Tag 15 – Soundcheck

Ich bin immer gern auf Konzerte gegangen. Nicht nur, weil ich Musik liebe, sondern ich liebe auch die Konzert- und Festival-Atmosphäre, den typischen Geruch kleinerer Clubs, den vibrierenden Boden und die Lightshow. Letztes Jahr habe ich unter anderem Linkin Park, Green Day und Blink-182 auf dem Hurricane-Festival in Scheeßel live gesehen und insbesondere dieses letzte Konzert von Linkin Park in Deutschland war ein unbeschreibliches Erlebnis. AC/DC im Olypiastadion Berlin vor 3 Jahren war ebenfalls unvergesslich. Generell gehe ich lieber in kleinere Clubs als in Stadien, zumal auch die Konzertpreise immer weiter steigen. Und bislang war mein Hörerlebnis auf Konzerten nicht gut genug, um eine Ausgabe im dreistelligen Euro-Bereich zu rechtfertigen.

Auf Live-Konzerten war mein Hörerlebnis trotz der hohen Lautstärke bislang sehr eingeschränkt. Denn Schwerhörigkeit ist deutlich komplexer als fehlende Lautstärke. Schwerhörigkeit bedeutet nicht unbedingt, dass man zu leise hört, sondern in den meisten Fällen auch, dass man schlecht hört. Bei mir ist, stark vereinfacht gesagt, die Verbindung zum Hörnerv kaputt. Der Hörnerv endet in der Schnecke im Innenohr; der Schall wird über sogenannte Haarzellen auf den Hörnerv übertragen – je nach Frequenz weiter vorne oder hinten. Man kann sich das wie ein Kornfeld vorstellen, dessen Halme durch Wind in unterschiedlichen Stärken bewegt werden. Bei mir ist dieses Kornfeld weitgehend abgemäht und es werden deshalb nicht alle Signale an den Hörnerv übertragen, sondern nur vereinzelte.

Ich höre mit Hörgeräten recht viel, weil die Hörgeräte aus dem Wind einen Orkan machen, der auch Kornhalme bewegen kann, die fast abgemäht sind, aber ich höre nicht alle Frequenzen, weil viele Kornhalme nicht mehr vorhanden sind. Ich höre mit Hörgeräten zum Beispiel kaum Konsonanten (m und n noch am besten, S, K oder F hingegen gar nicht) und keine hohen Töne mehr. Hörgeräte können auch nicht wirklich gut filtern – das menschliche Ohr ist in der Lage, den Sprecher, dem man zuhört, lauter und die Umgebungsgeräusche leiser zu machen. Das Hörgerät kann dies nur sehr bedingt und dann gar nicht, wenn mehrere Leute sprechen – wie zum Beispiel im Restaurant oder auf einer Party. Denn es weiß nicht, welche Stimme diejenige ist, die verstanden werden soll.

Im Vergleich zum menschlichen Ohr als unbezahlbare High-End-Soundanlage ist ein Hörgerät auf meinen Ohren ein mp3-Player vom Restemarkt mit Kopfhörern für 99 Cent. Der Sound wird nicht besser, wenn man voll auf Anschlag geht. Und dementsprechend hört sich auch Musik mit Hörgeräten für mich bescheiden an – selbst auf Live-Konzerten mit mehr als ausreichender Lautstärke. Dafür bezahle ich ungern 100 Euro, denn letztendlich ist die Enttäuschung über das Schlecht-Gehörte einfach zu groß.

An dieser Stelle eine wichtige Relativierung: Hörgeräte sind nicht per se schlecht. Menschen, die nur leicht oder mittel schwerhörig sind, können mit modernen Hörgeräten ein fantastisches Hörerlebnis haben. Ein Cochlea-Implantat ist nicht in jedem Fall besser als ein Hörgerät. Bei leichter oder mittlerer Schwerhörigkeit oder auch dann, wenn zum Beispiel noch alle Haarzellen vorhanden sind, aber der akustische Wind zu schwach ist, können Hörgeräte hervorragende Hörerlebnisse ermöglichen. 

Ich habe mich heute auf mein erstes Live-Konzert gewagt. Für U2 habe ich leider keine Karten bekommen und die Rolling Stones sind derzeit nicht in Deutschland auf Tour, als ging es zum Oldieabend der Westerescher Maisfeldfete, die im zweijährigen Turnus von der hiesigen Landjugend organisiert wird und an zwei Tagen mittlerweile über 4.000 Besucher aus Scheeßel und umzu anzieht.

Vorher ging es zum Vorglühen zu Freunden und auch hier habe ich wieder einmal gemerkt, wieviel besser ich mit dem Cochlea-Implantat verstehe. Ich konnte mich gut mit meinen Sitznachbarn unterhalten und verstand Einiges der quer über den Tisch laufenden Gespräche und Witzeleien. Ohne Lippen-Ablesen ist es nach wie vor schwierig, aber immerhin trage ich das Implantat erst 15 Tage und ich bin nach wie vor glücklich über jeden kleinen und großen Erfolg. Alles Weitere wird sich einfach zeigen.

Dann ging es ins Musikzelt, in dem eine 13-köpfige Band aus der Region das Publikum mit bekannten Oldies unterhielt. Zwar habe ich die meisten Songs nicht erkannt, da ich auch nicht viele Oldies höre und kenne – die Songs aus meiner Jugendzeit in den 80er und beginnenden 90er Jahren mal ausgenommen. Ältere Musik hört man eigentlich erst ab einem reiferen Alter und in diesem war es mir wegen meiner schlechten Ohren nicht mehr möglich, bislang unbekannte Musik zu entdecken und wertzuschätzen. Der Sound war allerdings prima, ich konnte alle Instrumente und den Gesang gut hören und ich freue mich jetzt riesig auf das erste richtige Konzert einer Band, die ich mag – allerdings erst nach dem Feintuning des Soundprozessors und vielleicht auch erst nachdem das zweite Implantat an Bord ist.

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