Tag 32 – Flohmarkt

Heute geht es früh aus den Federn, weil ich mit der ErstBestenHälfte zum Flohmarkt nach Stade fahren möchte – der schönste Flohmarkt Norddeutschlands, der sich durch die Stader Altstadt zieht. Wir beide mögen Flohmärkte sehr gerne. Als Junior I und II noch kleiner waren, haben wir viele Kinderklamotten auf dem Flohmarkt gekauft. Und Spielzeug – Spielzeugautos, viele Kinderbücher, Playmobil und Lego. Damals bekam man Legoteile auch noch günstiger als im Geschäft. Heutzutage findet man nur noch Sammlerstücke, weil sich die Verkäufer an den Mondpreisen auf ebay orientieren und muss den Kindern erklären, dass 200 Euro für ein gebrauchtes, abgelutschtes Lego-Set (das man im Laden aber nicht mehr bekommt und das in 10 Jahren drölfmal so viel wert sein wird!) einfach zu viel sind. Flohmarktbesuche sind immer ein bißchen wie Zeitreisen in die Vergangenheit – ich sehe zum Beispiel oft Matchbox-Autos, die ich als Kind hatte. Oder Schallplatten, Gesellschaftsspiele und alte Bücher, an die ich mich noch erinnern kann. Wir kaufen eigentlich nie viel, aber haben immer Spaß.

Vorher trete ich allerdings erst einmal ohne Schuhwerk auf eine am Boden sitzende Hornisse, die sich mit einem beherzten Stich in meine Fußsohle bedankt. Das tut wirklich weh. Gottseidank verkrafte ich Insektenstiche relativ gut und nach 15 Minuten Eiskompresse fahren wir dann los. Schade, dass ich das Ding nicht gehört habe. Vielleicht rufen Hornissen in so einer Situation ja „Oh shit“ auf Hornissisch – kurz bevor mein Fuß sie trifft und ich meinerseits „Oh shit“ rufe. Oder machen irgendeinen erschrockenen Laut in einer für Menschen unhörbaren Frequenz – ähnlich wie Fledermäuse. Rein technisch müsste es doch eigentlich möglich sein, solche Geräusche wahrzunehmen und in einen für mich hörbaren Ton umzuwandeln. Für die Hornisse wäre das ebenso praktisch wie für mich – denn sie hat ebensowenig Lust darauf, zertreten zu werden wie ich darauf, mit geschwollenem Fuß über den Flohmarkt zu humpeln.

Diese Idee, wenn auch noch etwas schräger, hatte vor Jahren der englische Schriftsteller Roald Dahl, der durch seine makabren Kurzgeschichten bekannt geworden ist und den ich sehr gerne lese. In seiner Kurzgeschichte „Der Lautforscher“ geht es um einen Erfinder, der eine Maschine baut, mit der er genau solche für Menschen unhörbaren Frequenzen in hörbare Töne umwandeln kann und damit Pflanzen schreien hört – Rosen, die geschnitten werden, ein Baum in den eine Axt gehauen wird, ein Kornfeld, das von einem Mähdrescher gemäht wird… ich möchte an dieser Stelle nicht vorweg nehmen, was am Ende passiert. Am besten selber Lesen; die Geschichte findet sich in Roald Dahls Buch „… und noch ein Küsschen„.

Ich bin letzte Woche dem von Enno Park gegründeten Verein Cyborgs e.V. beigetreten, der sich unter anderem mit Fragen dieser Art beschäftigt. Wem gehört ein Implantat? Wer darf es verändern? Wie weit darf die Technik gehen? Warum soll man keine Fledermäuse oder Hornissen hören können? Das sind spannende, wenngleich teilweise auch schräge Debatten mit philosophischem Hintergrund. Implantationstechnik schreitet immer weiter voran und unsere Gesellschaft wird zwangsläufig mit solchen Fragen konfrontiert werden. Ich freue mich sehr auf spannende Diskussionen zu diesem Thema.

Der Flohmarkt war trotz des guten Wetters zwar nicht so gut besucht wie erwartet, aber es hat trotzdem Spaß gemacht. Zum wiederholten Mal bin ich dort auf mein Cochlea-Implantat angesprochen worden und gab gerne und bereitwillig Auskunft. Es mag nicht jedermanns Sache sein, wegen eines Hörimplantats von wildfremden Menschen angesprochen zu werden. Ich hatte bislang allerdings immer sehr nette Gesprächspartner, die keinesfalls aufdringlich waren und einfach wissen wollten, ob dies auch etwas für eine hörgeschädigte Person aus ihrem Bekanntenkreis sein könnte oder wie gut ich damit höre, weil sie auch jemanden kennen, der ein CI hat. Ein Cochlea-Implantat fällt auf – zumindest wenn man Glatze hat und die äußeren Teile weiß sind. Ich möchte auch, dass es auffällt, weil sich meine Umwelt dann besser und schneller auf mein schlechtes Hören einstellen kann.

Was mich persönlich letztendlich dazu gebracht hat, den Schritt vom Hörgerät zum Implantat zu machen, war eine Flohmarktbegegnung im Frühjahr dieses Jahres. Ich sah dort einen Familienvater – ebenfalls mit weißem Soundprozessor und Spule am Kopf – und sprach ihn auf sein Implantat an. Das Gespräch war sehr nett und aufschlussreich und vermutlich war es das, was mir den letzten Schub gegeben hat, diesen Schritt zu wagen. Lieber CI-tragender Familienvater aus Zeven: Wenn Du das hier liest: Danke vielmals für das motivierende Gespräch! Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann mal wieder. Dann verstehe ich auch Deinen Namen und gebe einen aus.

2 Kommentare zu „Tag 32 – Flohmarkt“

  • Peter Ostermayer

    Hallo Chris, da wären wir uns in Stade fast begegnet, denn wir waren auch dort. Wir waren letzte Woche von Mittwoch bis Sonntag in Jork. Dort haben wir 25 Jahre gelebt bevor wir nach Bühl umgezogen sind. Jetzt sind wir bei unseren Enkeln in Hamburg und nächste Woche dann in der MHH. Wie klappt es mit Deiner EA?
    Liebe Grüße Peter

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