Monat: Oktober 2018

Tag 64/1 – Stereo

Auch heute schlafe ich nicht besonders gut. Die Schwellung am Kopf ist über Nacht aber sichtbar zurückgegangen – sicherlich auch dank des Druckverbandes, der zwar etwas lästig war, aber seine Arbeit gut getan hat. Nach dem Frühstück kommt meine Familie zum Besuch. Die Frühanpassung im Deutschen Hörzentrum ist erst um 14 Uhr angesetzt. Also trinken wir schön Kaffee zusammen und anschließend gehen Frau und Kinder ein bißchen in der City shoppen, während ich mich ausruhe und mit dem rechten Ohr Musik höre.

Um kurz vor Zwei treffen wir uns dann vor dem Deutschen Hörzentrum wieder. Wie auch schon bei der ersten Implantation bin ich sehr aufgeregt. Wird es genauso gut funktionieren wie rechts? Oder schlechter? Oder vielleicht sogar besser? Erst einmal muss Papierkram erledigt werden – Registrierung, Krankenakte und Terminfindung für die Erstanpassungswoche, die in genau vier Wochen stattfinden wird. Leider ist der am Montag bestellte Prozessor noch nicht eingetroffen, aber Med-El hat noch ein Gerät in der von mir bestellten Farbe (weiß) vorrätig, so dass die heutige Frühanpassung wie geplant erfolgen kann.

Das erste Signal sieht gut aus – der Kontakt ist da und das Implantat funktioniert. Nachdem ein stärkerer Magnet in die Hörspule eingesetzt worden ist, um trotz der noch vorhandenen Kopfschwellung einen optimalen Kontakt zu ermöglichen, werden die 12 Elektroden durchgetestet. Wie auch beim rechten Ohr vor zwei Monaten kommen alle Signale hervorragend durch und ich bin unheimlich erleichtert, dass technisch alles so funktioniert, wie es soll. Die emotionale Anspannung bei diesem Test ist enorm. Selbst wenn es erst einmal nur um Töne und noch nicht um Sprache geht, entscheidet sich an diesen Punkt, ob das Hören mit dem Implantat möglich sein wird. Natürlich wird schon während der Operation überprüft, ob das Implantat funktioniert und die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Test zwei Tage später nicht erfolgreich ist, ist mehr als gering. Aber dennoch ist dieser erste Test das für mich der Punkt, wo sich die ganze Anspannung der letzten Wochen und Tage schlagartig entlädt und mir das Wasser in die Augen schießt. Es hat geklappt, es wird alles gut.

Nach dem Funktionstest der Elektroden wird die Lautstärke der verschiedenen Töne eingestellt, damit ich alle Frequenzen gleich laut höre. Dann wird der neue Soundprozessor eingeschaltet und den rechten nehme ich erst einmal ab. Und ich höre. Es ist anders als beim ersten Mal vor zwei Monaten – zumindest glaube ich das, denn ich weiß nicht mehr, wie genau ich am ersten Tag mit dem rechten Implantat gehört habe. Der Sound ist ingesamt viel blecherner als auf der rechten Seite, aber ich höre dafür keine Micky-Maus-Stimmen: Alle Stimmen hören sich gleich am Anfang ziemlich natürlich an und ich verstehe meine Audiologin und die ErstBesteHälfte auf Anhieb. Selbst ohne Lippenablesen verstehe ich etwa die Hälfte der gesprochenen Worte. Alles hört sich klar an – aber irgendwie auch wie durch einen Blecheimer gesprochen. Ich weiß nicht mehr, ob dies auch beim der ersten Frühanpassung am Anfang so war – damals war ich so ungeheuer froh, dass ich überhaupt etwas mit dem Implantat gehört habe, dass mir der Sound relativ egal war. Nach zwei Monaten habe ich jetzt auf der rechten Seite ein sehr gutes Hörgefühl und im Vergleich zu der neu implantierten linken Seite hört sich natürlich alles viel besser an. Das ist schwieriger als beim ersten Mal und dämpft die Euphorie etwas.

Der rechte Soundprozessor bleibt erst einmal aus, damit ich mich ganz auf das neue elektronische Ohr links konzentrieren kann. Denn dieses Ohr muss sich jetzt auch erst einmal an das neue Hören gewöhnen. Weil das rechte Ohr nach zwei Monaten mit dem Implantat schon deutlich weiter ist, würden die Einstellungen, die ich auf dieser rechten Seite habe, das linke Ohr am Anfang restlos überfordern. Also bleibt es links erst einmal bei den Werkseinstellungen mit grob angepassten Lautstärke-Einstellungen, die wir am Ende der Anpassungssitzung noch etwas feintunen.

Danach geht es zu Med-El, um den restlichen Papierkram inklusive Registrierung des neuen Gerätes abzuschließen. Ich habe jetzt beide Soundprozessoren an und das beidseitige Hören macht Spaß – auch wenn der Sound auf der neu implantierten linken Seite beschissen ist. Interessanterweise verstehe ich Sprache dennoch deutlich besser als am Anfang auf dem rechten Ohr. Ich hoffe, dass sich der Soundeindruck des linken Ohres in den nächsten Wochen dem rechten angleicht und dass ich dann mit beiden in etwa gleich hören kann. Dazu muss ich das neu implantierte linke Ohr „solo“ trainieren, weil das Gehirn sich ansonsten auf den besser funktionierenden rechten Hörteil fokussiert. Den rechten Soundprozessor darf ich aber auch nicht vernachlässigen, weil mein Hören auf dieser Seite dann wieder zurückgeworfen wird. Ich muss also schauen, dass das linke Ohr an den Level des rechten Ohres herankommt und es entsprechend mehr fordern. Das wird gar nicht so leicht.

Dann sind wir durch. Ich bin ziemlich k.o. und schicke die glückliche Familie nach Hause. Nach einer kurzen Ruhepause kann ich es mir dann nicht verkneifen, meine Hörtraining-Apps mit dem neu implantierten linken Ohr zu testen. Ich erreiche bei nahezu allen Hörübungen auf Deutsch die volle Punktzahl – Preise, Uhrzeiten, Zahlen, Einsilber, Sätze vervollständigen: Alles kommt sauber an und wird gut verstanden. Selbst mit Störgeräusch verstehe ich das meiste Gesprochene. Meine ErstBesteHälfte schickt mir kurz darauf eine Sprachnachricht über WhatsApp, die ich ebenfalls – nur mit dem linken, frisch implantierten Ohr – beim ersten Hören einwandfrei verstehe. Wow. Damit habe ich nicht gerechnet.

Musik hört sich auf dem frisch implantierten Ohr deutlich schlechter an als auf dem rechten – ich habe das Gefühl, dass die mittelhohen Frequenzen zu stark betont sind. Vielleicht kann ich das morgen noch einmal nachjustieren lassen – ansonsten muss ich vier Wochen bis zur Erstanpassungswoche warten. Aber dennoch ist es ein wundervolles Gefühl, Musik auf beiden Ohren zu hören – selbst wenn der Sound links noch nicht optimal ist. Ich bin mehr als zufrieden und freue mich auf die kommenden Tage!

Tag 63 – Regeneration

Ich habe in der Nacht schlecht geschlafen. Der Kopf tut weh. Nach dem Frühstück döse ich noch ein bißchen im Bett und das scheint erholsamer zu sein als die unruhige Nachtruhe. Dann geht es zum obligatorischen Hörtest. Wie erwartet sind auf dem operierten Ohr nur noch minimale Hörreste vorhanden, die sich kaum messen lassen, weil der Kopfhörer beim Hörtest irgendwann so stark vibriert, dass ich nicht mehr weiß, ob ich etwas höre oder fühle.

Vor der Implantation
Nach der Implantation

Ich hatte mir eigentlich etwas mehr Resthörvermögen erhofft, aber letztendlich ist es egal, weil ich auf natürlichem Wege sowieso nicht mehr hören kann. Wichtiger ist, dass es mit dem Cochlea-Implantat gut funktioniert. Also nicht ärgern.

Der Rest des Tages ist unspektakulär – Musik hören (natürlich nicht mit dem frisch implantierten Ohr), ein bißchen rumlaufen und frische Luft schnappen, Abends Fußball schauen und die ganze Zeit hoffen, dass auch das linke Implantat so gut funktionieren wird wie das rechte. Wegen des Feiertages passiert sonst nichts mehr und das Krankenhaus ist voller Besucher. Mein Kopf ist auf der linken Seite noch ziemlich geschwollen. Ich hoffe, dass die Schwellung bis morgen wieder soweit zurück geht, dass die Frühanpassung möglich ist.

Tag 62 – OP Reloaded

Heute morgen stehe ich als zweiter Operationstermin auf dem Plan und damit wird es gegen halb 11 bis 11 Uhr losgehen, wie mir bei der Visite um halb 7 nochmal mitgeteilt wird. Dann heißt es warten, warten, warten. Die Nervosität steigt. Ich darf nichts trinken und nichts essen. Die ErstBesteHälfte trifft gegen 8 im Krankenhaus ein und wir sind beide nervös und wissen nicht wirklich, wie wir die Zeit bis zur OP am besten überbrücken sollen. Also warten wir. Und warten. Halb 11. 11 Uhr. 11:30. Kurz vor 12 kommt dann endlich die Schwester mit der Scheißegal-Pille und gibt das Startsignal. Also rein in den OP-Kittel und dann steht auch schon der Hol- und Bringservice in der Tür.

Ich bin nicht ganz so nervös wie beim ersten Mal, aber wäre jetzt trotzdem lieber irgendwo am Strand unter Palmen, anstatt von einem Pflegeazubi polternd durch die Flure bugsiert zu werden. Küsschen von der ErstBestenHäfte – und dann liege ich noch etwa 20 Minuten im OP-Bereich. Danach verschwimmt die Erinnerung wieder – die Betäubungsmaske bekomme ich irgendwie noch mit. Irgendwann wache ich im Aufwachraum wieder auf und wundere mich über das Deckenmuster. Wie auch beim ersten Mal ist mir kaum übel. Ich checke meine Gesichtsmuskeln und bin froh, dass sich alles bewegt. Schwindelig ist mir auch nicht. Dann werde ich zurück ins Zimmer gekarrt, wo ich noch ein bißchen vor mich her dämmere, bevor die ErstBesteHälfte am Bett steht und sich freut, dass sie ihre ZweitBesteHälfte wieder hat. Unschön ist, dass ich nicht dort wieder aus dem OP gefahren wurde, wo ich reingebracht wurde, sondern durch den Hinterausgang und die ErstBesteHälfte noch eine gute Stunde unten auf mich wartete, während ich schon wieder auf der Station war. Sorry, MHH: Das war ganz schlechte Krankenhauskommunikation.

Aber ich habe es überlebt. Der Kopf brummt natürlich gehörig; der Schmerz ist aber gut auszuhalten und ich stehe bereits nach etwa ein- bis zwei Stunden wieder vorsichtig auf den Beinen. Der Blutdruck ist ok, ich habe kein Fieber und alles scheint wie vorher zu schmecken. Der Rest des Tages ist Ausruhen, Freunde informieren, am Abend mit dem Bettnachbarn Fußball schauen und dann versuchen, in den Schlaf zu finden, was nicht so leicht ist, wenn der Kopf sich anfühlt, als hätte er das Rektum eines sibirischen Mammuts von innen untersucht.

Tag 61 – I want more

Heute morgen geht es wieder in die Medizinische Hochschule Hannover: Auch mein linkes Ohr bekommt morgen ein Cochlea-Implantat. I want more! Seit ich vor knapp zwei Monaten das erste Mal den Soundprozessor auf der rechten Seite angepasst bekommen und die ersten Töne gehört habe, habe ich das Hörgerät links nur noch einmal für knapp 5 Minuten getragen. Das Hörempfinden war im Vergleich zum CI dermaßen schlecht, dass ich es seitdem nicht mehr in die Hand genommen habe. Das linke Ohr hört ohne Hörgerät natürlich gar nichts mehr; trotzdem verstehe ich mit nur einem implantierten Ohr viel besser als vorher mit zwei Hörgeräten.

Da die Wunde auch sehr gut verheilt ist und ich keinerlei Probleme habe, gibt es also keinen Grund für das linke Ohr, zu warten – im Gegenteil. Je länger mein Hören auf der linken Seite brach liegt, desto schwieriger wird es, den Hörnerv wieder wachzukitzeln. Ein paar Wochen und vielleicht auch Monate sind kein Problem, aber wenn ich links über einen längeren Zeitraum gar nichts mehr höre, wird die „Reanimation“ meines Ohrs schwieriger. Außerdem sind die Voruntersuchungen bei meinem ersten Krankenhausaufenthalt mit beiden Ohren gemacht worden und noch frisch – es sind also kein erneutes Röntgen, MRT oder sonstige Voruntersuchungen notwendig.

Der Start in den Tag ist nicht optimal – nach ca. 20 Kilometern Fahrt merke ich, dass ich meinen Ordner mit der Einweisung meines Hausarztes und den schon ausgefüllten Aufnahmebogen vergessen habe. Also drehe ich um und werde etwa 30 Minuten zu spät in der Klinik eintreffen. Nicht schön, aber kein Weltuntergang. Auf dem Plan stehen heute neben dem Check-In ein ärztliches Gespräch, zu dem nach ein paar Minuten der Oberarzt hinzukommt, der mich schon beim ersten Mal operiert hat. Er erinnert sich an mich und die Formalitäten sind schnell besprochen. Er ist sicher, dass ich auch auf dem linken Ohr einen guten Erfolg erzielen werde und ich stehe morgen früh als zweite OP auf dem Plan – werde also gegen 10, halb 11 operiert.

Anschließend folgt ein obligatorischer Hörtest im Deutschen Hörzentrum, bei dem festgestellt wird, dass ich auf dem rechten, bereits implantierten Ohr quasi gar kein Resthörvermögen mehr habe. Das ist eine unerfreuliche Überraschung. Direkt nach der OP habe ich auf diesem Ohr noch ein wenig gehört; heute musste der Kopfhörer so laut aufgedreht werden, dass ich nicht mehr sagen konnte, ob ich einen Ton höre oder fühle. Das kann mit der aktuellen Konstitution zusammenhängen – manchmal hört man einfach etwas mehr oder etwas weniger. Aber vermutlich ist mein Resthörvermögen nach der Implantation quasi nicht mehr vorhanden. Was eigentlich egal ist, da ich mit dem Implantat deutlich besser höre als vorher.

Nach dem Hörtest wird das Implantat für die linke Seite ausgewählt – natürlich wähle ich hier dasselbe Produkt wie im rechten Ohr: Das Sonnet von Med-El. Auch der linke Soundprozessor wird weiß sein. Damit ich ihn von der rechten Seite unterscheiden kann, auf der ich eine grüne Mikrofonabdeckung trage, wird diese Abdeckung links pazifikblau werden. Die Farben kann ich übrigens verändern – falls ich mal Lust auf Babyblau, Europäisch-Fleischfarben oder Knallorange habe. Ich werde beide Geräte mit einer Fernbedienung steuern können und auch bei der drahtlosen Übertragung wird der Ton via Teleschlinge in beide Geräte übertragen. Ich frage außerdem bei Med-El an, ob ich Akkus ausprobieren kann. Da diese aber nicht einmal einen ganzen Tag halten, werde ich wohl doch bei der Batterielösung bleiben – ich komme ich zwei Tage mit einem Batterieset pro Gerät aus und brauche damit ca. 12 Batterien pro Woche für beide Geräte.

Dann geht es zum Anästhesie-Vorgespräch, das ebenfalls schnell über die Bühne gebracht wird – ich kenne die Risiken und Formulare ja schon und unterschreibe quasi blind. Mittlerweile sind 6 Stunden vergangen – die Wartezeit ist heute enorm. Montag und Monatsanfang sind eine schlechte Kombination für ein Krankenhaus-Check-In. Ich habe dann aber alles hinter mir und freue mich darüber, dass ich dieses Mal ein 3-Bett-Zimmer habe, das kurz darauf zum 2-Bett-Zimmer wird. Mein Bettnachbar ist sehr nett und Fußballfan und -Jugendtrainer. Für anregende Unterhaltung in den nächsten Tagen ist also gesorgt.

Meine ErstBesteHälfte, die mich den ganzen Tag begleitet hat, fährt nach einem gemeinsamen Currywurstabendessen im Krankenhausimbiss nach Hause und ich schreibe, bis es dann ins Bett geht. Ich bin guten Mutes aber natürlich doch etwas nervös – und froh, wenn die OP überstanden ist.