft Brote in den Toaster lege und mich dann wieder an den Rechner setze – und den Toaster vergesse. Heute habe ich tatsächlich gehört, dass der Toast fertig war. Ich kann demnächst auch Eieruhren am E-Herd verwenden – auch das macht das Leben ein bißchen einfacher.

Am Nachmittag habe ich noch die für die Party ausgeliehenen Gläser zum Partyservice zurückgebracht. Die Gläser waren in Getränkekisten verstaut und das Klirren im Auto war die Hölle – es hörte sich bei jeder Bodenwelle so an, als würde hinten alles zerschellen. Klirr-, Klacker- und Zischgeräusche sind nach wie vor sehr laut und ich werde Gläsertransporte künftig nach Möglichkeit vermeiden.

Zum Elternabend von Junior II bin ich dann nicht mehr gegangen – ich war noch zu k.o. vom Wochenende. Das mache ich lieber, wenn meine Ohren ausgeruht sind und das elektrische Ohr feineingestellt ist.

 

 

 

Tag 24 – Lemminge

Das war eine kurze Nacht nach der rauschenden Party gestern Abend – aber fünf Stunden Schlaf müssen ausreichen, weil es viel aufzuräumen gibt. Dank der tatkräftigen Hilfe meiner Nachbarn und übernachtenden Gäste ist das Partychaos schnell beseitigt. Den Rest des Nachmittags verbringe ich Fußball schauend auf der Couch – ein bißchen chillen, wie Junior I gerne sagt, darf heute ruhig mal sein.

Am frühen Abend bringe ich meine Schwester zum Zug. Ich bin knapp 12 Jahre täglich von Scheeßel nach Hamburg gependelt – 50 Minuten Fahrzeit im meist pünktlichen Metronom, der zwischen Bremen und Hamburg fährt. Bei der Auswahl unseres Wohnortes war uns wichtig, dass wir eine gute Zugverbindung haben, denn morgens mit dem Auto nach Hamburg zu fahren ist recht anstrengend und stauintensiv. Man gewöhnt sich schnell an die Fahrerei und kann morgens noch ein bißchen im Zug dösen und Abends auf der Rückfahrt noch ein bißchen offline arbeiten.

Nicht gewöhnt habe ich mich an Verspätungen, Zugausfälle, Gleiswechsel und umsortierte Wagenreihungen in Fernzügen. Falls wirklich einmal ein ICE pünktlich von Hamburg nach München fährt, bei dem die Wagenreihung wie vorgesehen ist und man nicht den gesamten Bahnsteig entlang sprinten muss, um in die richtige Zughälfte zu gelangen, wird ein Chor von Engeln im Bahnhofsdach erscheinen, Hosianna rufen, alle Menschen im Bahnhof werden sich werden vor Freude weinend in den Armen liegen und selbst die Informationsschalterbeamten werden sich ein Lächeln nicht verkneifen können. Vermutlich bricht dann der Zentralcomputer des Hauptbahnhofes zusammen, weil dieser Fall noch nicht programmiert wurde. Aber der Zug steht richtig.

Für Menschen mit einer Hörbehinderung sind Fern- und auch Pendelreisen mit der Deutschen Bahn eine Herausforderung, denn ich verstand bislang keine Zugdurchsagen. Die Wagenreihung wird auf größeren Bahnhöfen zwar meistens auf den Informationsbildschirmen am Bahnsteig angezeigt, wobei man aber nie weiß, ob es die geplante oder die tatsächliche Anordnung der Waggons ist, und auch die Verspätung sieht man häufig dort, aber oftmals gibt es spontane Änderungen, die nicht visuell angezeigt werden. Als reisender Hörgeschädigter hat man hier zwei Optionen:

Entweder versucht man einen der wild umher hastenden Mitreisenden anzuhalten und zu fragen, was los ist. Das ist aber ein bißchen wie das Blocken beim American Football, weil jeder möglichst schnell woanders hin will, bevor der Scheißzug losfährt. Schlimmstenfalls wird mal also von unzerstörbaren Koffern umgecheckt und kann froh sein, wenn man anstatt im gewünschten Zug nicht der Notfallambulanz landet.

Oder aber man macht es wie Lemminge und läuft einfach der Masse hinterher. Das ist allerdings dann schwierig, wenn nicht alle Mitreisenden alle auf denselben Zug warten – oftmals stehen ja noch Leute dort, die eigentlich schon vor 2 Stunden losfahren wollten und gelegentlich findet man auch ein paar bemitleidenswerte Reisende, die tatsächlich davon ausgehen, dass er Zug zur angegebenen Zeit in der angegebenen Reihenfolge vom angegebenen Gleis abfährt. Arme Anfänger – der Profi steht in Hamburg auf halber Höhe der Treppe zum Bahnsteig, so dass er sowohl die Informationsbildschirme am Gleis als auch die zentrale Informationstafel im Bahnhof gut erkennen kann und dabei nicht umgerannt wird. Schlimmstenfalls hastet man also der falschen Meute hinterher und landet statt in Paderborn statt Bremen – dann ist der Tag endgültig gelaufen.

Das ist aber alles Kleinkram gegen das zweitgrößte Problem hörgeschädigter Bahnreisender: ICE-Zugfahrten mit gefühlter Überschallgeschwindigkeit in Regionalbahnhöfen. Davor wird per Durchsage gewarnt. Wenn man die nicht mitbekommt, weil der Zug von hinten naht und zu nah am Gleis steht, kann es übel enden. Ich bin deshalb auf Regionalbahnhöfen dran zu erkennen, dass ich mich sicherheitshalber in der Mitte des Bahnsteiges an einer Laterne festklemme. Meine Sicherheit ist mir wichtiger als der Ruf, schon Morgens besoffen auf den Zug zu warten.

Das absolute Katastrophenhighlight für hörgeschädigte Menschen beim Bahnreisen sind allerdings Zugtoiletten. Natürlich versucht man als zivilisierter Mensch, diese nach Möglichkeit zu umgehen und sich vor oder nach der Fahrt zu entleeren. Manchmal geht es aber nicht anders. Die Toiletten im Metronom sind für Deutsche Bahnverhältnisse sehr sauber; das ist wirklich okay. Schwierig wird es aber dann, wenn man gerade auf dem Scheißhaus sitzt und der Zugbegleiter klopft und nach einer Fahrkarte ruft, was man wegen des Zuggeratters als Hörgeschädigter aber nicht hört. Ein nicht reagierender Toilettenreisender ist für Zugbegleiter ein potentieller Schwarzfahrer. Potentielle Schwarzfahrer muss man erwischen – also wird die Toilettentür dann mit dem Generalschlüssel geöffnet. Das kann peinlich sein, wenn man sich zum Beispiel gerade den Hintern abwischt. Ich habe mir deshalb angewöhnt, die Tür in Metronom-Zugtoiletten mit dem rechten Fuß zu blockieren (linke Toiletten gibt es dort nicht, warum auch immer) und den linken als Gegenstütze an der Zugtoilettenwand zu platzieren. Damit ist man halbwegs abgesichert gegen rabiate Zugbegleiter; es gibt allerdings durchaus ergonomischere Darmentleerungspositionen.

Das alles wird jetzt etwas einfacher, denn: Ich habe tatsächlich die Durchsagen am Bahnhofsgleis verstanden. Sowohl die Warnung von der ICE-Zugdurchfahrt als auch die angekündigte 5-minütige Verspätung mit Gleiswechsel. Ich habe mich wohl noch nie so sehr über eine Verspätung gefreut und werde jetzt vielleicht auch so lange wieder Bahn fahren, bis ich alle Durchsagen kenne. Dann wird es langweilig.

Abends sitzen wir wieder mit den Nachbarn zum Restegrillen zusammen. Ich bin wegen des kurzen Schlafs und dem Aufräumen ziemlich k.o. und folge der Unterhaltung nur am Rande. Später kommt mein Tennispartner noch vorbei und wir unterhalten uns etwa 30 Minuten lang richtig gut, betrachten den wunderbaren aufgehenden roten Vollmond und kurz danach geht es ins Bett. Ich brauche Schlaf und hoffe, dass ich nicht von Zugbegleitern träume.

Mond über Scheeßel

Tag 23 – Party

Eigentlich feiere ich heute zwei Geburtstage – meinen eigenen und den meines elektronischen Ohrs. Mein 50. Geburtstag war schon Ende März; ich habe allerdings ein paar Monate gebraucht, um dieses biblische Alter zu verkraften. Das ist zwar eigentlich Blödsinn, aber bei manchen Dingen reagiert man halt etwas irrational. Letztendlich geht es mir gut und ich freue mich sehr auf die Feier, bei der etwa 70 Personen erwartet werden: Familie, Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen.

Der Vor- und Nachmittag sind voll ausgefüllt mit Aufbauarbeiten. Leider ist das Wetter bescheiden und es schüttet wie aus Eimern – das erste Mal seit knapp 5 Monaten in Norddeutschland. Perfektes Timing. Gottseidank packen meine Nachbarn toll mit an und wir sind am Nachmittag auch für Hagel, Schnee und Orkane gerüstet. Am frühen Abend verzieht sich der Regen dann wieder und es bleibt trocken, wenn auch etwas kalt.

Gegen 18 Uhr treffen die ersten Gäste ein. Die meisten habe ich seit meiner Implantation nicht gesehen und es fließen vor allem bei der Familie viele Freundentränen, weil alles so viel besser geklappt hat als erwartet. Der Rest des Abends ist einfach nur wunderbar. Die glückliche Stimmung, die in der Luft liegt, ist unbeschreiblich. Ich unterhalte mich bis morgens um halb vier mit kleinen Pausen, genieße jedes Gespräch und verstehe fast alles – auch nach dem ersten Bier, dem zweiten White Russian und dem dritten Rotwein. Das Essen ist ein voller Erfolg – meine Gäste haben ein gigantisches Buffett auf die Beine gestellt und die Landjugend hat freundlicherweise einen Riesengrill zur Verfügung gestellt, der unsere Gäste mit Steaks und Würstchen versorgt.

Ab Mitternacht bin ich dann überwiegend in der Disko zu finden, die wir in der Garage aufgebaut haben und tanze mir die Seele aus dem Leib. Musik hört sich nach wie vor gigantisch an und ich höre selbst dann nicht auf, als meine Nachbarn ihre Lieblingspartykracher auflegen – ich bin ja eigentlich kein Freund von Helene Fischer und Konsorten, aber heute Abend ist mir alles egal. Zwischendurch übernehme ich das Zepter bei der Songauswahl und hotte zusammen mit alten Freunden zu den wunderbaren Songs der 80er und 90er Jahre ab, die wir schon damals in der Internatsdisko in der Dauerschleife hatten. Und fühle mich wieder wie 17 – nur mit besserem Gehör.

Die Stimmung ist wirklich wundervoll, weil sich alle so sehr über meinen Hörerfolg freuen und ich glaube, das ist die beste Party meines Lebens – und ich habe wirklich viele Parties erlebt. Erst gegen halb 5 Uhr morgens verabschieden sich die letzten Gäste und nach etwas Aufräumarbeit geht es dann geschafft aber glücklich ins Bett. Was für ein wunderbarer Abend!!!

Tag 22 – Genörgel

Nach einem ausgiebigen Frühstück mit meinem ebenfalls schwerhörigen Arbeitskollegen, der gestern Abend mit seiner Familie zu Besuch gekommen ist, stehen heute diverse Besorgungen und Vorbereitungen für die morgige Geburtstags- und Implantatsparty an. Den größten Teil des Tages verbringe ich deshalb mit Aufräumarbeiten und Saubermachen; zwischendurch hole ich Rotwein im örtlichen Supermarkt und freue mich dort über eine tolle Beratung, bei der ich alles hervorragend verstehe. Der Wein erweist sich im Nachhinein als echter Volltreffer – ein 2017er Doppio Passo aus dem italienischen Salento. Herzlichen Dank auch an Edeka24.de, die es nicht geschafft haben, meine ursprüngliche Bestellung innerhalb einer Woche auszuliefern. Hier bestelle ich nie wieder.

Von Med-El, der Herstellerfirma meines Hörimplantates, wurde heute die Teleschlinge geliefert, die es mir ermöglicht, mein Smartphone oder meinen Computer ohne direkte Kabelverbindung zum Soundprozessor via Bluetooth zu verbinden. Diese Teleschlinge war übrigens ein Geschenk von Med-El zur Erstimplantation. Ich freue mich sehr darüber, weil das Kabel am Soundprozessor doch recht kurz ist und beim Musikhören stört, wenn das Smartphone in der Hosentasche steckt. Leider ist die Klangqualität über Bluetooth nicht annähernd so gut wie mit der direkten Übertragung per Kabel. Die kabellose Musik hört sich in etwa so an, wie ich es mir vor der Implantation vorgestellt habe: Ein sehr scheppernder Klang, keine tiefen Töne und es ist damit nicht wirklich möglich, Musik zu genießen. Ich hoffe, dass man dies im Rahmen der Feinanpassung in der kommenden Woche verbessern kann. Wenn nicht, muss ich eben Musik mit Kabel hören.

[Update, 29.08.2018] Ein paar Tage später habe ich herausgefunden, dass die Soundqualität der Teleschlinge nur dann schlecht ist, wenn die Lautstärke sehr hoch ist – sie übersteuert dann. Im normalen Lautstärkebereich hört sich alles prima an. 

Ich bin neulich gefragt worden, ob denn einfach ALLES gut sei und ob mich gar nichts nervt. Natürlich gibt es Dinge, die nicht so toll sind – aber im Endeffekt höre ich mit Hörimplantat so viel besser als vorher, dass mir diese Kleinigkeiten relativ egal sind. Da wir in Deutschland aber gerne meckern, hier trotzdem mal eine Liste der Dinge, die keine Begeisterungsstürme entfachen:

  • Der schlechte Schlaf in den ersten 14 Tagen nach der OP, weil ich nicht auf rechts schlafen konnte. Mittlerweile geht das besser.
  • Meine Narbe ist knapp über dem Ohr recht deutlich sichtbar. Sie wird vom Soundprozessor aber gut verdeckt. Hinter dem Ohr ist aber nur sehr wenig zu sehen. Ich werde in den nächsten Tagen mal eine Bilderstrecke der Narbenentwicklung posten.
  • Schwitzen hat in den ersten 18 Tagen zu Juckreiz um die Narbe herum geführt. Dies ist jetzt aber vorbei.
  • Klapper-, Klacker- und Zischgeräusche sind immer noch recht laut; Stimmen dafür manchmal zu leise. Insgesamt fahre ich den Soundprozessor fast ausschließlich auf der höchsten Lautstärkestufe.
  • Wenn ich Schlagzeug spiele, hören sich Stimmen danach für einen kurzen Zeitraum wieder an wie Micky-Maus. Nach 5-10 Minuten hört sich aber alles wieder wie gewohnt an.
  • Das Mikrofon des Soundprozessors hat einen kleineren Wahrnehmungsradius als mein Hörgerät. Ich höre von der Seite deutlich leiser als von vorne. Insgesamt aber immer noch besser als mit Hörgerät.
  • Die Soundqualität der Teleschlinge ist miserabel.
  • Die Batterien halten deutlich weniger lang als erwartet – die Herstellerangaben von 3 Tagen sind selbst mit hochwertigen Superpower-Batterien bei mir nicht möglich. Im Normalfall halten die Batterien ein- bis anderthalb Tage.
  • Ich warte immer noch auf die Akkus, die ich bestellt habe. Die Batterien waren recht schnell leer, ich musste hier meine Vorräte für die Hörgeräte verbrauchen und eine Packung nachkaufen. Med-El hat aber heute neue Batterien geliefert.
  • Ich hätte gern einen Programmschalter und eine Lautstärkeregelung am Soundprozessor. Dieser kann nur über die Fernbedienung bedient werden, die ich ab und zu zuhause vergesse.
  • Der Soundprozessor stellt sich nach dem Ausschalten nicht wieder auf die Standardeinstellung zurück. Das ist lästig – denn ich wechsele im Lauf des Tages oft in das lauteste Programm oder steigere die Lautstärke. Wenn ich den Soundprozessor dann am nächsten Morgen aufsetze und vergesse, ihn manuell auf die Standardeinstellung zu setzen, habe ich keine Reserven mehr für später.

Das war es auch schon. Und wie gesagt: Insgesamt ärgern mich all diese Kleinigkeiten nicht wirklich, weil das Hören mit Implantat so toll ist, dass gerade alles andere ziemlich unwichtig ist. Selbst wenn einige dieser Probleme bestehen bleiben, würde ich diesen Schritt immer wieder wagen.

Soundprozessor mit Spule und Aufsatz mit integriertem Audiokabel. Unten sieht man die Teleschlinge für den Bluetooth-Connect zum Smartphone oder Computer.

 

Tag 21 – Smalltalk

Momentan vergeht kein Tag ohne schöne Erlebnisse. So viele Dinge sind einfacher geworden, weil ich einfach mehr verstehe. Es ist nicht so, dass ich mein Leben mit Hörgeräten als schwer empfunden habe. Natürlich macht so ein Handicap vieles schwieriger. Natürlich gibt es Momente, in denen man seine Ohren verflucht. Aber letztendlich ging es mir immer gut damit – ich habe einen tollen Job, eine tolle Familie, viele Freunde, ein schönes Zuhause und Spaß am Leben. Meine Mutter sagte mir früher immer: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker. Diese Stärke sieht man nicht immer auf den ersten Blick: Man sieht den Rollstuhl vor der Treppe, den Blindenstock am Gehsteig, das Hörgerät oder die körperliche Fehlbildung. Man sieht aber nicht (oder nur bei Menschen, die man sehr gut kennt) das Positive, das ein Leben mit so einem Handicap mit sich bringt: Die Fähigkeit, damit umzugehen und trotz allem glücklich zu sein. Das klappt natürlich nicht bei jedem – aber das ist bei Menschen ohne Handicap nicht anders.

Schwerhörigkeit hat neben der Hörbeeinträchtigung selbst zwei große Nachteile gegenüber anderen Behinderungen: Zum Einen sieht man die Beeinträchtigung nicht. Man sieht vielleicht ein Hörgerät oder Cochlea-Implantat, aber im Vergleich zu einem Rollstuhl oder anderen deutlich sichtbareren körperlichen Einschränkungen wiegt dies auf den ersten Blick nicht so schwer. Du kannst ja alles – die Hörgeräte sind doch so klein. Ich kann fast alles, das stimmt. Aber was ich schlecht kann, ist verbale zwischenmenschliche Kommunikation. Ich verstehe andere Menschen schlecht. Auch damit kann man ein tolles Leben führen, aber es schränkt viel mehr ein, als man gemeinhin glaubt. Denn Verständigung ist die Basis des sozialen Zusammenlebens.

Ich habe Freunde, die im Rollstuhl sitzen – keiner von ihnen würde mit mir tauschen wollen. Auch blinde Menschen, die ich im Lauf meines Lebens kennengelernt haben, würden niemals mit mir tauschen wollen. Ich mit ihnen allerdings auch nicht – denn im Endeffekt lernt jeder, mit seinem persönlichen Handicap klarzukommen. Und man kann die Vor- und Nachteile verschiedener Behinderungen nicht vergleichen oder gegeneinander aufrechnen.

Zum Anderen kann man sich schlecht oder nur gar nicht vorstellen. Man kann sich vorstellen, nicht zu laufen und im Rollstuhl zu sitzen. Man kann die Augen schließen und sich vorstellen, blind zu sein. Man kann humpeln oder versuchen, sich nur mit einem Arm ein Brot zu schmieren. Man kann sich vorstellen, zu leise zu hören. Aber man kann sich nicht wirklich vorstellen wie es ist, schlecht zu verstehen. Man hört bestimmte Frequenzen nicht. Ich habe zum Beispiel keine Konsonanten gehört. Die Sprachqualität ist immer schlecht. Man muss sich unglaublich konzentrieren, um selbst einfache Gespräche zu führen. Ich verbildliche hörgeschädigtes Hören gerne so:

Stell Dir vor, Du sitzt an einem Tisch mit 10 Personen, die sich in einer Sprache verständigen, die Du nur ein kleines bißchen beherrschst. Von draußen dringt lauter Baustellenlärm an Dein Ohr. Du hast 24 Stunden nicht geschlafen und Dein Konzentrationsvermögen ist erschöpft. Deine Ohren sind verstopft. 

Das ist in etwa mein Alltag mit Hörgeräten. Mit Cochlea-Implantat würde ich es am Tag 21 so beschreiben:

 Stell Dir vor, Du sitzt an einem Tisch mit 10 Personen, die sich in Deiner Muttersprache verständigen, aber etwas leise sprechen. Draußen ist ein bißchen Verkehrslärm. Du hast einen normalen Arbeitstag hinter Dir und muss Dich etwas konzentrieren.

Der heutige Vormittag ist ausgefüllt mit Vorbereitungen für meine Geburtstags- und Implantationsparty am Samstag. Am Nachmittag fahre ich nach Hamburg, um bei einem alten Arbeitskollegen einen höhenverstellbaren Schreibtisch abzuholen, den ich wegen des Umzugs seines Arbeitgebers sehr günstig erwerben kann. Junior I kommt zur Unterstützung mit und wir haben eine tolle Unterhaltung im Auto, in der es mal wieder um Musik geht: Wir gehen gemeinsam meine Playlist für die Party durch. Und um den Blödsinn, den ich in meiner Jugendzeit und auch danach angestellt habe. Ein unerschöpfliches Thema…

Bei der Abholung freue ich mich sehr, meinen ehemaligen Kollegen wiederzusehen und treffe noch einen weiteren alten Arbeitskollegen, mit dem ich Anfang der 00er Jahre zusammen bei meinem ersten Arbeitgeber angestellt war. Ich verstehe beide deutlich besser als mit Hörgeräten und genieße ein kurzes, berufliches Smalltalk. Dann geht es zurück nach Hause.

Am Abend kommt ein Arbeitskollege von SAP zu Besuch, der mit seiner Familie auf Urlaubsrückreise von Skandinavien nach Baden-Württemberg ist, ebenfalls sehr schlecht hört und in dieser Woche auch ein Cochlea-Implantat bekommt. Auch seine Frau trägt auf einem Ohr ein CI und auf dem anderen ein Hörgerät. Es tut immer gut, sich mit anderen ‚Betroffenen‘ zu unterhalten und wir verbringen einen wunderbaren Abend und darauf folgenden Morgen und freuen uns sehr auf das nächste Wiedersehen.